Manchester United: Wie eine Familie den Klub zu ihrem Spielzeug gemacht hat

Fatih Demireli
18. August 202212:00
Die United-Fans sind schon lange mit der Glazer-Familie auf Kriegsfuß.imago images
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Manchester United steckt in einer sportlichen Sackgasse, die auch viel mit den Besitzern, der Glazer-Familie, zu tun hat. Sie haben den Verein heruntergewirtschaftet und selbst große Kasse gemacht, während die anderen Klubs gewachsen sind. Doch Manchester United ist immer noch so eine große Marke, die sie nicht freiwillig abgeben wollen. Immerhin: Der reichste Mann Englands ist interessiert - und auch Elon Musk?

Elon Musk hatte gerade wieder etwas Zeit zu twittern. Wobei: Die Zeit hat er eigentlich immer, aber diesmal hatte er so viel Zeit, dass er mit zwei Tweets die Welt in Aufruhr versetzte. Erst verkündete er seine politische Haltung, dass er den linken Flügel der Republikaner und den rechten Flügen der Demokraten in den USA unterstütze und füllte die Blätter in den Staaten. Und dann schrieb er: "Ich kaufe Manchester United, gern geschehen."

Auch wenn man fast davon ausgehen musste, dass es der reichste Mann der Welt nicht ernst mit United meint, rollte eine Musk-Lawine über den Fußball-Planeten. Dieses "ur welcome" am Ende des Tweets hatte schon was von Zlatan Ibrahimovic, der zu seinem Abschied bei den Los Angeles Galaxy 2018 eine ganzseitige Anzeige in der Los Angeles Time schaltete. "Dear Los Angeles, you're welcome", stand da. Sonst nichts.

Über Zlatan lachte man damals herzhaft und heute noch sorgt die Anzeige mindestens für ein Schmunzeln. Über Musk, der kurze Zeit später von einem Scherz sprach, konnten am Mittwoch die wenigsten lachen. Schon gar nicht die Anhänger von Manchester United. Sie haben seit Jahren die Sehnsucht nach jemanden, der die verhasste Glazer-Familie ablöst. Die Emotionen sind inzwischen so hochgekocht, dass man keine Scherze verträgt.

Wie denn auch? Mit jedem Jahr wird es gefühlt schlimmer. Schon als der Klub 2005 von Malcom Glazer gekauft wurde, hatte man keine Sympathien für einen Mann, der die Übernahme des Klubs fremdfinanzierte und über Nacht United mit Hunderten Millionen von Pfund verschuldete. Aber anfangs waren die sportlichen Erfolge noch da. Manchester City spielte keine Rolle, Sir Alex Ferguson holte die Titel, hatte einen sehr ansehnlichen Kader, alles war gut.

United-Fans haben das Old Trafford gestürmt, um gegen die Glazer-Familie zu protestieren.getty

Manchester United: Kommt es wieder zu einem Spielabbruch?

Doch jetzt spielt ManUnited nur noch eine Nebenrolle, der Stadtrivale Manchester City ist sportlich Lichtjahre entfernt, keiner der Ferguson-Nachfolger wurde Meister, der Kader ist maximal noch okay und nichts ist mehr gut. Schon als es noch nicht so dramatisch war, protestierten die Anhänger von United gegen die Glazers.

Jetzt, nachdem man nach zwei Spieltagen in der Premier League auf dem letzten Platz gelandet ist, weil man gegen Brighton & Hove Albion (1:2) und den FC Brentford (0:4) desaströs unterging, ist die Wut so groß wie nie. Vor dem Liga-Spiel am Montag gegen den FC Liverpool wollen die United-Fans abermals protestieren.

Schon einmal nutzten die United-Fans ein Liverpool-Spiel als Bühne für die ihre Proteste. Im Mai 2021 protestieren sie gegen die Absicht ihres Klubs, an der Super League teilzunehmen. Die Partie wurde daraufhin abgesagt. Zwar ist ein friedlicher Protest angekündigt, aber eine weitere Spielabsage wäre zumindest keine Sensation.

Erik ten Hag war sogar eine wohlüberlegte Idee

Während jahrelang nur die Finanzexperten wussten, wie es um den Klub steht, spürt es jetzt auch der letzte Fußball-Fan, dass etwas komplett in die falsche Bahn läuft. Dabei wollten es die Glazers diesmal anders angehen. Statt einen Schnellschuss auf der Trainer-Position zu wagen, scouteten und interviewten sie wochenlang einen fähigen Mann für die wichtigste Position ihrer Fußball-Abteilung und kamen auf Erik ten Hag.

Die Entscheidung schien Hand und Fuß zu haben, aber sie ließen den Niederländer nach dessen Verpflichtung mit den massiven Problemen, die Manchester United hat, allein zurück. Die Transfer-Saison ist eine einzige Farce: Unzählige große Namen wurden gehandelt, aber Hand und Fuß hat die Strategie nicht. Die Verkündung, dass ten Hag neuer Trainer wird, erfolgte im April. Man hatte also viel Zeit, um dem 52-Jährigen eine Mannschaft hinzustellen, mit der er arbeiten konnte. Stattdessen sucht United wenige Tage vor Schließung des Transferfensters noch mehrere Verstärkungen auf Schlüsselposition wie im Sturm.

Dass das alles so langsam voran geht, schiebt man vor allem den Glazers in die Schuhe. Sie lassen nicht erkennen, dass sie an einer nachhaltigen Entwicklung von Manchester United interessiert sind. Die Finanzbewegungen auf den Konten ist nach Informationen übereinstimmender Berichte groß, aber sie erfolgen meistens nicht nach England, sondern nach Tampa, wo die Glazer-Familie sitzt.

"Wir können auf die Spieler schimpfen, so viel wir wollen, aber es gibt so viele große Dinge, die zuerst in Ordnung gebracht werden müssen", sagt Klub-Legende Gary Neville über die Glazers: "Sie müssen auftauchen und sich stellen. Die Zeit ist gekommen! Sie können sich nicht weiter in Tampa verstecken und glauben, dass ihnen nichts passiert."

Die United-Fans sind schon lange mit der Glazer-Familie auf Kriegsfuß.imago images

Manchester United: Fakten des Wahnsinns

Der auf Twitter recht bekannte Finanzblogger Kieron O'Connor hat auf seinem Account Swiss Ramble zuletzt Recherche betrieben und Fakten serviert, die jede Wut der United-Anhänger verständlich macht.

  • United ist der einzige Premier-League-Klub, der Dividenden an seine Aktionäre ausschüttet, wobei der Großteil des Geldes an die sechs Mitglieder der Familie Glazer geht, die Anteile am Klub halten.
  • Seit der fremdfinanzierten Übernahme durch die Glazers im Jahr 2005 hat United 743 Millionen Pfund an Zinsen bezahlt.
  • Trotz aller Refinanzierungen ist die Bruttoverschuldung von United mit 592 Millionen Pfund seit dem Amtsantritt der Glazers praktisch unverändert.
  • Die Infrastrukturausgaben von United belaufen sich zwischen 2012 und 2021 auf gerade einmal 136 Millionen Pfund. Manchester City hat mit 374 Millionen Pfund fast dreimal so viel ausgegeben, während Tottenham für sein neues Stadion und Trainingsgelände rund 1,4 Milliarden Pfund ausgegeben hat.
  • Die Glazers haben zwischen 2012 und 2021 154 Millionen Pfund aus United herausgenommen. Kein Eigentümer der Premier League hat in den letzten zehn Jahren mehr Geld entnommen.
  • Die Glazers haben im Laufe der Jahre einige Anteile der Klasse A an United verkauft und dabei rund 465 Millionen Pfund eingenommen. Aber der Verein hat nichts von den Erlösen aus diesen Verkäufen erhalten.

Es sind Fakten, die jedem Fan wehtun und die Wut erhöhen. Auf Avram und Joel Glazer, die nach dem Tod ihres Vaters Malcolm die Kontrolle übernahmen und den Klub zu ihrem Spielzeug machten. Aber die Brüder sind nicht alleine: Die Familienmitglieder Kevin Glazer, Bryan Glazer, Darcie Glazer Kassewitz und Edward Glazer sitzen alle im Vorstand. Wie aus dem Jahresbericht hervorgeht, halten sie Aktien, die 97 Prozent aller Stimmrechte ausmachen. Es hat was von einer Fußball-Diktatur, was bei United herrscht.

Fatih Demirelis Kolumnespox

Manchester United war vor zwei Jahren Vizemeister

Zumal die Glazer-Familie auch nicht bereit ist, Macht abzugeben. Nach dem 0:4 gegen den FC Brentford wurde in den Medien gestreut, dass die Glazers bereit seien, eventuell ein paar Anteile abzugeben und offen für Angebote seien. Die Meldungen scheinen aber direkt aus dem Hause Glazer zu kommen, um etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auch in früheren Eskalationsphasen wurden ähnliche Meldungen gestreut, ohne dass es je zu einem Verkauf oder gar zu einem Gespräch kam.

Dass es keine Interessenten gibt, ist ohnehin auszuschließen. Sicher hat United sportlich derzeit eine schwierige Zeit, auch wenn man nicht vergessen darf, dass der Klub trotz aller Misere 2020/21 Vizemeister wurde und im selben Jahr im Europa-League-Finale stand (was man aber gegen den FC Villarreal verlor). Aber der Anspruch ist ein anderer und die Masse an Fans weltweit machen United für jeden Investor interessant.

Einer Studie von Bloomberg aus dem Jahre 2018 zu Folge hat United über 650 Millionen Fans weltweit - das würde knapp zehn Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Die Zahlen haben aber natürlich auch die Glazers, die ungern verkaufen - oder wer gibt schon freiwillig eine der bekanntesten Marken der Welt einfach so her?

Es müsste schon einen Preis geben, bei dem sie schwach werden. Einen Preis, den Musk hätte sicher bezahlen können. Einen, den auch Jim Ratcliffe sicher aufbringen kann. Der 69-Jährige gilt als der reichste Mann Englands, sein Vermögen soll bei 17 Milliarden Euro liegen.

Die Botschaft der Fans ist eindeutig.imago images

Steigt der reichste Mann Englands ein?

Ein Sprecher Ratcliffes bestätigte das Interesse des Chemie-Giganten in der Times: "Wenn so etwas möglich wäre, wäre Jim an Gesprächen im Hinblick auf eine langfristige Übernahme interessiert." Ratcliffe ist nach eigenen Angaben mit dem Klub emotional verbunden und Sport-Investment wäre für ihn auch nichts Neues.

2017 kaufte er den Schweizer Klub FC Lausanne. Zwei Jahre später kaufte er den OGC Nizza und investierte auch in das Radsportteam Sky. Formel-1-Fans dürfte sein Unternehmen Ineos auf den Aufklebern des Mercedes-Boliden bekannt sein. Dort ist Ratcliffe einer der Hauptsponsoren. Der Unternehmer wollte schon beim FC Chelsea zuschlagen, verlor das Rennen aber gegen Todd Boehly. Nun also Manchester United?

Zwar wird es wieder United-Fans geben, die ihm die Chelsea-Nummer übelnehmen, aber wer das größere Übel Glazer verhindern kann, ist wohl herzlich willkommen. Ob die Glazers sich davon aber beeindrucken lassen, ist zweifelhaft. Es müsste wohl schon eine horrende Summe sein, aufgrund derer sie in die Gespräche mit Ratcliffe einsteigen.

Oder doch mit Elon Musk? Als ihn ein Twitter-User am Mittwoch fragte, ob er die Nummer ernst meint, sagte er, dass er als kleiner Junge Fan von ManUnited war, er aber keine Sportklubs übernehme. Wenn doch, "dann nur ManUnited". Das ist kein Scherz, aber auch nur ein schwacher Trost.