Gegenwind statt Gegenpressing

Von Mario Krischel
Jürgen Klopp musste zuletzt drei Heimniederlagen in Serie einstecken
© getty

Drei Heimniederlagen in Folge, ein uralter Negativrekord im Nacken und jede Menge Kritik: Jürgen Klopp erlebt beim FC Liverpool aktuell seine schwierigste Phase, seit er den Job im Oktober 2015 angetreten hat. Den Reds droht vor dem Spiel gegen den FC Chelsea (21 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) in nur wenigen Tagen eine komplette Spielzeit zu entgleisen. Und da soll jetzt einer helfen, der sich am Samstag nicht einmal auf seinen eigenen Beinen halten konnte?

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Eigentlich passen nur 22.000 Zuschauer ins Stade de Franceville, im Südosten von Gabun gelegen. Eigentlich sind es auch mehr als 9200 Kilometer von Franceville bis nach Liverpool, im Nordwesten von England gelegen. Manchmal aber, das ist auch nicht erst seit heute klar, sind Zahlen zweitrangig. Manchmal, vermutlich nicht zu oft, schauen tausende Augenpaare aus Liverpool gespannt, was da gleich in Franceville passieren könnte.

Als Sadio Mane am späten Samstagabend, eigentlich war es auch fast schon Sonntag, zum zehnten Elfmeter antrat, da versagten ihm die Nerven. 120 Minuten lang war kein Tor gefallen, im Elfmeterschießen aber schon acht. Mane hätte ausgleichen können - und scheiterte. Der Senegal schied aus, Kamerun jubelte und zog weiter ins Halbfinale des Afrika Cup.

9200 Kilometer weiter nördlich werden sie mit zwei strahlenden Augen zugesehen haben, wie Mane anschließend von Betreuern gestützt vom Feld geschleift werden musste und bittere Tränen vergoss. Nicht falsch verstehen, die Einwohner Liverpools stehen nicht unter Verdacht, Unmenschen zu sein. Aber den Fans des FC Liverpool werden aktuell alle Mittel recht sein, damit ihre Nummer 19 schnell zurückkehrt.

Der Anfang vom (vorzeitigen) Ende

Schweren Herzens ließen sie Mane Anfang Januar ziehen, damit er sein Land beim Afrika Cup repräsentieren konnte. Er hatte ein paar Stunden vorher noch zum zwischenzeitlichen 2:1 getroffen. Am Ende aber musste sich Liverpool mit einem Punkt beim AFC Sunderland begnügen. Von da an lief so ziemlich alles schief für Jürgen Klopp und seine Reds.

Vier Wochen später ist Mane innerhalb von vier Tagen aus drei Wettbewerben geflogen, vier Wochen später hat Liverpool die Chance auf zwei Titel fahrlässig verspielt, und vier Wochen später sucht Klopp händeringend nach Lösungen. Zum ersten Mal in seiner Zeit in England erfährt der Coach heftigen Gegenwind.

Nur eines der letzten acht Pflichtspiele konnte Liverpool gewinnen, das war auch noch gegen einen Viertligisten. Es wäre vermessen, die Misere auf das Fehlen eines einzigen Spielers zu schieben, das gab Klopp bereits nach der Heimpleite - der ersten seit einem Jahr - in der Liga gegen Swansea zu. "So sehr ich Sadio auch mag", sagte er, "wir dürfen nicht denken, dass unsere Probleme nur da sind, weil Sadio fehlt."

Jetzt schon?

Woran liegt es dann, dass die Reds binnen sieben Tagen drei Heimniederlagen in Folge kassiert haben? Dass sie dabei aus zwei Pokalwettbewerben ausgeschieden sind? Dass sie in der Liga bereits zehn Punkte hinter Tabellenführer Chelsea liegen? Und vor allem: Woran liegt es, dass Klopp sich einem dunklen Deja-Vu nähert?

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Er habe nicht mehr das Gefühl gehabt, der richtige Trainer für den BVB zu sein, hatte Klopp damals bei seiner Abschiedsrede in Dortmund erklärt. Zuvor erlebte er mit der Borussia die schlechteste Saison seit vielen Jahren. Damals ging er den Schritt, den die Verantwortlichen wohl nie gegangen wären. Er hatte erkannt, dass seine Art von Fußball einfach nicht mehr so funktioniert, wie sie es einst tat. Das dauerte immerhin fast sieben Jahre.

Im Vereinigten Königreich fragen sie sich nun, ob dieser Zeitpunkt in Liverpool bereits nach 16 Monaten erreicht ist. Mit den Reds feierte Klopp einen grandiosen Saisonstart, führte die Liga zwischenzeitlich sogar an. Doch mit dem immer enger werdenden Terminkalender gegen Ende des Jahres fingen die Probleme an, auf die Klopp schlichtweg noch keine adäquate Antwort gefunden hat.

Wenn Plan A nicht funktioniert

Natürlich sind mit Philippe Coutinho und Joel Matip zwei Eckpfeiler seiner Startelf verletzungsbedingt weggebrochen. Natürlich schont ein ambitionierter Premier-League-Klub seine Stars gegen unterklassige Mannschaften. Natürlich darf man sich dann auch mal einen Ausrutscher leisten. Aber nicht zwei oder drei oder mehr.

"Sind die Reds im freien Fall?" fragt der Telegraph nun. "Ist das Training zu hart? Sind die Neuen zu schlecht? Ist Klopps Spielstil zu laufintensiv, sind die Spieler inzwischen zu müde?"

Und, die übliche Frage in Krisenzeiten: Hat Klopp keinen Plan B? Was immer ersichtlicher wird: Die Gegner verstehen es inzwischen gut, Liverpools Gegenpressing im Keim zu ersticken. Gegen tief und kompakt stehende Teams beißen sich die Reds immer mehr die Zähne aus. Offensiv fehlt es zudem an der zündenden Idee. Fünf Tore aus den jüngsten sieben Partien sprechen Bände.

Flasche leer?

Das bringt auch zum Vorschein, dass die Abwehr bröckelt. ESPN-Experte Steve Nicol, als Spieler 14 Jahre für Liverpool aktiv, zeigte sich nach dem 1:2 gegen Wolverhampton am Samstag besorgt: "Egal, ob es die A- oder die B-Elf ist, sie machen dieselben Fehler", erklärte er. "Sie wollen Druck aufbauen, verschätzen sich und laufen dann in Konter. Das zeigt mir, dass Klopp sich im Training nicht mit der Defensive beschäftigt." Die Niederlage, so führte Nicol weiter aus, kam für ihn daher auch nicht überraschend.

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Er war nur einer von vielen Experten, die ihre Meinung zu den schwächelnden Reds offensiv kundtaten. Sei es Gary Lineker, der Klopp via Twitter mangelndes Verständnis und fehlenden Respekt vorwarf, oder LFC-Legende Jamie Carragher, der sich fragte, ob Klopp vielleicht die fehlende Winterpause zum Verhängnis wird. "Es macht den Anschein, als ob die Energie verbraucht wäre, das macht mir große Sorgen."

Und Klopp selbst? Am letzten Samstag, nach der 2:3-Niederlage gegen das Tabellenschlusslicht Swansea City, versprach er, nicht nach Ausreden zu suchen. "Wir müssen kämpfen, und wir werden für alles kämpfen."

Damals, als Klopp nach Niederlagen noch glücklich war

Am Mittwoch, da musste Liverpool nach zwei 0:1-Pleiten gegen Southampton im League Cup die Segel streichen, sei er noch "glücklich" mit der Leistung seiner Elf gewesen. Sich gegen einen solchen Gegner so viele Chancen zu erspielen, sei wirklich schwer - "aber wir haben es geschafft". Und trotzdem verloren.

Am Samstag, nach dem FA-Cup-Aus gegen den Tabellen-18. der zweiten Liga, musste auch er zugeben, dass es "heute außer dem Abpfiff nichts Gutes zu betrachten gab." Er übernehme dafür die volle Verantwortung.

Nach seiner wörtlichen Kampfansage hatten sich da bereits zwei Kämpfe erledigt. Und nun - genauer gesagt am Dienstagabend (21 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) - könnte auch der letzte Kampf verloren gehen.

Sollten die Reds auch gegen Tabellenführer Chelsea verlieren, dann würden sie nicht nur einen 94 Jahre alten Negativrekord einstellen. Zuletzt hat Liverpool 1923 viermal hintereinander in Anfield den Kürzeren ziehen müssen. Sollte dieser Rekord eingestellt werden, wäre bei 13 Punkten Rückstand wohl auch das Thema Meisterschaft vom Tisch. Auch wenn Klopp ohnehin nicht davon sprechen will, für ihn geht es primär um die Qualifikation zur Champions League.

Der Heilsbringer und sein ziemlich guter Manager

Bei einer weiteren Pleite wird Klopp unweigerlich noch stärker ins Scheinwerferlicht rücken. Dann wird die Kritik nicht abnehmen, dann setzt es wohl die volle Breitseite.

Was macht da noch Mut? Immerhin konnte Liverpool das Hinspiel an der Stamford Bridge mit 2:1 für sich entscheiden. Damals waren die Vorzeichen allerdings völlig umgekehrt, denn Chelsea und Trainer Antonio Conte mussten sich noch finden.

Immerhin kehrt ja Mane jetzt schon zurück, dafür hat Klopp gesorgt. Dem Telegraph zufolge haben die Reds einen Privatjet nach Gabun geschickt, damit der Angreifer schon am Montag wieder ins Training einsteigen konnte.

Und außerdem habe Klopp ja immer noch "eine sehr gute Mannschaft" und er sei auch immer noch "ein ziemlich guter Manager". Jetzt müsse man nur das nächste Spiel gewinnen und das Selbstvertrauen zurückgewinnen. Wäre da nicht der Konjunktiv.

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