Booooom!

Jürgen Klopp und der FC Liverpool sind seit Mitte August ungeschlagen
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Etwas mehr als ein Jahr brauchte Jürgen Klopp, um den FC Liverpool an die Tabellenspitze der Premier League zu führen. Der deutsche Trainer bewies Geschick auf dem Transfermarkt und verordnete seiner Mannschaft eine funktionierende Taktik. Die Reds unter Klopp stehen gleichermaßen für spektakulären wie erfolgreichen Fußball.

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"Wenn ich wegen eines Spiels meine Meinung ändern würde, wäre ich ein echter Vollidiot", sagte Jürgen Klopp, der aus Liverpooler Sicht zum Glück kein echter Vollidiot ist und seine Meinung natürlich nicht änderte. Er blieb seinen Maximen treu. Liverpool hatte gerade 0:2 gegen den FC Burnley verloren, Klopps Wirken wurde damals, Mitte August, zumindest etwas hinterfragt.

Zwei Spieltage waren zu diesem Zeitpunkt absolviert und Einiges erinnerte stark an die vergangene Saison. Zwei Spiele, die den Titel "exemplarisch" für das bisherige Dasein des FC Liverpool unter Jürgen Klopp trugen. Nach dem teilweise begeisternden und wilden 4:3-Sieg gegen Top-Klub Arsenal am ersten Spieltag mussten sich die Reds also Aufsteiger Burnley 0:2 geschlagen geben. Gala-Fußball gegen einen Titelanwärter, ideenloses Ballgeschiebe gegen einen Abstiegskandidaten. Nichts Neues an der Mersey.

Burnley hatte gegen die Reds 19 Prozent Ballbesitz, nie gewann ein Premier-League-Klub seit Beginn der Datenerfassung ein Spiel mit geringeren Spielanteilen. Liverpool scheiterte also an sich selbst. "Wenn wir eine gute Flanke geschlagen haben, war niemand im Strafraum, wenn mal jemand im Strafraum war, haben wir stattdessen geschossen", klagte Klopp, "es sieht nicht danach aus, als passe die Feinabstimmung."

Klopp sprach auch von fehlendem Glück und mangelnder Kaltschnäuzigkeit, von einem leidenschaftlichen Gegner und Lehren, die es zu ziehen gilt. 78 Tage später war Klopps verbale Nachbetrachtung eines Spiels seiner Mannschaft etwas einfacher und weniger floskellastig. "Booooom", sagte Klopp: "Das beste Wort, um dieses Spiel zu beschreiben, ist folgendes: Booooom." Das Spiel, dem Klopp den Titel "Booooom" verpasste, war das zurückliegende 6:1 gegen den FC Watford.

Niemand hört auf Klopp

Ähnlich wie Burnley ist auch Watford ein Verein, der sich letztlich wohl über nichts anderes definiert als das Streben nach dem Klassenerhalt. Die Aufgabenstellungen vor den beiden Spielen waren also ähnlich; die Umsetzung von Klopps Reds aber gänzlich konträr.

Gegen Watford bewies Liverpool Kaltschnäuzigkeit genauso wie Leidenschaft. Dinge, die zu Saisonbeginn noch vermisst wurden. Liverpool kombinierte Watford in seine Einzelteile und hätte durchaus noch höher gewinnen können; Klopp lobte "Selbstvertrauen, Qualität und Einstellung" seiner Elf.

Eine "absolut gute Leistung" war das 6:1 gegen Watford laut Klopp und gleichzeitig die vorläufige Krönung seiner Amtszeit als Trainer des FC Liverpool. Erstmals seit Mai 2014, als Liverpool unter Brendan Rodgers knapp am Titel vorbeischrammte, sind die Reds Spitzenreiter der Premier League. Klopp hat mittlerweile offenbar so gut wie alles im Griff, außer ganz Fußball-England vielleicht. "Wenn jemand meint, das hätte wegweisenden Charakter, dann kann ich ihm nicht helfen", sagte Klopp nach dem Spiel und offenbarte somit, dass er derzeit wohl niemandem helfen kann, sollte sich diesbezüglich jemand hilfesuchend an ihn wenden.

Gekonnt ignorierte die Presse nämlich Klopps Hinweis. "Auf der Tribüne wächst die Überzeugung, dass die Fußball-Revolution von Jürgen Klopp den ultimativen Erfolg bringen könnte", schreibt der Telegraph. Die Independent spricht von einer "soliden Titel-Erklärung".

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Zwei Mann für ein neues Level

Am 8. Oktober 2015 übernahm Klopp den FC Liverpool. Nach einer knapp einjährigen Findungsphase greifen die Mechanismen bei Liverpool nun immer besser ineinander, Klopps Handschrift wird von Spiel zu Spiel deutlicher. Die Zutaten des Erfolgsrezepts heißen Training und Transfers, zusammengemixt wurden sie im zurückliegenden Juli und August, frisch umgerührt werden sie stets an erholsamen Dienstagen, Mittwochen und auch Donnerstagen. Verschiedene Umstände spielen Klopp also in die Karten.

Im Sommer hatte Klopp erstmals die Möglichkeit, in aller Ruhe den Kader nach seinen Vorstellungen zu ergänzen und zu optimieren. Er verpflichtete mit Loris Karius einen neuen Stammtorhüter und mit Joel Matip und Sadio Mane zwei Akteure, die das Spiel der Reds auf ein neues Level hoben.

Ablösefrei kam Matip vom FC Schalke 04 zwar, sein Wert für die Mannschaft könnte höher aber nicht sein. Mit seinem guten Auge und seinen überlegten Pässen wurde Matip innerhalb kürzester Zeit zu einem prägenden Baustein des Liverpooler Aufbauspiels. Für Mane musste Klopp knapp 41,2 Millionen Euro mehr investieren, dafür bekam er aber immerhin das personifizierte Tempo und den personifizierten Zug zum Tor. Und das auch noch in Personalunion.

Trainieren statt reden und ummodellieren

Die Verpflichtungen von Matip und Mane standen bereits Anfang Juli fest. Klopp konnte das Duo also frühzeitig in die Mannschaft integrieren, die ganze Vorbereitungszeit nutzen. Weil sich Liverpool für keinen europäischen Wettbewerb qualifizieren konnte, bleibt Klopp nun auch während der Saison Zeit, um an Feinabstimmungen zu arbeiten.

Während Pep Guardiola und Jose Mourinho, während Mauricio Pochettino und Arsene Wenger auf Pressekonferenzen Fragen zu ihren kommenden Champions- und Europa-League-Gegnern beantworten sollen und gleichzeitig überlegen müssen, wie sie ihre Startelf halbwegs kräfteschonend ummodellieren können, bleibt Klopp Zeit, sich mit Trainingsformen zu beschäftigen. Trainingsformen, die seine ohnehin schon gut eingespielte Mannschaft noch eingespielter werden lassen.

Das 4-3-3 hat Klopp zu seiner Grundausrichtung auserkoren. Kleine gegnerbedingte Feinabstimmungen nimmt er aber bei jeder Partie vor. Speziell das Mittelfeld-Trio, derzeit bestehend aus Kapitän Jordan Henderson, Emre Can und Adam Lallana, agiert flexibel. Mal ein Sechser, mal zwei Sechser, leichte Verschiebungen, taktische Feinarbeit.

"Bleibt cool!"

Und ganz vorne wird's dann wild. 30 Treffer erzielten die Reds schon, mehr als alle anderen Teams der Liga. Spektakel heißt das Motto. Philippe Coutinho, Roberto Firmino und Sadio Mane sind die Verantwortlichen dafür. Liverpool spielt ohne einen klassischen Stürmer, dafür aber mit einem wirbelnden Trio. Nach elf Spielen waren alle drei schon an über acht Treffern direkt beteiligt. "Sie sind Weltklasse", sagt Henderson.

Explizit lobt der Kapitän aber auch ihr Defensivverhalten. Begeistert ist Henderson, wie das Trio "für das Team arbeitet", wie es "presst" und "tief in des Gegners Hälfte Bälle zurückgewinnt". Wortfetzen aus dem Munde Hendersons, die nicht nur taktische Abläufe, sondern auch Klopps Mannschaftsführung beschreiben.

Klopps Team ist eine absolute Einheit, jeder kämpft für jeden. Der Menschenfänger aus Deutschland schafft in Liverpool, woran seine prominenten Mitstreiter auf Englands Trainerbänken teilweise scheitern: absolute Geschlossenheit. Bei Manchester United greift Mourinho seine eigenen Spieler teilweise aggressiver an, als diese auf dem Platz die gegnerischen Abwehrreihen; bei Manchester City meldet sich der Berater von Yaya Toure so oft zu Wort, wie über den Beziehungsstatus zwischen Guardiola und Sergio Agüero diskutiert wird. Es ist kompliziert.

Kompliziert ist bei den Reds derzeit dagegen nichts. Da steht Klopp dann halt, ganz unkompliziert, vor der Presse, fährt sich grinsend durch den Dreitagebart, und sagt: "Bleibt cool!" Aber es nutzt ja nichts, auf ihn will ja keiner hören.

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