Mücke, Mickidingsda, Mickisonstwer oder Mickey-noch-was: die Liste der (unfreiwilligen) Spitznamen von Henrikh Mkhitaryan war zu Dortmunder Zeiten lang.
Im Vereinigten Königreich machen sie es sich gewohntermaßen ein bisschen einfacher. Mkhitaryan nimmt ihnen die Arbeit inzwischen aber auch ab. "Magic Micky" ist nicht nur Twitter-Trend, sondern der Taktgeber von seit Monaten aufblühenden Red Devils.
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Seit Mkhitaryan seinen Platz im Team von Trainer Jose Mourinho gefunden hat, scheint Manchester United nicht nur zu alter Stärke zurückzufinden, sondern ist schlichtweg unbezwingbar. Ein unwichtiges Pokalrückspiel mal doppelt ausgeklammert, ist der Rekordmeister seit drei Monaten ungeschlagen. Bei der letzten Niederlage am 3. November (1:2 bei Fenerbahce) hatten die Demokraten in den USA noch ein wenig Hoffnung für ihr Land.
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt
Auch wenn der Umschwung in dieser Premier-League-Spielzeit für die Meisterschaft wohl zu spät kommt, sind sie rund ums Old Trafford der festen Überzeugung, dass die aktuelle Mannschaft spätestens im kommenden Jahr zu Großem fähig ist. Mit einem irgendwie immer noch besser werdenden Zlatan Ibrahimovic, einem irgendwie nicht mehr hauptsächlich Haarschnitt-fixierten Paul Pogba und mit eben jener magischen Mücke, die sich bei der Wahl zum Tor des Monats nur selbst schlagen kann und innerhalb von drei Wochen viermal Spieler des Spiels wird.
Jetzt stelle sich mal einer vor, dieser Armenier, in dessen Adern irgendwie brasilianisches Blut fließt, wäre bei seinem eigentlichen Lieblingsverein gelandet. Dann müsste der FC Bayern doch mit seiner A-Elf antreten, weil das Rückspiel im Champions-League-Achtelfinale noch von Bedeutung wäre. Dann könnten englische Medienvertreter die Sägen vielleicht zuhause lassen, weil Arsene Wengers Stuhl nicht so wackeln würde.
Tut er aber doch, weil es ManUnited war, das Mkhitaryan im Sommer verpflichtete und nicht der FC Arsenal. Für 42 Millionen Euro von Borussia Dortmund, ein Jahr vor Vertragsende. Peanuts für Mourinho, der mal eben noch 38 Millionen für einen ivorischen Verteidiger aus Villarreal hinblätterte und 105 Millionen Euro für Paul Pogba locker machte. Wäre Ibras Vertrag in Paris nicht ausgelaufen, hätte wohl auch der Schwede eine fürstliche Ablöse gekostet.
Das Schnäppchen wird zum Flöppchen
Was konnte also schief gehen für Mkhitaryan, der zum Spottpreis nach einer herausragenden Bundesligasaison kam und auf der Insel durchstarten wollte? Ziemlich viel bis alles. Am Anfang.
Beim Manchester-Derby Anfang September am 4. Spieltag - United verlor mit 1:2 und Mourinho gegen Guardiola - blieb Mkhitaryan nach einer unterirdischen Darbietung in Durchgang eins in der Kabine. Was er da noch nicht wusste, vielleicht aber ahnte: Den Rasen im Old Trafford - und sogar die Umkleide - sollte er lange nicht mehr betreten.
Eine Muskelzerrung setzte ihn zunächst für einen Monat außer Gefecht, im nächsten Monat dann sein ganzer Körper - und wie schon damals auch der Kopf.
Es reichte wochenlang nicht für eine Kadernominierung. Sogar in der Europa League, wo Mourinho ohnehin den Ersatzspielern Einsatzminuten gewährte, musste Mkhitaryan auf der Tribüne Platz nehmen. Er war nicht mal mehr der Ersatz vom Ersatz.
Komm, zeig mal, was du drauf hast
"Er muss mehr arbeiten", predigte "The Special One" Woche für Woche. Die Konkurrenz habe derzeit die Nase vorn, sagte er. "Ich bin kein Einstein. Ich kenne kein taktisches System, in dem vier Flügelspieler gleichzeitig spielen können."
Aber woran lag es, dass der Spieler, der im Vorjahr beim deutschen Vizemeister 55 Torbeteiligungen in 52 Einsätzen verbucht hatte, scheinbar nicht gut genug war? "Er braucht weniger Druck und bessere Umstände, um seine Qualitäten zur Geltung bringen zu können." Eine Aussage Mourinhos, die bereits vermuten ließ, dass die Premier League für Mkhitaryan vielleicht zu robust sei.
Anfang November schickte Mourinho ihn mal für 29 Minuten an einem Donnerstagabend in Istanbul aufs Feld - besagte (vor)letzte Niederlage. Er solle mal wieder ein gutes Spiel machen, so lautete die simple Marschroute seines Coaches. Klappte nur bedingt, in der Liga wartete wieder ein Platz am Sir Alex Ferguson Stand. Auf der Tribüne also.
Donezk und Dortmund - Das Deja Vu des Brasilianers
Doch Mkhitaryan blieb ruhig, das rechnete Mourinho ihm hoch an. Es gab Spekulationen, doch eine schnelle Flucht aus Manchester war für Mkhitaryan kein Thema. "Während dieser Zeit habe ich mich oft mit Mourinho unterhalten und sein Vertrauen gespürt", blickte er im Interview mit der Daily Mail zurück. "Ich habe auch oft mit meinem Berater gesprochen und ihm gesagt, dass ich sehr lange dafür gekämpft habe, hier zu sein. Das werde ich jetzt nicht aufgeben, sondern weiter kämpfen. Eines Tages werde ich spielen."
In dieser Periode wurden vor allem alte Erinnerungen geweckt. Bei seinem Wechsel 2010 innerhalb Donezks von Metalurg zu Schachtjor hatte ihm niemand den Sprung zugetraut, in der Mannschaft standen schließlich zwölf Brasilianer. Sie wussten nicht, dass Mkhitaryan zu Kindeszeiten für mehrere Monate in Sao Paulo im Internat kickte. "Deswegen konnte ich nur lachen", schrieb er selbst unlängst bei The Players Tribune. "Ich meine, ich bin ja irgendwie zur Hälfte Brasilianer." Und der Brasilianer setzte sich gegen viele seiner Landsmänner durch.
Bei Dortmund war Mkhitaryan der Rekordneuzugang, der eine solide erste Saison spielte, im zweiten Jahr dann allerdings - wie die gesamte Mannschaft - einbrach. Mkhitaryan wurde ob vieler vergebener Chancen oft als Sinnbild für die BVB-Krise herausgepickt. Jürgen Klopp habe ihm damals den simplen Rat verpasst, einfach mal den Kopf abzustellen, sich nicht zu sehr über verpasste Gelegenheiten aufzuregen, sondern dafür zu sorgen, dass man eine neue Chance kreiert. In der Folgesaison blühte der 28-Jährige unter Thomas Tuchel richtig auf. Und ging dann zu Mourinho, für die nächste Chance.
Der Wendepunkt: Wie Mkhitaryan Mourinho einfach nur glücklich machte
Es dauerte schließlich bis zum 27. November, ehe "Mücke" wieder Premier-League-Luft schnuppern durfte. Drei Tage nach einer starken Leistung beim 4:0 gegen Feyenoord Rotterdam über 90 Minuten. Der Kurzeinsatz in den letzten 15 Zeigerumdrehungen gegen West Ham verhalf ihm zu einer weiteren Startelf-Nominierung, allerdings im League Cup. Wieder gegen die Hammers. Sie erwies sich gut zwei Stunden später als endgültiger Dosenöffner.
"Wir wussten immer, warum wir ihn gekauft haben und haben darauf gewartet, dass er seinem Ruf gerecht wird", schwärmte Mourinho von Mkhitaryans Man-of-the-match-Performance mit zwei Torvorlagen, eine davon mit der Hacke auf Ibrahimovic. "Es sieht so aus, als ob es jetzt passiert."
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Er sei so glücklich über Mkhitaryans Leistung, frohlockte Mourinho, "weil er sie heute gegen ein Premier-League-Team mit Premier-League-Qualitäten und -Eigenschaften gezeigt hat. Gegen Feyenoord konnten wir noch denken: 'Ok, das ist auch eine andere Art von Fußball.' Aber heute konnte Micky eine solche Leistung auch gegen ein typisches Premier-League-Team bringen."
Und dann, 85 Tage nach dem Stadtderby, stand Mkhitaryan wieder in der Liga-Anfangsformation. "Ich habe einfach weiter hart gearbeitet und einen tollen Job gemacht, um meine Chance zu bekommen. Es war ein unglaublich langer Weg", reagierte der Mittelfeldmann sichtlich erleichtert, nicht ahnend, was da in den kommenden Wochen auf ihn zurollen sollte.
Die Geburtsstunde des Magic M.
Einer soliden Partie an der Merseyside beim 1:1 gegen Everton folgte eine erneute Spieler-des-Spiels-Darbietung, als Mkhitaryan beim ungemein wichtigen 1:0 gegen Tottenham das entscheidende Tor erzielte. Dass es noch nicht zu einem Einsatz über die volle Distanz kam, lag diesmal nicht an ihm. Nach einem rüden Foul knickte der Armenier weg und musste fünf Minuten vor Schluss mit der Trage vom Platz gebracht werden.
Jetzt war er doch endlich angekommen, meinte es das Schicksal da tatsächlich so schlecht mit ihm? Sehr zur Freude Mourinhos nicht, denn bereits am Boxing Day feierte Mkhitaryan als Joker ein Comeback, auf das sogar Nils Petersen stolz gewesen wäre. Es war gleichzeitig die Geburtsstunde von Magic Micky und dem berühmten Skorpion-Kick-Tor, als Uniteds Nummer 22 eine Flanke von Ibrahimovic, die eigentlich in Mkhitaryans Rücken landete, mit der Hacke im Vorwärtsfallen zum 3:0 im Tor von Sunderland unterbrachte.
"Magnificent, special, wonderful" waren noch die am wenigsten ausschmückenden Loblieder der Presse. Und wieder war Mournho einfach nur "glücklich, dass er nach seiner Verletzung mit viel Freude zurückgekommen ist, und mit dem Gefühl, dass die Leute im Old Trafford ihn lieben. Das ist sehr wichtig für ihn."
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Er hatte den Kopf endlich wieder ausgeschaltet, hatte die Freude am Spiel wiederentdeckt. Und augenscheinlich hatte er auch seine brasilianische Hälfte wieder hervorgeholt. Sein Treffer jedenfalls wurde zum Tor des Monats gewählt. Seine engsten Verfolger hießen dabei Mkhitaryan und Mkhitaryan. Jetzt konnte er sich schon nur noch selbst schlagen.
Uniteds Aufschwung mit Vorbild Micky
An Silvester folgte auch der erste Ligaeinsatz über 90 Minuten, beim 2:1 in Middlesbrough. Als Mourinho ihn dann im Auswärtsspiel beim kriselnden Meister Leicester auf der zehn aufliefen ließ, legte Magic Micky noch einen drauf. Das Führungstor, ein traumhafter Assist und der nächste Award zum Man of the Match unterstrichen nur den Wert, den Mkhitaryan schon seit Wochen für das Team hatte.
Egal ob als Flügelspieler oder Schaltzentrale im Mittelfeld. Egal ob als Zulieferer oder Vollstrecker. Egal ob als kongenialer Pogba-Partner oder persönlicher Assistent von Ibrahimovic.
Mit Mkhitaryan erlebte United einen Aufschwung, der inzwischen im FA-Cup-Viertelfinaleinzug (dank eines erneuten Geniestreichs von Magic M.) und dem Finale im League Cup mündete, wo am Sonntag (17.30 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) Southampton im Wembley-Stadion wartet. Allerdings fällt der Armenier aufgrund einer Oberschenkelverletzung.
In der Liga trennen den Rekordmeister nur noch zwei Zähler von einem direkten Champions-League-Platz, der noch am Anfang der Saison weit weg schien.
Doch Mkhitaryan hat es ihnen vorgemacht. Manchmal braucht es eben Zeit, um aus der Asche aufzustehen - oder einfach ein bisschen Magie des armenischen Brasilianers.
Henrikh Mkhitaryan im Steckbrief