Die Abkehr von der Wenger-Politik?

SPOX
11. Juli 201711:42
Arsenal hat mit dem Gewinn des FA Cup ein versöhnliches Saisonfinale gefeiertgetty
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Der FC Arsenal hat in der vergangenen Saison erstmals unter Arsene Wenger die Champions League verpasst. Die Konsequenz daraus war jedoch nicht das Ende der Ära Wenger. Stattdessen verlängerte der Franzose erneut und will die Gunners nun wieder in die Spitze führen. Dafür erweitert er seinen Trainerstab und bricht offenbar auch mit dem selbst auferlegten Sparkurs der vergangenen Jahre. SPOX gibt einen Überblick über die größten Fragen bei Arsenals Neuausrichtung.

Welchen Stellenwert hat Arsene Wenger nach der vergangenen Saison?

21 Jahre lang war Arsene Wenger bei den Arsenal-Fans unantastbar. Der Elsässer ist schon so lange Teammanager bei den Gunners, dass Kinder aus der jüngsten Generation aufwachsen und denken, der Vereinsname gehe auf die Ikone zurück.

In der vergangenen Saison stand Wenger jedoch vor dem Aus. Die Gunners hingen zwischenzeitlich bedenklich durch, am Ende verpassten sie erstmals überhaupt in Wengers Amtszeit die Champions League. Die Stimmung in der Anhängerschaft - während der nicht immer titelreichen Jahre zuvor stets auf Wengers Seite - drehte sich.

Immer wieder hatte der Franzose wegen seiner konservativen Spielidee und seines konservativen Auftretens auf dem Transfermarkt in der Kritik gestanden. Plakate mit der Aufforderung "Spend, Spend, Spend" waren im Emirates keine Seltenheit.

Bereits im Jahr 2013 stand Arsene Wenger wegen seiner defensiven Transferpolitik in der Kritikgetty

Gerettet hatte ihn jedoch immer das erreichte Minimalziel Champions-League-Qualifikation. Aus Vereinssicht war dieses jahrelang sogar wichtiger als die Auffüllung des Trophäenschranks. Auch für Fans waren Reisen nach Barcelona, Madrid oder München seit einer gefühlten Ewigkeit eine Konstante.

Diese werden die Gunners in der kommenden Saison nun nicht antreten. Zwar war der Schlussspurt ein Trost. So gewann die Wenger-Truppe neun der letzten zehn Pflichtspiele - darunter das FA-Cup-Finale mit einer beeindruckenden Performance gegen Meister Chelsea.

Das Ausrufezeichen zum Saisonende heilt aber nicht alle Wunden der weitgehend verheerenden Rückrunde.

Und so waren viele Arsenal-Fans beinahe frustriert, als Wenger im Mai seinen Vertrag entgegen vieler Prognosen doch noch einmal um zwei Jahre verlängerte. Das Grundgefühl: Wenger ist unantastbar, nach wie vor, egal, was passiert.

Klar ist allerdings auch: Wenger steht mit Beginn der neuen Saison mehr denn je unter Beobachtung. Alleine mit den Errungenschaften der Vergangenheit wird Wenger seine Popularität nicht hochhalten können. Fans und Umfeld erwarten vom 67-Jährigen, dass er sich als Trainer sowie als Manager modernisiert und seine Politik überdenkt.

Längst nicht mehr alle stehen bedingungslos hinter Wenger. Sollte die kommende Spielzeit sportlich einen ähnlichen Verlauf nehmen, könnte sich die Stimmung schnell komplett gegen ihn drehen.

Überdenkt Arsene Wenger seine Spielidee?

"Meiner Meinung nach spielt Arsenal den besten Fußball der Premier League. Deswegen wollte ich unbedingt hierher wechseln", begründete Alexandre Lacazette seine Entscheidung für einen Wechsel zum FC Arsenal.

Mit dieser Einschätzung ist er nicht alleine. In der gesamten Ära Wenger galt der Spielstil der Gunners als einer der schönsten im europäischen Spitzenfußball. Im Laufe der letzten Jahre verschob sich das Bild aufgrund ausbleibender großer Titel allerdings dahingehend, dass immer mehr Kritiker dem Franzosen Sturheit und fehlende Flexibiliät vorwarfen.

Seit Jahren schickte er seine Mannschaften unabhängig vom Gegner im 4-2-3-1 auf den Rasen, nur in seltenen Ausnahmen griff er auf ein 4-1-4-1- oder ein 4-4-2-System zurück. Auch die Ausrichtung und die Lösungsfindung mit spielerischen Mitteln blieb immer gleich. Das war schön anzusehen, bot im Misserfolgsfall aber auch Angriffsfläche.

Zum Ende der vergangenen Saison wich Wenger nach sieben Niederlagen in elf Pflichtspielen jedoch von seiner strikten Ausrichtung ab. Beginnend mit dem Auswärtsspiel in Middlesbrough, schickte er seine Elf im 3-4-2-1 aufs Feld und setzte damit auf eine größere defensive Kompaktheit und auf eine Überzahl im Mittelfeld.

Die Strategie ging auf, von den letzten zehn Spielen gewann Arsenal neun und holte sich den FA Cup.

Zwar wäre es voreilig, daraus zu schließen, Wenger würde von der Vorliebe zum schöngeistigen Fußball komplett abrücken. Es liegt jedoch nahe, dass das System mit Dreierkette nach dem starken Endspurt auch künftig zumindest eine ernsthafte Option für Arsenal sein wird.

Wenger wird seine Spielidee nicht revolutionieren, aber vermutlich insofern neu ausrichten, dass eine größere systematische Flexibilität Arsenal schwieriger ausrechenbar machen würde.

Was bedeutet der Rekordtransfer von Alexandre Lacazette?

Jahrelang waren die Gunners-Fans über Wengers defensive Transferpolitik frustriert. Ihren Höhepunkt fand die Kritik im Sommer 2015, als Arsenal trotz hohen Budgets lediglich Petr Cech (14 Millionen Euro) und Mohamed Elneny (12,5 Millionen Euro) verpflichtete.

Vor diesem Hintergrund hatte die in der vergangenen Woche bestätigte Verpflichtung von Alexandre Lacazette Signalwirkung. Für den Angreifer, der in den letzten drei Ligue-1-Saisons 27, 21 und 28 Tore erzielte, legte Wenger 53 Millionen Euro auf den Tisch. Jetzt schon eine vereinsinterne Rekordsumme, die durch Boni noch auf etwa 60 Millionen Euro anschwellen könnte.

Wenger hatte sich lange geweigert, die utopischen Summen, die speziell bei Transfers in die Premier League zur Normalität geworden sind, zu bezahlen. Mit Lacazette setzte er deswegen ein Zeichen - nach außen wie nach innen.

Einerseits zeigte er damit seinen Kritikern, dass er nach der durchwachsenen Saison bereit ist, seine Politik zu überdenken und vom Sparkurs abzuweichen, um die Gunners wieder in die Spitze zu führen. Dass er bereit ist, neue Wege zu gehen.

Andererseits erhofft sich Wenger, durch seine neue Investitions-Bereitschaft Argumente für die anstehenden Vertragsverhandlungen mit Leistungsträgern zu haben. Im Jahr 2018 laufen unter anderem die Verträge von Alex Oxlade-Chamberlain, Aaron Ramsey, Mesut Özil und Alexis Sanchez aus.

Besonders bei den letzteren Stars gestalten sich die Gespräche seit geraumer Zeit schwierig. Während die Chancen auf eine Verlängerung des Chilenen wohl eher gering sind, könnte Wenger bei Özil durch eine geänderte Strategie auf dem Transfermarkt Argumente sammeln.

Dem Vernehmen nach stocken die Verhandlungen mit dem Weltmeister nicht nur wegen der Gehalts-Forderungen, sondern auch aufgrund der sportlichen Perspektive. Eine gezielte Verstärkung des Kaders könnte deshalb Wengers Position verbessern.

Zumindest äußerte Özil bereits Vorfreude auf das Zusammenspiel mit dem Franzosen.

Auf welchen Positionen hat Arsenal noch Transfer-Bedarf?

Mit seinen ersten beiden Transfers zeigte Wenger, dass er sich der Kritik über die vermeintlichen Schwachstellen des Kaders angenommen hat.

Olivier Giroud spielt als Mittelstürmer zwar seit Jahren stark, steht jedoch durchgehend in der Kritik und genügt mit seiner Torquote (11, 16, 14, 16 und 12 Premier-League-Tore) allerdings nicht allerhöchsten Ansprüchen. Von der Lacazette-Verpflichtung verspricht sich der Elsässer eine Verstärkung in der vorderster Front.

Zudem ist Sead Kolasinac das erhoffte Upgrade auf der linken Defensivseite.

Ein offensichtlicher Bedarf entstünde darüber hinaus im Falle eines Abgangs von Alexis Sanchez. Die Situation um den chilenischen Offensivstar ist kompliziert. Sein Vertrag läuft 2018 aus, bislang sind Verhandlungen über eine Verlängerung gescheitert. Seit gefühlten Ewigkeiten halten sich die Wechselgerüchte.

Der FC Bayern München und Paris Saint-Germain sind offenbar aufgrund der horrenden Gehaltsforderungen des Angreifers aus dem Rennen ausgestiegen. Manchester City soll angeblich Favorit auf eine Verpflichtung sein. Allerdings hängte Arsenal seiner Nummer 7 laut Daily Mirror ein Preisschild in Höhe von 90 Millionen Euro um. Eine Summe, die Guardiola nicht bereit ist zu zahlen.

Wenngleich sich das Hickhack um Sanchez noch hinziehen dürfte, sieht sich Arsenal bereits nach Ersatz um. Und der könnte ähnlich kostspielig werden wie Lacazette.

Übereinstimmenden Medienberichten zufolge plant Wenger nach bereits zwei Abfuhren einen dritten Anlauf bei Monacos Thomas Lemar.

Der 21-Jährige gehörte in der vergangenen Saison zu den Shooting Stars der Monegassen und würde in das Beuteschema der Gunners passen: Er ist offensiv flexibel einsetzbar und dynamisch, außerdem hat der Verein unter Wenger eine Tradition talentierter französischer Spieler.

Nachdem Arsenal mit Angeboten in Höhe von 35 bzw. 45 Millionen Euro abgeblitzt ist, soll Wenger nun bereit sein, 51 Millionen Euro plus Bonuszahlungen zu berappen. Es wäre ein weiterer Beweis des Kurswechsels, wäre es doch der zweitteuerste Transfer der Vereinsgeschichte.

Eine Alternative könnte Riyad Mahrez von Leicester City sein. Englands Fußballer des Jahres 2016 betonte zuletzt, die Foxes verlassen zu wollen und war im Zuge dessen mit Arsenal in Verbindung gebracht worden. Sollte Wenger im Poker um Lemar leer ausgehen, könnte der Algerier ein Thema werden. Auch für ihn müsste er tief in die Tasche greifen. Die bislang geforderten 60 Millionen Euro sollen Wenger jedenfalls abschrecken.

In der Innenverteidigung ist eine qualitativ hochwertige Verpflichtung ebenfalls nicht unwahrscheinlich. Per Mertesacker zeigte zum Ende der vergangenen Saison, dass er nach wie vor auf hohem Niveau verteidigen kann. Der Weltmeister geht jedoch in seine letzte Spielzeit als Aktiver und dürfte die eine oder andere Verschnaufpause brauchen. Shkodran Mustafi überzeugte in seiner ersten Saison nicht immer, auch die Leistungen von Laurent Koscielny und Gabriel Paulista schwankten.

Darüber hinaus könnte auch Hector Bellerins Abgang zum FC Barcelona die Position des Rechtsverteidigers vakant machen.

Welche Rolle hat Jens Lehmann im Trainerteam von Arsene Wenger?

Die Nachricht über Jens Lehmanns Rückkehr zum FC Arsenal kam überraschend. Der legendäre Torhüter der Invincibles, die im Jahre 2004 ungeschlagen zum englischen Meistertitel marschierten, kehrt als Assistent in Arsene Wengers Funktionsteam zurück.

Gegenüber der Bild bestätigte Lehmann, dass er den Kontakt zu seinem ehemaligen Trainer hergestellt habe: "Ich habe ihn angesprochen. Es gab dann noch zwei weitere Gespräche, in denen ich ihm gesagt habe, was ich beitragen kann."

Seine Rolle sieht der 47-Jährige "mehr oben auf der Tribüne sein als unten auf der Bank". In erster Linie gehe es darum, zuzuhören und zu lernen. Auf lange Sicht sieht sich Lehmann auch in der Rolle des Cheftrainers bei einem Klub: "Das Ziel ist es, irgendwann selbstständig zu arbeiten."

Aus Arsenal-Sicht könnte die Verpflichtung Lehmanns aus zwei Gründen wertvoll werden. Einerseits ist der Deutsche im Verein eine Ikone. Er machte in der letzten Meistersaison 2003/2004 alle 38 Saisonspiele und war als Neuzugang direkt Leistungsträger und Führungsspieler.

Lehmann besitzt im Verein eine große Strahlkraft und soll dem aktuellen Kader das Siegergen weitergeben.

Darüber hinaus könnte er einen wichtigen Einfluss auf den deutschen Block im Kader haben. Neben Per Mertesacker, der in seine letzte Saison als Aktiver geht, Mesut Özil und Shkodran Mustafi haben die Gunners mit Sead Kolasinac einen deutsch-bosnischen Verteidiger verpflichtet.

Zwar spricht Wenger exzellentes Deutsch und arbeitet schon seit Jahren vertrauensvoll mit einem großen Block deutschsprachiger Spieler zusammen - Mertescker ist ja sogar Kapitän. Die Ergänzung des Trainerteams durch eine deutsche Vereinsikone kann aber dennoch nicht schaden.

Zumal Lehmann ein Mann klarer und kritischer Worte ist, der bereits in der jüngeren Vergangenheit regelmäßig den Finger in die Wunde gelegt hat. So kritisierte er unter anderem die Einstellung von Özil: "Du musst mental ein großer Spieler sein, nicht nur im Dribbling." Auch Mustafis durchwachsene Saison sprach er deutlich an.

Lehmann gab zwar an, sich eher im Hintergrund aufzuhalten, von seiner Ausstrahlung, seinem kritischen Blick und seiner klaren Ansprache kann Wenger jedoch profitieren.