"Ich will nicht sagen, dass dieses 0:9 notwendig war, aber es war ein gutes Resultat, um Grundlegendes verändern zu können", sagte Hasenhüttl nun in einem Interview mit dem kicker. Die Saints hätten ihr "Spiel auf ganz andere Beine gestellt".
Die Folge: In einer Premier-League-Saison, die bisher vor allem durch ihre Inkonstanz, ihre spielerischen Unzulänglichkeiten und das Stolpern der großen sechs Klubs gekennzeichnet ist, ist es geradezu erfrischend, Southampton zu beobachten.
Auch die Saints sind freilich nicht immun gegen das übliche Chaos im Fußball inmitten der Corona-Pandemie, siehe ihr 2:5 gegen Tottenham im September, aber sie geben einem dank der taktischen Raffinesse unter Trainer Ralph Hasenhüttl das Gefühl, auf dem Weg zu einer Spitzenmannschaft zu sein.
"Die größten Unterschiede sind die Rückkehr zur Viererkette und die Spielanlage nach Ballgewinn. Man kann jetzt nicht mehr sagen, dass wir nur eine gute Pressingmannschaft sind und immer nur schnell nach vorn spielen. Wir sind viel abgeklärter geworden, gehen auch mehr ins Risiko", sagte der Coach dem kicker.
Hasenhüttl hat Southampton auf links gedreht
Am vergangenen Wochenende stürmte Southampton sogar vorübergehend die Spitze der Premier League - und das, obwohl beim 2:0 gegen Newcastle mit Danny Ings und Ryan Bertrand zwei der wichtigsten Spieler fehlten. Vermisst wurden sie aber kaum, das Spiel der Saints blieb auch ohne sie das Spiel der Saints.
Der Ursprung der aktuellen Erfolgsgeschichte der Saints liegt in der coronabedingten Unterbrechung im Frühjahr. Damals habe man sich gesagt, "jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um mit mehr Risiko Fußball zu spielen. Wir sind in der Tabelle sicher, können nicht mehr absteigen. Wenn wir es jetzt nicht ausprobieren, wann dann?", so Hasenhüttl.
"Im Rückblick war es die genau richtige Entscheidung, weil wir da die größten Entwicklungsschritte mit Ball gemacht haben. Inzwischen sind wir in jedem Bereich des Spiels viele Schritte vorwärtsgekommen, und das ist der Grund, warum wir erfolgreich sind."
In der Rückrundentabelle der vergangenen Spielzeit belegte Southampton schon Platz sechs, nach dem eher schwachen Saisonstart mit zwei Niederlagen zum Auftakt belegt das Team nun Platz vier - und das mit einem unverwechselbaren Southampton-Fußball.
Southampton spielt ausnahmslos aus einer 4-2-2-2-Grundordnung heraus, die Hasenhüttl einst schon beim FC Ingolstadt in der Bundesliga spielen ließ. Sein Jagdfußball zeichnet sich durch permanent laufende Mittelstürmer und Flügelspieler aus, die immer wieder in die Halbpositionen stoßen.
Das Pressing ist aber situativer als früher, seit dieser Saison legt Southampton aber auch auf längere Ballbesitzphasen Wert, um den Spielern Ruhepausen während des Spiels zu ermöglichen. Aus diesen Ballbesitzphasen heraus spielt das exzellente Southampton-Mittelfeld entweder lange Bälle nach vorne auf die Stürmer oder wählt den riskanten Weg mit scharfen, vertikalen Pässe zwischen die Linien.
Hasenhüttls Southampton wirkt wie ein NFL-Team
Es ist ein hochkomplexes und dynamisches System, das sich auf choreografierte Automatismen stützt und durch die Hasenhüttls Saints das Gefühl eines NFL-Teams vermitteln, das nach einem Spielbuch arbeitet.
Diese Unverwechselbarkeit und taktische Raffinesse fehlt derzeit vielen großen Vereinen in der Premier League. Insbesondere dem FC Chelsea und Manchester United scheinen detaillierte taktische Anweisungen ihrer Trainer Frank Lampard und Ole Gunnar Solskjaer zu fehlen. Dementsprechend stehen beide Trainer schon in der Kritik.
Hasenhüttl, dessen Vertrag in Southampton bis 2024 läuft, hat seine Qualifikation unter Beweis gestellt. "Meine Frau und ich fühlen uns hier pudelwohl, wir lieben Südengland, die Menschen mögen uns. Und ich kann mich hier voll und ganz auf den Fußball konzentrieren, die Arbeit macht Riesenspaß. Ich kann hier im Verein alles bewegen, was ich bewegen möchte. Ich kann so handeln, wie ich es für richtig halte. Ich kann mir im Moment wirklich keinen schöneren Job vorstellen", sagte der Trainer zwar dem kicker.
Aber er ist definitiv bereit für einen der Top-Jobs in England.
Platz 1 auf der Wunschliste vieler Klubs dürfte zwar weiter Mauricio Pochettino belegen, der weitgehend ähnliche taktische Ideen hat wie Hasenhüttl. Doch wenn der frühere Tottenham-Coach demnächst vom Markt sein sollte - Juventus und Barcelona könnten bald einen neuen Cheftrainer brauchen - könnte Hasenhüttl bei United oder Chelsea schnell weiter nach vorne rücken auf der Wunschliste.
Hasenhüttl würde beim FC Chelsea Hasenhüttl-Spieler finden
Beide Klubs hätten bereits das Personal für eine Hasenhüttl-Revolution. Bei United hat Solskjaer den Grundstein für schnellen Gegenangriff-Fußball über Anthony Martial und Marcus Rashford gelegt. Die energiegeladenen Fred und Donny van de Beek im Mittelfeld scheinen prädestiniert für Hasenhüttls dynamisches Pressing.
Chelsea verbrachte den Sommer ohnehin damit, Hasenhüttl-Spieler unter Vertrag zu nehmen. Kai Havertz, Timo Werner, mit dem der Coach schon in Leipzig erfolgreich zusammengearbeitet hat, Hakim Ziyech und Christian Pulisic haben alle Erfahrung mit hart pressenden und abwechslungsreich spielenden Mannschaften im Stile Southamptons. Spieler wie Reece James und Ben Chilwell könnten zudem von konkreteren taktischen Vorgaben profitieren.
Kurzum: Chelseas Kader ist gespickt mir intelligenten jungen Fußballern, die bereit sind, von einem modernen Taktiker geformt zu werden. Unter Lampard mangelt es Chelsea derzeit wohl auch an Konstanz, weil die Spieler nicht genug komplexe Anweisungen von den Seitenlinien erhalten.
Wenn die Zeit für eine Veränderung kommt, wird Roman Abramovich Schwierigkeiten haben, einen besseren Kandidaten als Ralph Hasenhüttl zu finden.
Ralph Hasenhüttl: Seine Stationen als Trainer
Jahre | Verein |
2004 - 2005 | A2-Junioren SpVgg Unterhaching |
2007 - 2010 | SpVgg Unterhaching |
2011 - 2013 | VfR Aalen |
2013 - 2016 | FC Ingolstadt |
2016 - 2018 | RB Leipzig |
seit 2018 | FC Southampton |