Der FC Liverpool befindet sich bereits nach drei Spieltagen in der ersten Krise der Saison. Nach der 1:2-Niederlage gegen Manchester United sieht sich Trainer Jürgen Klopp mit einer Vielzahl an Problemen konfrontiert. Droht jetzt seine schwerste Zeit seit 2014, als der BVB im Winter auf einem Abstiegsplatz lag?
Drei Spieltage sind in der Premier League gespielt. Erst drei, wird sich der FC Liverpool denken. Alles ist noch offen, vieles kann - nein, muss sich sogar noch ändern. Als Jürgen Klopp sich nach der 1:2-Niederlage gegen Manchester United der versammelten Presse stellte, wirkte er niedergeschlagen. Wie jemand, dem gerade gesteckt wurde, dass ihn auf dem Heimweg ein mehrstündiger Stau erwarte.
Nach den besagten drei Spielen stehen die Reds auf dem 16. Tabellenplatz. Zwei Punkte, vier zu fünf Tore, kein einziger Sieg - in Deutschland erinnern sich schon jetzt viele an Klopps letzte Saison mit Borussia Dortmund. Damals stand der BVB zur Winterpause auf einem Abstiegsplatz.
Noch ist es für derartige Vergleiche zu früh. Trotzdem haben die Probleme des FC Liverpool nicht nur mit Pech oder Zufällen zu tun. SPOX und GOAL schauen auf die größten Baustellen des amtierenden Vizemeisters.
imago imagesFC Liverpool: Die Verletzungen
Caomhin Kelleher, Calvin Ramsay, Ibrahima Konaté, Joel Matip, Curtis Jones, Thiago Alcántara, Alex Oxlade-Chamberlain, Naby Keïta, Kaide Gordon, Diogo Jota, Darwin Núñez - keine schlechte Mannschaft, oder? Gut genug, um viele Mannschaften in der Premier League zu schlagen, könnte man meinen. Doch diese Liverpooler Elf besteht ausschließlich aus Spielern, die derzeit nicht zur Verfügung stehen. Kein Wunder, dass der Kader im Moment ein wenig kahl aussieht.
Angesprochen auf die Wechseloptionen sagte Klopp: "Wir hatten sonst noch Innenverteidiger und Kinder auf der Bank". Natürlich ist die Abwesenheit von Núñez selbst verschuldet, aber es ist nicht verwunderlich, dass der Trainer letzte Woche von einer "Hexe im Haus" in Kirkby gesprochen hat. Kaum mehr als zwei Wochen nach Beginn der Saison sind seine Optionen dezimiert worden.
Vor allem Thiago fehlt dem Team sehr. Er gibt sonst den Rhythmus und das Tempo des Spiels vor und verfügt über kreative Fähigkeiten, die gegen jeden Abwehrriegel wichtig sind. Im Angriff gingen den Reds zuletzt ebenfalls die Optionen aus. Fábio Carvalho musste das Fehlen von Núñez kompensieren, weil Roberto Firmino angeschlagen war und Jota fehlte.
Thiago, Matip und Konaté werden wohl noch bis mindestens Mitte September fehlen, Oxlade-Chamberlain sogar noch länger. In der Zwischenzeit muss Klopp Lösungen finden und hoffen, dass sich nicht noch mehr Spieler verletzen.
FC Liverpool: Zentrale Probleme
Dass Thiago nicht zu ersetzen ist, ist die eine Geschichte der aktuellen Krise an der Anfield Road. Die andere ist, dass auch darüber hinaus im Mittelfeld wenig zusammenläuft. Noch Anfang Juli reagierte Klopp sehr gereizt auf eine Nachfrage, ob man dort noch Bedarf habe. "Sagen Sie mir, welche Art von Spieler fehlt uns? Einer, der offensiv ist, 1,95 m groß und in den Strafraum kommt, um Bälle einzuköpfen?", sagte der 55-Jährige: "Was wollt ihr? Diese goldene Kuh, die absolut alles produziert, auch Milch?!"
Wie denkt der Trainer wohl sechs Wochen später darüber? Die Verletzungen kann er mit den Optionen kaum auffangen. Einige Spieler sind noch sehr jung, andere wie James Milner sind mit 36 weit über ihrem Zenit.
Spätestens nach diesem Saisonstart muss sich der FC Liverpool die Frage gefallen lassen, ob der wohl wichtigste Teil des Kaders nicht ausreichend durchdacht und geplant wurde. In den letzten Jahren waren die Reds erfolgreich damit, notfalls auch mal auf den richtigen Spieler zu warten. Aber ob das Aussitzen der Probleme in diesem Fall funktioniert? Kurzfristig ist das Mittelfeld bereits ein Problem, langfristig könnte es sich noch verschärfen. Das Thema brodelt bereits länger als ein paar Wochen.
Aller Anfang ist schwer: Liverpool kommt nicht aus den Startlöchern
Es braucht keine tiefgreifende Analyse, um festzustellen, dass es vielleicht keine allzu gute Idee ist, dem Gegner einen Vorsprung zu geben. Saisonübergreifend ist Liverpool in den vergangenen sieben Ligaspielen einem Rückstand hinterhergelaufen. Klopp kritisierte nach dem Unentschieden in Fulham die "Einstellung" seiner Spieler.
Auch wenn er nach dem United-Spiel betonte, dass es nicht daran gelegen habe, so gab es doch Ähnlichkeiten in der Art und Weise, wie seine Mannschaft mit der Intensität, der Körperlichkeit und dem Willen der Gastgeber umging.
Genau wie in Craven Cottage brauchte Liverpool eine halbe Stunde, um zur Ruhe zu kommen und einen Rhythmus zu finden. Genau wie in Craven Cottage lag man zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Tor zurück - und es hätte noch schlimmer kommen können.
Ob es nun an der Selbstzufriedenheit, der Fitness oder dem kollektiven Mangel an Selbstvertrauen liegt? Vielleicht ist es ja von allem etwas. In jedem Fall aber muss das Problem behoben werden. Am Samstag gegen AFC Bournemouth (16 Uhr im Liveticker) wird es dementsprechend wichtig sein, das erste Tor zu erzielen - auch für den Kopf.
FC Liverpool: Die Schlüsselspieler schwächeln
Wenn es für das Team nicht optimal läuft, braucht es Führungsspieler, die mit ihrer Leistung vorangehen. Bei all dem Gerede über die Verletzungsmisere und die Notwendigkeit von Neuverpflichtungen darf nicht übersehen werden, dass einige von Liverpools Starspielern im bisherigen Saisonverlauf weit unter ihren Möglichkeiten geblieben sind.
Virgil van Dijk macht beispielsweise ungewohnt viele Fehler. Beim Gegentor blieb er einfach stehen, statt Jadon Sancho aggressiv unter Druck zu setzen. Auch andere Spieler waren in der Nähe, aber diese bizarre Trance, in der sich der Niederländer zu befinden schien, war sinnbildlich für die Probleme des FC Liverpool. Was lange selbstverständlich schien, muss sich der Klub nun Schritt für Schritt wieder erarbeiten.
Auch Trent Alexander-Arnold, Jordan Henderson, Alisson Becker und Roberto Firmino waren zuletzt außer Form. Fabinho saß gegen Manchester United nur auf der Bank und Andy Robertson spielt nicht mit derselben Energie wie sonst. Vielleicht ist das schon das große Kernproblem, an dem Klopp priorisiert arbeiten muss: Die Schlüsselspieler wieder in Form zu bringen. Die Achse ist wichtiger als alles andere.
Sadio Mané fehlt dem FC Liverpool
Ein großer Teil des Erfolgs, der die Reds ausgezeichnet hat, beruhte auf den einzigartigen Fähigkeiten, die diese Achse aus individueller, aber auch aus ganzheitlicher Perspektive hat. Wenn auch nur einer dieser Spieler temporär durch Leistungsschwankung oder Verletzungen wegbricht, ist es schon schwer genug. Mit Sadio Mané ist nun aber einer der wichtigsten Akteure dauerhaft gegangen.
Er vereint Dynamik, Physis und Mentalität. Diese Mischung machte es nahezu unmöglich, ihn direkt zu ersetzen. Aus diesem Grund entschied sich Liverpool, einen anderen Weg einzuschlagen und Darwin Núñez als "echte" Nummer 9 zu holen. Er soll einen natürlicheren Mittelpunkt in der Offensive darstellen.
Der 23-Jährige wird erst noch in diese Rolle hereinwachsen müssen. Während der letzten Wochen wurde das ziemlich deutlich. Vermutlich hätte Klopp gegen Manchester United gern jemanden wie Mané gehabt, der meist eine zuverlässige Konstante im Angriff war - unabhängig davon, wie gut es für das Team insgesamt lief.
FC Liverpool: Hangover aus der letzten Saison?
In der vergangenen Saison lief es lange gut - und dann doch nicht. Es war eine sehr intensive Spielzeit. 63 Spiele, die alle wichtig waren und die oft genug sehr eng waren. Liverpool tat alles dafür, am Ende die Premier League oder die Champions League zu gewinnen - und scheiterte jeweils denkbar knapp.
Sie gewannen zwar die beiden nationalen Pokale, aber das Ende war bitter. Ein Punkt Rückstand auf Manchester City, die sich erst in den letzten Minuten am letzten Spieltag auf spektakuläre Art und Weise den Titel sicherten. Hinzu kommt die Niederlage gegen Real Madrid im Champions-League-Finale, obwohl man über weite Strecken überlegen war.
Es wäre nur menschlich, würde das Team an einer Art Hangover leiden. Es sieht oft so aus, als würde diese letzte Saison noch im Kopf der Spieler stecken. Als wäre das derzeitige Loch aus den Enttäuschungen kurz vor der Sommerpause entstanden. Ob an dieser Vermutung etwas dran ist, können nur die Beteiligten beantworten. Aber es wäre nachvollziehbar. Gleichzeitig hat Liverpool oft genug bewiesen, dass sie in der Lage sind, sich aus einem solchen Loch herauszuziehen.
Droht dem FC Liverpool die ganz große Krise?
Das Spiel gegen Bournemouth wird am kommenden Wochenende eine große Bedeutung haben. Gewinnen die Reds auch dieses Spiel nicht, droht eine tiefe Krise. Denn einher mit all den genannten Problemen geht auch eine Stimmung, die zunehmend ins Negative rutscht.
Lange war beim FC Liverpool alles gut. Im Moment ist das nicht mehr so. Auf dem Spielfeld gibt es Spieler, die sich streiten, Klopp spricht mit einem Augenzwinkern von einem Hexenfluch und in der Gerüchteküche gibt es erste Erzählungen von Spielern, die den Verein noch verlassen könnten.
Nichts davon ist außergewöhnlich. Alles gehört zu einer schwächeren Phase eines Top-Klubs dazu. Nach drei Spieltagen gibt es noch keinen Grund für Drama. Und doch wird das BVB-Szenario aus der Saison 2014/15 immer präsenter, je häufiger Liverpool Federn lässt. Bei den Fans ist schon jetzt eine gewisse Unruhe zu beobachten, weil man Angst hat, dass eine Ära zu Ende gehen könnte. Noch ist genug Zeit, um dieses Szenario abzuwenden.