Deutsche Achse in der Reparaturwerkstatt

Nino Duit
05. März 201721:53
Matip und Karius wechselten im Sommer 2016 nach Liverpool, Can bereits zwei Jahre zuvorgetty
Werbung

Mit Loris Karius, Emre Can und Joel Matip stehen drei gebürtige Deutsche beim FC Liverpool unter Vertrag. Als die Reds im Herbst von der Meisterschaft träumten, bildeten sie eine stabile defensive Achse. Seitdem kämpft nicht nur Liverpool mit Problemen, sondern auch das deutsche Trio - aus unterschiedlichen Gründen. Am Samstag empfangen die Reds den FC Arsenal (18.30 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER).

Liverpools wilder Herbst mit deutscher Achse

Anfang und auch Mitte November war es, als in Liverpool noch geträumt wurde. Euphorisch war die Stimmung im Norden der Stadt, dort, wo das Stadion an der Anfield Road zwischen Backsteinbauten emporragt und auch überall sonst, wo es Liverpool-Fans gibt. Seit 1990 hat dieser einst so erfolgsverwöhnte Verein die englische Meisterschaft nicht mehr gewinnen können und nun sorgte Jürgen Klopp für eine siegessichere Stimmung, die es bei den Reds in diesem Jahrhundert noch nicht oft gab.

Mit 6:1 hatte Liverpool gerade den FC Watford besiegt und die Tabellenführung erobert und Klopp wurde für seinen Fußball gefeiert. Unter deutscher Kontrolle standen damals aber nicht nur die Abteilungen Taktik und Aufstellung, sondern auch die Abteilung defensive Umsetzung auf dem Platz. Loris Karius, Joel Matip, Emre Can - eine deutsche Achse gab der Hintermannschaft der Reds in diesem wildem, euphorisierenden Herbst Stabilität wie Sicherheit.

Erlebe die Premier League Live und auf Abruf auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat

Keine vier Monate und einen trostlosen, grauen Winter später beträgt Liverpools Rückstand auf den neuen Tabellenführer FC Chelsea 14 Punkte und die deutsche Achse befindet sich (genau wie einige andere Mannschaftsteile) in der Reparaturwerkstatt. Die Einzelteile wurden beschädigt, anderweitig verarbeitet oder mussten wegen Sicherheitsbedenken gar in der Garage bleiben.

Loris Karius patzt und muss in die Garage

Loris Karius befindet sich derzeit in der Garage namens Ersatzbank und das, obwohl ihm bei seinem Sommer-Wechsel vom FSV Mainz 05 nach Liverpool eigentlich ein Platz auf der Rennstrecke in Aussicht stand. Der Reisepass stimmte, er weist das Tormann-Eldorado Deutschland als Geburtsnation aus und das als noch entwicklungsfähig kategorisierte 1993 als Geburtsjahr, und der Preis stimmte auch. Er lag bei lediglich sechs Millionen Euro. Eine Summe, die in England gar Zweitligisten leicht schulterzuckend hinlegen würden. Liverpool schien ein Coup gelungen zu sein.

Der schnellen Freude folgte aber die schnelle Ernüchterung. "Das ist nicht cool für uns, das ist nicht cool für den Jungen", sagte Klopp im Hochsommer, Karius hatte sich in der Vorbereitung die Hand gebrochen und das ist nicht nur laut Klopp "nicht gerade das Beste, was einem Torhüter passieren kann".

Nachdem Karius seine Verletzung auskuriert hatte, zwei Spiele von der Bank seinem Konkurrenten Simon Mignolet zugeschaut hatte und dann zehn Ligaspiele lang zwischen den Stangen von Liverpool verbrachte, stand nicht mehr seine Hand im öffentlichen Interesse, sondern sein Mund. "Halt deinen Mund, mach deinen Job, geh heim, trink Tee und spiel Fußball", sagte Phil Neville, der sich sowohl mit dem Titel TV-Experte, als auch Manchester-United-Legende schmücken darf.

Matip und Karius wechselten im Sommer 2016 nach Liverpool, Can bereits zwei Jahre zuvorgetty

Es war die hasserfüllte Krönung einer Folge-Erzählung, die ihren Ausgang ein paar Tage zuvor im Vitality Stadium von Bournemouth hatte. Mit seinem dortigen Fehler hatte Karius (nach zuvor relativ souveränen Auftritten und nur sechs Gegentoren in acht Spielen) die Last-Minute-Niederlage gegen die Cherries (3:4) zu verantworten. Am folgenden Spieltag patzte Karius erneut, Liverpool spielte zuhause lediglich 2:2 gegen West Ham United. Gary Neville kritisierte Karius, Karius reagierte auf die Kritik, Phil sprang seinem Bruder Gary zur Seite und dann eben: "Halt deinen Mund."

Karius hielt ihn und künftig keine Bälle mehr. Mitte Dezember degradierte Klopp Karius vorläufig. "Manchmal muss man jemanden aus dem öffentlichen Blickfeld nehmen", sagte Klopp und Liverpool siegte mit Mignolet im Tor 3:0 beim FC Middlesbrough. Aus dem vorläufig wurde ein dauerhaft, Karius hat seinen Stammplatz seitdem auf der Bank und darf sich von dort mit Zuspruch seines Rivalen trösten. "Er ist intelligent und professionell genug, um daraus zu lernen", ließ Mignolet Karius ausrichten und riet ihm darüber hinaus, "mental stark" zu sein.

Emre Can und die Suche nach der effizientesten Position

Mentale Stärke galt einst auch als einer der großen Vorzüge des großen Steven Gerrard. Besten Anschauungsunterricht leistete er diesbezüglich beispielsweise im Mai 2005. Liverpool lag im Finale der Champions League mit 0:3 gegen den AC Milan zurück und drehte die Partie, angeführt von eben jenem Gerrard. In Liverpool ist er eine Legende, wenn nicht sogar die Legende und die Fans besingen ihn auch heute noch: "He'll pass the ball fourty yards, he's big and he's fucking hard."

Und mit eben jenem Gerrard wurde nun, Mitten in Liverpools wildem, euphorisierenden Herbst, also Emre Can, ein damals 22-jähriger Deutscher, verglichen. Es sei natürlich eine Ehre, sagte Can, der 2014 für knapp zwölf Millionen Euro von Bayer Leverkusen nach Liverpool wechselte, dazu. Er sagte dann auch, dass es noch ein langer Weg bis zu Gerrards einstigem Level sei. Unterbrochen wurde der Weg aber bereits wenige Tage später von einer Knieverletzung, Can musste zwei Spiele passen und verlor seine Form.

Nach seinem kurzen Werkstattbesuch stand er zwar bald wieder in der Startelf, aber er spielte nicht mehr so souverän wie zuvor und die Meinung des Fanlagers schwankte von Lob zu Kritik. Beim richtungsweisenden Spitzenspiel gegen Tottenham(2:0) nahm Klopp Can aus der Startelf. Es offenbarte sich dabei ein Problem, das wohl schon länger in den hintersten Kämmerchen der Liverpool-Werkstatt diskutiert wurde: Wo ist Cans optimale Position, wenn alle Rivalen zur Verfügung stehen? Und: Gibt es sie überhaupt?

Can spielte mal mit einem Kollegen auf der Doppelsechs, mal als alleiniger Sechser, mal als Achter und in der vergangenen Saison gar als Verteidiger. Wo er am besten, am wertvollsten ist, ist aber immer noch ungeklärt. Can ist ein guter Zweikämpfer, sogar eine "unglaubliche Kämpfernatur", wie Klopp mal sagte, aber hat durchaus Probleme bei schnellen Gegenstößen und auch, das Aufbauspiel seiner Mannschaft zu organisieren.

Das erkannte Klopp in der Halbzeitpause des zurückliegenden Spiels bei Leicester City(1:3). Can begann in der Schaltzentrale: Im Defensivspiel wurde Liverpool wieder und wieder überrannt, im Offensivspiel fehlten Ideen und Passsicherheit aus der Tiefe des Feldes. Klopp beorderte Can also auf die linke Seite und der Motor lief fortan besser. Can ist ein vielseitig einsetzbarer und zuverlässiger Baustein, Klopp muss aber noch die effizienteste Position für ihn finden, denn sonst droht die Umfunktionierung zum Ersatzteil.

Der zuverlässigste Baustein Joel Matip

Zu einem Ersatzteil wurde zuletzt auch Joel Matip, nicht aber wegen Klopps Unzufriedenheit, sondern wegen Klopps Angst vor Konsequenzen. Angst vor einer Strafe der allmächtigen FIFA. Matip wollte sich Anfang Januar - nachdem er zuvor schon einige Spiele wegen einer Knöchelverletzung verpasst hatte - voll auf seinen Verein konzentrieren. Auf das Meister-Rennen, das mittlerweile zum Champions-League-Rennen degradiert wurde. Dafür verzichtete der gebürtige Bochumer auf Einsätze für Kameruns Nationalmannschaft beim Afrika Cup im Gabun.

Kameruns Verband hatte jedoch andere Pläne und berief Matip in den vorläufigen Kader. Er wollte nicht auf die herausragenden Dienste des zuverlässigen Innenverteidigers verzichten und blockierte somit Matips Dienste für den FC Liverpool, der in dessen Abwesenheit an Sicherheit verlor. "Ziemlich frustrierend", nannte Klopp die Situation, denn eigentlich ist Matip der zuverlässigste Baustein der deutschen Achse. 25 Jahre ist der Innenverteidiger alt und in diesen 25 Jahren hat er sich zu einem Innenverteidiger von internationalem Niveau geformt und formen lassen.

Vor Verletzungs- und FIFA-Sorgen galt Matip als unumstrittene Stammkraft. Für Klopp kam diese rasante Entwicklung nach dem ablösefreien Wechsel von Schalke 04 im Sommer "nicht überraschend", er lobt explizit Matips "Selbstbewusstsein und Coolness". Seinem rechten Nebenmann Nathaniel Clyne kommt es gar vor, "als würde Matip schon ewig hier spielen". Die umfassende Lobrede Clynes liest sich wie folgt: "Er macht defensiv einen richtig guten Job, ist sehr sicher am Ball, schaltet sich immer wieder im Spiel nach vorne mit ein und hilft, Angriffe aufzubauen."

Matip stand nach seinem von Beschädigung und Sicherheitsbedenken ausgelösten Boxenstopp zuletzt wieder in vier Ligaspielen in Folge in der Startelf, er arbeitet sich gerade zurück.

Eine komplette Rückkehr der stabilen, deutschen Achse aus dem wilden, euphorisierenden Herbst des FC Liverpool ist noch nicht absehbar.