Nach dem 3:2-Sieg gegen Newcastle United erzählte Mourinho von einem Gespräch mit einem Freund, das er am Morgen vor dem Spiel geführt hatte. Dabei ging es nicht um Fußball, es ging um Wetter und Politik. Eigentlich ging es aber auch nicht um Wetter und Politik, sondern um Mourinhos Selbstverständnis als ungerechtfertigter Sündenbock. "Mein Freund meinte zu mir", erzählte Mourinho, "wenn es morgen in London regnet, bist du schuld. Und wenn es Probleme bei den Brexit-Verhandlungen gibt, bist auch du schuld."
Was er damit sagen wollte: Er fühlt sich ungerecht behandelt. Es gebe von allen Seiten "viel Boshaftigkeit, zu viel Boshaftigkeit", beklagte Mourinho noch, und gar eine "Hetzjagd" gegen ihn. Die Vereinsführung um Geschäftsführer Ed Woodward verweigerte ihm im Sommer die gewünschten Transfers und dann wird sich auch noch allerorts gewundert, dass es (wie von ihm schon vor der Saison angekündigt) sportlich nicht läuft? Ungerecht.
Aber Mourinho kann natürlich mit all der Boshaftigkeit und mit der Hetzjagd umgehen, denn: "Ich bin erwachsen, ich bin schon ein großer Junge." Es war sein Konter gegen alle, die ihn zuvor abgeschrieben hatten.
Mourinho hatte schließlich ein Wochenende Irrsinn überlebt.
Jose Mourinhos Freitag: bizarre Pressekonferenz, Entlassungs-Vermeldung
Vor dem Spiel gegen Newcastle war United seit drei Pflichtspielen sieglos und in der Premier-League-Tabelle auf Platz zehn abgerutscht. Der Fußball der Mannschaft ist unansehnlich, Mourinho soll zwischenmenschliche und taktische Differenzen mit einem Großteil des Kaders haben. Es wurde über seine Entlassung spekuliert.
Dass es also ohnehin ein langes Wochenende für ihn werden würde, war von vornherein klar. Aber um das Wochenende in fast schon masochistischer Manier sogar noch ein bisschen länger werden zu lassen, verlegte Mourinho den Trommelwirbel für das Spiel - die obligatorische Pressekonferenz - am Freitag von 11 auf 8 Uhr vor. Warum auch immer.
Dann nahm er die Konferenz mit der Presse zum Anlass, das Wort "Pressekonferenz" einfach neu zu definieren. Von Konferieren konnte nämlich keine Rede sein, die Wortanzahl seiner Antworten pendelte sich zunächst im einstelligen Bereich ein. Als Mourinho schließlich gefragt wurde, ob die Fans sicher sein könnten, dass er alles tue, um die Krise zu bewältigen, erreichte die Wortanzahl seiner Antwort exakt Null. Mourinho starrte Richtung Journalisten und sagte gar nichts. Nach etwa 3:30 Minuten verließ er den Raum.
"Wir wissen, dass wir gewinnen müssen", hatte er kurz zuvor noch erklärt. Gewinnen, damit United nicht gänzlich den Anschluss an die Spitzengruppe verliert. Gewinnen, damit Mourinho nicht seinen Job verliert. Zweiterem Fakt widersprach einige Stunde später der Mirror unter Berufung auf vereinsinterne Quellen: Völlig egal ob er gewinnt oder nicht - entlassen wird Mourinho ohnehin.
Jose Mourinhos Samstag: 3:2 nach 0:2 gegen Newcastle
Der Verein reagiert am Samstagmorgen und nannte die Meldung "Nonsense". Am späten Nachmittag dann lief die Mannschaft ins Old Trafford, das zuletzt am 10. August einen United-Sieg gesehen hatte. Als eine TV-Kamera Mourinho verfolgte, spritzte dieser mit einer Wasserflasche gegen das Objektiv.
Wenig später lag United gegen Newcastle, das überhaupt noch keinen Saisonsieg vorzuweisen hatte, mit 0:2 zurück. Zweimal patzte Ashley Young, Kenedy (7.) und Yoshinori Muto (10.) nutzten das aus. Bereits Mitte der ersten Halbzeit wechselte Mourinho für den Verteidiger Eric Bailly den Offensivspieler Juan Mata ein. Er war es auch, der in der 70. Minute per direktem Freistoß auf 1:2 verkürzte. Dann traf Anthony Martial nach genialer Vorarbeit von Paul Pogba (76.), ehe Alexis Sanchez mit seinem erst vierten Pflichtspieltor für United in der 90. zum Sieg traf.
Martial, Pogba und Sanchez waren die Helden der Aufholjagd. Drei, die angeblich die größten Differenzen mit ihrem Trainer haben sollen. "Wollt ihr mich sterben sehen?", hatte Pogba etwa nach der 1:3-Niederlage gegen West Ham United am vorangegangenen Wochenende geantwortet, als er nach seinem Verhältnis zu Mourinho gefragt wurde. Schweigend und lebend ging er einfach weiter.
Jose Mourinhos Zukunft: Chelsea, Juve, das Wetter und der Brexit
Stehen sie also doch noch zu Mourinho, die Spieler? Gegen Newcastle zumindest schien es so, anders ist diese Willensleistung kaum zu erklären. Die Fans? Die sangen nach dem 3:2 lautstark Mourinhos Namen. Und Geschäftsführer Woodward, der Mourinhos Entlassung bereits beschlossen haben soll? Der saß recht regungslos auf der Tribüne und vollzog zumindest bisher keine Entlassung - während die Kritik an seinem Kurs zunimmt.
Jetzt ist Länderspielpause, Mourinho darf vorerst weiterhin United trainieren und seine Mannschaft auf die anschließenden Spiele vorbereiten: in der Premier League beim FC Chelsea, in der Champions League gegen Juventus Turin.
Und nebenher sollte er besser auch für Sonnenschein sorgen und die Brexit-Verhandlungen zum Abschluss bringen.