Die Geschichte vom gallischen Dorf. Ich und meine Krieger gegen den Rest der Welt. Es war immer genau diese Einstellung, die Jose Mourinho so gefürchtet machte. Mourinhos Maxime bei Niederlagen war stets: Schuld kann prinzipiell jeder sein, nur er selbst oder seine Spieler nicht. Seit der Portugiese 2002 zum Cheftrainer des FC Porto bestellt wurde, deckte er wohl mehr vermeintliche Verschwörungen etwaiger feindlich gesinnter Personen, Vereine oder Verbände auf, als er Titel gewann. Und er gewann verdammt viele Titel.
Oft ging Mourinho grenzwertig mit Menschen um, die es mit seinem elitären Zirkel aufnahmen. Zu spüren bekamen das manche physisch, wie etwa der damalige Co-Trainer des FC Barcelona Tito Villanova, dem Mourinho einst bei einem Tumult den Finger ins Auge drückte. Andere psychisch, wie Schiedsrichter Anders Frisk, den Mourinho der Bestechung bezichtigte. Der Schwede erhielt Morddrohungen und sah sich schließlich gezwungen, seine Karriere zu beenden.
Zwischen Mourinho und seinen Spielern "passte aber nie ein Blatt Papier". Sie würden für ihn "durch dick und dünn gehen" oder gar "durch Wände laufen". All diese wunderbaren Metaphern umschrieben Mourinhos Verhältnis zu seinen Spielern. Egal ob beim FC Porto, beim FC Chelsea, Inter Mailand oder anfangs bei Real Madrid - die Eintracht mit seiner Mannschaft war Mourinho stets heilig. War, denn das hat sich seit seiner Tätigkeit bei Manchester United geändert. Warum, das weiß keiner so recht.
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Maßregelung an der Seitenlinie
Nach der 1:2-Derby-Niederlage gegen Manchester City stellte er etwa Neuzugang Henrikh Mkhitaryan öffentlich bloß. "Lassen Sie uns zum Beispiel über Mkhitaryan sprechen", begann Mourinho staatstragend und fragte: "Wie viele wirklich große Spiele hat er absolviert?" Der Armenier könne laut Mourinho mit dem großen Druck nicht umgehen. Ähnlich äußerte er sich über Jesse Lingard. Er wurde wie Mkhitaryan zur Pause ausgetauscht.
Es folgte eine 0:1-Pleite in der Europa League gegen Feyenoord Rotterdam und ein 1:3 in der Liga gegen den FC Watford. Schuld daran war laut Mourinho (neben dem stets grundverdächtigen Schiedsrichter) erneut einer seiner eigenen Spieler, ein junger noch dazu: Linksverteidiger Luke Shaw. Erst stellte Mourinho den Verteidiger noch an der Seitenlinie öffentlich bloß, indem er ihn gestenreich für das zwischenzeitliche 1:2 und somit letztlich für die Niederlage verantwortlich machte, dann kritisierte er ihn medial.
Auf den Spuren van Gaals
Die Niederlage gegen Watford war die dritte innerhalb von nur acht Tagen. Es folgte das wenig glanzlose, fast in einer Blamage endende 3:1 im League Cup gegen den Drittligisten Northampton Town.
Nach einem respektablen Saisonstart befindet sich das "neue" Manchester United in der ersten Krise unter Jose Mourinho. Im Sommer herrschte noch Euphorie: 185 Millionen Euro wurden für prominente Spieler wie Paul Pogba ausgegeben und als Trainer der sagenumwobene "Special One" verpflichtet. Nach wettbewerbsübergreifend sieben Spielen herrscht nun aber Tristesse. Der Telegraph fragt: "Ist Mourinho immer noch the Special One?", während der Guardian noch weiter geht und schreibt: "Das aktuelle United ähnelt dem von Louis van Gaal."
Das ist so ziemlich das Schlimmste, was derzeit über United geschrieben werden kann. Denn United will alles sein, nur nicht so wie unter van Gaal. Die zweijährige Amtszeit des Niederländers gilt mit als die finsterste Periode der jüngeren Vereinsgeschichte. Und nun, unter dem vermeintlichen Heilsbringer Mourinho, soll es genauso sein? Schlimmer noch, sagt Vereinsikone Paul Scholes: "Mit dem Ball war United noch nie so schlecht." Böse Zungen könnten anfügen: Gegen den Ball sieht es ähnlich aus.
Tipps und Tricks ins Haus geliefert
Die aktuelle Mängelliste ist groß wie die Sehnsucht der Fans nach einer Rückkehr zu glorreichen Zeiten. Ach, damals unter Sir Alex. Sollte Mourinho keine Lust haben, sich selbst Gedanken darüber zu machen, was er ändern muss - es würde ein Blick in die nationalen Gazetten reichen, um reichlich Ideen und Vorschläge zu bekommen.
Tipps und Tricks um United auf Vordermann zu bringen ins Haus geliefert. Praktisch. "Five things Mourinho must do to stop the rot", titelt der Guardian. Die Sun nennt "Seven things Mourinho needs to change". Der Mirror hält mit "Five things Mourinho must fix now to arrest the slide" dagegen. Die Empfehlungen ähneln sich eklatant, einzig die Tiefe der Betrachtung variiert zwischen Boulevard- und Qualitätsmedium.
Paul, 23, sucht Position
Da wäre unter anderem die Rolle von Rekord-Transfer Paul Pogba. Welche Rolle, ist aber die eigentliche Frage. Der 23-Jährige irrte in den bisherigen Spielen meist etwas indisponiert zwischen defensivem und offensivem Mittelfeld umher, nicht wissend welche Aufgabe er nun letztlich zu erfüllen hat. Mourinho hofft auf eine Selbstlösung des Problems: "Paul ist ein sehr guter Junge mit hohen Ambitionen. Deshalb wird seine Form von alleine kommen."
In den vier Premier-League-Spielen seit Pogbas Ankunft agierte der Franzose im Zentrum des Feldes stets an der Seite von Marouane Fellaini und hinter Wayne Rooney. Diese Zusammensetzung funktioniert aber weder offensiv noch defensiv - und behindert vor allem Pogba an der Entfaltung seiner Fähigkeiten. Der Guardian schreibt von "Chaos" und einem "einzigen Kuddelmuddel" im Mittelfeld.
An der Seite des teilweise fahrigen und technisch limitierten Fellaini muss Pogba oftmals eine absichernde Rolle einnehmen. Dafür investierte United nicht 105 Millionen Euro. Mit Michael Carrick, Morgan Schneiderlin oder Ander Herrera verfügt Mourinho über Alternativen, die von ihrer Spielanlage wohl besser zu Pogba passen würden und ihm bei seinen energischen, raumgreifenden Vorstößen den Rücken freihalten könnten.
Gegen Northampton kam Pogba nicht zum Einsatz, dafür aber sowohl Schneiderlin und Herrera als auch Carrick, Letztere trugen sich in die Schützenliste ein. In Rotterdam begann Pogba offensiv vor Schneiderlin und Herrera. Überzeugend waren deren Vorstellungen zwar ebenfalls nicht, das sture Festhalten an Fellaini ist jedoch trotzdem schwer nachvollziehbar. Bei Pogba selbst scheint sich jedenfalls langsam Unzufriedenheit einzuschleichen. Entladen hat sie sich in Rotterdam. "Alles was ich in der ersten Hälfte hörte, war Pogba wie er seine Teamkollegen anschrie", erzählte Feyenoord-Spieler Dirk Kuyt im Anschluss.
Schweinsteiger und lauffaule Teufel
Nicht angeschrien wurde dagegen Bastian Schweinsteiger. Konnte er auch nicht, stand er in dieser Saison doch noch nicht im Kader. Die Gründe für Schweinsteigers Ausbootung sind immer noch nicht gänzlich geklärt. Seine Erfahrung gepaart mit Pogbas Kraft - es wäre eine Mittelfeld-Vision mit Charme. Eine Begnadigung des Deutschen wäre aber gleichzeitig ein Fehler-Eingeständnis von Mourinho. Und das macht der Portugiese etwa so gerne, wie Pep Guardiola beim Jubeln zuzuschauen.
Zugeschaut wird bei United derzeit allgemein zu viel, gelaufen dagegen zu wenig. Kein Premier-League-Verein legte in den bisherigen Saisonspielen weniger Kilometer zurück als United. Jürgen Klopps Liverpool-Spieler spulten beispielsweise bereits über 50 Kilometer mehr ab. Mit Ibrahimovic agiert bei United an vorderster Front ein Stürmer, der sich vom Defensivspiel seiner Mannschaft größtenteils befreit.
Seine spektakuläre Spielweise und vor allem seine Treffer immunisieren den Schweden jedoch vor Kritik. Anders stellt sich die Lage bei Wayne Rooney dar. Für die Spitze nicht mehr spritzig genug, bietet Mourinho seinen Kapitän auf der Zehn auf. So blockiert er aber oftmals ein Vorrücken von Pogba. Eine Kettenreaktion, die wohl einzig durch die Startelf-Eliminierung des Kapitäns zu durchbrechen wäre. "Uniteds Probleme führen alle zu Rooney", zog Ex-Profi Chris Sutton in der Daily Mail ein harsches Fazit.
Eine Frage des Alters
Bisher hält Mourinho an dem altgedienten Offensiv-Duo fest. Junge, hoffnungsvolle Spieler wie Marcus Rashford oder Anthony Martial stehen hinten an und werden nur dosiert eingesetzt. Mourinho ist weiter auf der Suche nach seinem idealen System und dessen personeller Besetzung.
Entscheidend wird dabei sein, ob Mourinho in der Lage ist, eigene Fehler einzugestehen und gegebenenfalls zu korrigieren. Nach drei Monaten bei United befindet sich der portugiesische Trainer immer noch im Buffering-Modus. Das qualitative Potenzial, dass bald alles flüssig läuft, hat die Mannschaft jedoch allemal. Die Puzzleteile müssen nur noch richtig zusammengesetzt werden. Hier ist Mourinho gefordert.
Womöglich sind die enttäuschenden Leistungen aber auch gar nicht auf seine Arbeit zurückzuführen, sondern einzig und alleine auf seinen Reisepass. Dort ist als Geburtsdatum der 26. Januar 1963 vermerkt. Mourinho ist 53 Jahre alt. "Wenige Manager, die bei ihrer Amtsübernahme schon über 50 waren, haben es geschafft einen großen Klub auf Vordermann zu bringen", schreibt der Telegraph und stellt so eine etwas krude Theorie auf.
Außer Frage steht jedoch: Nach seinem letztlich gescheiterten Engagement bei Chelsea und angesichts der aktuellen Lage bei United bröckelt der Mythos Mourinho.
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