Eigentlich ist die Rechnung ja ganz einfach. Hier Tottenham Hotspur, das seit einem League-Cup-Triumph von 2008 und somit seit fast zwölf Jahren sehnsüchtig auf einen Titelgewinn wartet. Dort Trainer Jose Mourinho, der seit seinem Engagement beim FC Porto (2002 bis 2004) bei jedem seiner Vereine Titel gewonnen hat. Sogar stets mehr als einen, insgesamt 24 Stück.
Passt also? Passt nicht! Denn die Frage bei Mourinho ist der Preis und der ist viel zu hoch. Dabei geht es natürlich nicht um das Gehalt, sondern um ganz andere Dinge.
Jose Mourinho: andere Menschenführung, andere Spielweise
Es geht zum Beispiel um die Menschenführung. Schuf Mourinho bei seinen ersten Stationen noch eine Wir-gegen-alle-Mentalität, brüskierte er zuletzt stets etliche eigene Spieler mit öffentlicher Kritik und hatte dadurch schnell große Teile der Mannschaft gegen sich. Mourinho verließ seine Vereine oft in einem vollkommen zerrütteten Zustand, zuletzt Manchester United.
Obwohl Pochettino seine Spieler mit harten Trainingseinheiten extrem forderte, mochten sie ihn bis zuletzt. Das zeigen die Reaktionen auf die Trennung: Harry Kane und Dele Alli nannten ihn in ihren Abschiedsbotschaften exemplarisch "einen Freund".
Außerdem geht es um die Spielweise. Mourinho predigt einen Außenseiterfußball, selbst als Trainer von Favoriten-Vereinen wie Real Madrid oder Manchester United. "Es gibt viele Dichter im Fußball, aber die gewinnen keine Titel", sagte er mal. Es ist eine Aussage, die Mourinhos Denkweise perfekt zusammenfasst. Mit seinen 56 Jahren wird er sich bei Tottenham nicht ändern. Nein, er wird Tottenham ändern und das ist schade.
Tottenham zelebrierte unter Pochettino nämlich abgesehen von den vergangenen Wochen stets einen mitreißenden Fußball: hohes Pressing, schnelles Umschaltspiel, eine perfekt abgestimmte Offensivabteilung. Statt teure Transfers zu tätigen (teils wegen des Stadionneubaus gezwungenermaßen), förderte Pochettino viele Spieler aus der eigenen Nachwuchsabteilung sowie zunächst unbekannte und entwickelte sie entscheidend weiter.
Mauricio Pochettino und das tragische Ende einer großen Ära
Tottenham weckte unter Pochettino ganz automatisch Sympathien, weil es ein Verein mit Wiedererkennungswert war. Und einer, der besser war als die Summe seiner Einzelteile. Seit den 1960er Jahren spielte Tottenham nicht mehr so lange so konstant auf so hohem Niveau und so erfolgreich wie unter Pochettino. Damals gewann Tottenham unter dem legendären Bill Nicholson seinen bis heute letzten Meistertitel (1961).
Umso tragischer ist es, dass die Ära Pochettino ohne Titelgewinn blieb. Dass das so kommen wird, deutete sich bereits seit vergangenem Winter an. Der Durchmarsch ins letztlich verlorene Champions-League-Finale kaschierte lediglich viele Missstände. Einige Schlüsselspieler (am deutlichsten Christian Eriksen) kokettieren mit einem Abschied, weil sie den Glauben an einen Titelgewinn mit Tottenham verloren haben.
So herzzerreißend es auch ist, aber die Trennung von Pochettino erschien ob dieser Entwicklung fast schon unausweichlich. Manchmal braucht es einfach neue Impulse, obwohl es eigentlich perfekt passt. Wie damals bei Jürgen Klopp und Borussia Dortmund.
Jose Mourinho wird bei Tottenham einiges kaputtmachen
Keinen Sinn machen aber der Zeitpunkt mitten in der Saison und die Nachfolgerwahl. Der Verein hätte diesen Schritt im vergangenen oder im kommenden Sommer gehen sollen. Und in Ruhe einen Nachfolger auswählen, der Pochettinos hervorragende Arbeit auf lange Sicht weiterführen kann. Zum Beispiel Eddie Howe, der beim AFC Bournemouth seit Jahren überzeugt.
Stattdessen kommt nun Mourinho. Weil er verfügbar ist, weil er einen großen Namen hat und am wichtigsten, weil er eine vermeintliche Titelgarantie mit sich bringt. Völlig egal, ob er diese Sehnsucht des Klubs erfüllt oder nicht: Mourinho wird bei Tottenham einiges kaputt machen, was Pochettino in seiner fünfeinhalbjährigen Amtszeit aufgebaut hat.