Bert Trautmann, der Feind in unserem Tor: Wie ein verhasster Deutscher bei Manchester City zur Legende wurde

Von Dennis Melzer
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Wenn die Insassen einmal nicht dem runden Leder hinterherjagten, mussten sie sich einem Entnazifizierungsprogramm unterziehen, bekamen die schrecklichen Bilder aus den Konzentrationslagern vorgesetzt. Leichenberge, Menschen, die dem Hungertod nahe waren. Eine Maßnahme, die allerdings nicht jeden zum Umdenken bewegte, weiß Rosenmüller: "Die große Problematik für die englischen Soldaten in den Gefangenenlagern bestand darin, dass es Deutsche gab, die immer noch ans Dritte Reich geglaubt haben. Andere haben sich plötzlich gefragt: 'Wo bin ich da mitgerannt?' Zudem gab es Leute, die von Hause aus Sozialdemokraten beziehungsweise Hitlergegner waren. Es gab verschiedene Denkweisen. Niemand wusste so recht, wer was gewusst hat, weil auch kaum jemand darüber reden wollte."

Nach und nach wurden seine einstigen Kameraden zurück nach Deutschland geschickt. Trautmann fühlte sich in England aber so wohl, dass er sich dazu entschloss, zu bleiben. Er arbeitete zunächst auf einem Bauernhof in Milnthorpe, danach bei der Kampfmittelbeseitigung in Huyton. Sein Hauptaugenmerk richtete Bert, wie der gebürtige Bernhard aufgrund seines schwer auszusprechenden Namens von den Engländern genannt wurde, aber auf den Sport.

Trautmann heuerte beim Amateurklub St. Helens Town FC als Torwart an und war schon bald Gesprächsthema Nummer eins im Dunstkreis der Kleinstadt. Auch die Presse bekam Wind davon, dass dort in der englischen Provinz ein Deutscher, ein "Kraut", die Zuschauer mit seinen unglaublichen Sprüngen, Abstößen und Würfen beeindruckte. "Die Art, wie er den Ball aus der Luft schnappte, war unglaublich und sein Hechten war ziemlich spektakulär", schrieb das St. Helens Newspaper beispielsweise nach einer abermaligen Glanzleistung. Nach einem Heimaturlaub 1949, als er erstmals seit seiner Gefangennahme nach Bremen reiste, lernte er Margaret Friar (im Film gespielt von der schottischen Nachwuchsschauspielerin Freya Mavor), die Tochter des Vereinsdirektors Jack, kennen. Die beiden heirateten nur ein Jahr später.

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Längst waren größere Klubs aus England auf Trautmann aufmerksam geworden, dessen Vertragsverlängerung in St. Helens zuvor für Jubelarien und zahlreiche Artikel der ortsansässigen Zeitungen geführt hatte. "Der Verein wusste vor meiner zweiten Saison, dass ich nicht zu halten war. Es gab Anfragen von Arsenal, Tottenham, Everton, Manchester United und City. Das finanziell beste Angebot hatte ich allerdings aus Burnley", verriet Trautmann 11Freunde und schilderte, wie es letztlich doch zum Wechsel zu den Skyblues aus Manchester kam: "Die City-Verantwortlichen lockten St. Helens' Direktor Jack Friar zu vermeintlichen Verhandlungen nach Manchester, standen aber plötzlich vor meiner Tür. Ich lag an dem Tag mit einer Grippe im Bett. Sie schwärmten von mir und hatten einen Vertrag dabei. Ich wollte sie einfach nur loswerden - weil ich auf die Toilette musste. Doch sie redeten weiter. Irgendwann hatte ich genug und unterschrieb. Von dem Tag an war ich ein Citizen."

Bei City sollte Trautmann den beliebten Nationaltorhüter Frank Swift beerben. Ein Vorhaben, das sich als nicht sonderlich einfach herausstellen sollte. Die Engländer waren den Deutschen nur wenige Jahre nach Kriegsende mehrheitlich immer noch feindlich gesonnen. Ein deutscher Schlussmann ausgerechnet in Manchester, das ganz besonders unter dem aggressiven Kriegsgebaren des Dritten Reichs zu leiden hatte, immer noch die Wunden aus etlichen Luftangriffen der Hitler-Streitkraft leckte. Als die Manchester Evening News verkündete, dass der Klub einen Deutschen namens "Berg Trautmann" unter Vertrag nehmen werde, brach sich eine Welle der Entrüstung Bahn. Besonders die jüdische Gemeinde Manchesters, die sich eher zu City als zum Rivalen United hingezogen fühlte, ging auf die Barrikaden. In der Geschäftsstelle stapelten sich die Beschwerdebriefe, einige Fans gaben ihre Dauerkarten aus Protest ab.

"Ich habe zum Glück noch in St. Helens gewohnt und von den Demonstrationen erst aus der Zeitung erfahren.", sagte Trautmann mit Hinblick auf den Gegenwind. "Ich bin froh, dass ich damals nicht vor Ort war, denn ich weiß nicht, wie ich das verarbeitet hätte. Wenn ich hätte erleben müssen, wie man mich persönlich angreift, wäre ich wahrscheinlich nie in England geblieben." Der in Manchester sehr angesehene Rabbiner Dr. Alexander Altmann schritt ein, appellierte an die Einwohner, den Deutschen nicht vorzuverurteilen. Der Wissenschaftler, der einst selbst aus Nazideutschland geflüchtet war und um seine Strahlkraft wusste, schrieb einen offenen Brief: "Wenn dieser Fußballer ein anständiger Kerl ist, dann kann ich keinerlei Nachteil erkennen. Jeder muss nach seinem persönlichen Wert beurteilt werden."

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Rosenmüller greift die Geschehnisse im Film auf, lässt Margaret Friar den Brief zitieren. "Der Brief von Rabbi Alexander Altmann, der in Manchester veröffentlich wurde, hat die Leute zum Umdenken bewegt", sagt der 45-Jährige und schiebt nach: "Aber auch der Rückhalt der Familie und der Zusammenhalt innerhalb seiner Mannschaft haben Trautmann dabei geholfen, das Ganze zu überstehen."

Denn: Von seinen Teamkollegen wurde der Neue wohlwollender aufgenommen als vom Rest der Stadt. City-Kapitän Eric Westwood, der im Krieg gegen Deutschland gekämpft hatte, empfing ihn mit den Worten: "Es gibt keinen Krieg in dieser Kabine. Wir heißen Dich willkommen wie jeden anderen. Fühl Dich wie zu Hause, und viel Glück!" Zu Beginn kam Trautmann für die Amateure zum Einsatz. Bei Spielen der Zweitvertretung, bei denen traditionell nur eine Handvoll Zuschauer anwesend war, drängten sich die neugierigen Fans ins Innere des Stadions. "Man konnte mich nicht schützen. Ich stand im Fokus", sagte Trautmann. "Zu meinem ersten Spiel bei Barnsley kamen 27.000 Zuschauer ins Stadion. Normalerweise gingen zu so einer Partie maximal 2000. Alle wollten den Deutschen sehen. Ich habe mich gefühlt wie ein Affe im Zoo."

Schon bald lief Trautmann für das Profiteam auf. Der Widerstand gegen den Deutschen im City-Tor ebbte zumindest in Manchester recht schnell ab. Weil der Torhüter sich mit seinen teils schier unglaublichen Paraden in die Herzen der Anhänger spielte. Er wurde für sein Stellungsspiel gefeiert, seine Abwürfe, die häufig zu gefährlichen Gegenangriffen führten, waren bei den gegnerischen Mannschaften genauso gefürchtet wie seine Fähigkeit, die Abschlüsse der Angreifer zu lesen.

Den großen Durchbruch feierte Trautmann nicht vor heimischer Kulisse. ManCity gastierte beim FC Fulham, der zu jener Zeit zu den spielstärksten Mannschaften des Landes zählte. In London, das als Hauptstadt während des Krieges enorm unter den deutschen Bomben gelitten hatte, bescherten die Fans Trautmann ein denkwürdiges "Willkommen". Beleidigungen, Schmähgesänge und andere Feindseligkeiten schwappten durch die Spielstätte.

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Das Match entwickelte sich zu einem einzigen Sturmlauf der Cottagers, Trautmann sah Angriff um Angriff auf sich zurollen. Am Ende stand ein 0:1 aus City-Sicht auf der Anzeigetafel. Ein Ergebnis, das ohne die Darbietung des Bremers deutlich höher ausgefallen wäre. Bedeutender als das Resultat war allerdings die Reaktion der anfangs noch wütenden Fans auf den Rängen. Trautmann hatte sie mit seinen fantastischen Reflexen dazu animiert, ihm, dem Torhüter des Gegners, mit Standing Ovations größtmöglichen Respekt zu zollen. Auch die gesamte Fulham-Truppe stand nach Abpfiff Spalier und applaudierte dem unbeugsamen Teufelskerl, über den Russlands Torwart-Legende Lev Yashin eines Tages sagen würde: "Es gibt nur zwei Weltklassetorhüter: Der eine ist Lev Yashin, der andere ein junger Deutscher, der bei Manchester City im Kasten steht: Trautmann."