Das Spiel war längst abgepfiffen. Auf dem Platz arbeiteten keine Fußballprofis mehr, sondern Greenkeeper. Aber der Goodison Park bebte immer noch. "Sack the Board, sack the Board, sack the Board", sangen tausende wütende Everton-Fans. Vorstand raus! Zumindest an diesem Samstag-Nachmittag war das aber gar nicht möglich. Die Führungsriege des Traditionsklubs war nämlich gar nicht erst gekommen.
"Der Vorstand des FC Everton wurde angewiesen, das heutige Premier-League-Spiel gegen Southampton nicht zu besuchen, da eine 'echte und glaubwürdige Bedrohung für ihre Sicherheit' bestehe", ließ der Klub am Vormittag auf seiner eigenen Website verlauten. Dies sei "eine noch nie dagewesene Entscheidung". Betroffen waren Präsident Bill Kenwright, Geschäftsführerin Denise Barrett-Baxendale, Finanz-Chef Grant Ingles sowie Direktor Graeme Sharp.
Sie sahen nur im Fernsehen, wie ihre Mannschaft eine 1:0-Führung verspielte und auf den vorletzten Tabellenplatz abrutschte. James Ward-Prowse drehte das Spiel mit einem Doppelpack für Schlusslicht Southampton, das nur noch wegen der schlechteren Tordifferenz hinter Everton rangiert. Die Mannschaft von Trainer Frank Lampard wartet seit mittlerweile neun Pflichtspielen auf einen Sieg, sieben davon gingen verloren.
Im Sommer investierte Everton auf dem Transfermarkt rund 78 Millionen Euro, um nach einer verkorksten Vorsaison wieder die Europapokalplätze anzugreifen. Stattdessen droht der erste Abstieg nach 69 Jahren Erstklassigkeit am Stück.
FC Everton: Fan-Kampagne widerspricht Klub-Bedenken
Aufgrund der bedenklichen Entwicklungen formierte sich die Fan-Kampagne NSNOW. Die Abkürzung ist eine Kreation aus dem englischen Wort "now" für "jetzt" und den Anfangsbuchstaben des lateinischen Klubmottos "Nil Satis Nisi Optimum" (Nichts als das Beste ist gut genug). Die Organisatoren hatten im Vorfeld des Abstiegsgipfel gegen Southampton Evertons Fans dazu aufgerufen, unabhängig vom Ergebnis nach Abpfiff als Protest im Stadion sitzenzubleiben.
Gleichzeitig beteuerte NSNOW, dass - anders als vom Klub kommuniziert - keine Gefahr für Einzelpersonen bestünde: "Jeder bei uns involvierten Fan-Gruppierung ist klar, dass alles friedlich ablaufen wird. Wir wissen nichts von irgendwelchen Drohungen." Die Polizeipräsenz in und um das Stadion war dennoch groß, nennenswerte Zwischenfälle gab es keine. Die Fans riefen lediglich Parolen gegen die Klubführung und zeigten zahlreiche kritische Banner.
FC Everton: Bill Kenwright gilt als Gesicht des Niedergangs
Die Wut der Fans richtet sich nicht direkt gegen Mehrheitseigner Farhad Moshiri, der sich eher im Hintergrund hält und den Goodison Park letztmals im Herbst 2021 besucht hat. Seit Moshiris Einstieg 2016 investierte Everton 560 Millionen Euro in neue Spieler und begann ein neues Stadion zu bauen. Die rund 860 Millionen Euro teure Arena mit 53.000 Plätzen am Ufer des Flusses Mersey soll 2024 eröffnet werden.
NSNOW fordert vom iranisch-britischen Milliardär aber "umfassende Änderungen in der Vorstands- und Führungsebene des Klubs" und die Verpflichtung von "kompetenten, erfahrenen Experten". Als Gesicht des sportlichen Niedergangs gilt Präsident Bill Kenwright, ein Vertrauter Moshiris. Der 77-jährige Filmproduzent ist seit 1989 für Everton tätig, seine aktuelle Position hat er seit 2004 inne. "18 Jahre als Präsident, Lüge über Lüge, es gab keine 'guten Zeiten', du hast unseren Klub sterben lassen", hieß es auf einem Banner. Jahrzehntelang ein absoluter Spitzenklub, wartet Everton schon seit 1995 auf einen Titel.
Moshiri stellte sich neulich in einer Antwort auf einen offenen Brief jedoch hinter die aktuelle Klubführung. Auch dem seit einem Jahr amtierenden Trainer Frank Lampard sprach Moshiri bei dieser Gelegenheit das Vertrauen aus.
Everton: Unterstützung für die Mannschaft, Spott vom Gegner
Lampard bewahrte die Mannschaft in der vergangenen Saison zwar vor dem Abstieg, seitdem ist aber keine Entwicklung erkennbar. "Ich weiß, dass ich kein Zauberer bin. Ich weiß, dass ich nicht der beste Trainer der Welt bin. Aber ich weiß, dass ich so hart wie möglich arbeiten werde, um so gut wie möglich zu sein", sagte Lampard nach der Pleite gegen Southampton. Zu den Protesten gegen die Klubführung wollte er keinen Kommentar abgeben.
Lampard und seine Spieler empfingen die Fans am Samstag übrigens freudig: Bei der Einfahrt des Mannschaftsbusses gab es Anfeuerungsrufe, dazu wurde die Gegend um den Goodison Park in blauen Nebel gehüllt. Nach der Niederlage stellte sich Verteidiger Yerry Mina den Fans. "Ich würde für diesen Klub mein Leben geben", beteuerte er in einem Video, das in den sozialen Netzwerken kursiert.
"Wir werden die Mannschaft weiterhin unterstützen", verkündete NSNOW. "Aber die Position derjenigen, die für den Niedergang unseres Vereins verantwortlich sind, die weggeblieben sind, ist völlig unhaltbar. Unser Protest wird weiter wachsen, bis sich etwas ändert."
Als wäre das alles nicht genug der Misere, kassierte Everton auch noch Hohn vom Gegner. In der Nacht vor dem Spiel zündeten Everton-Fans vor Southamptons Mannschaftshotel Feuerwerkskörper, um die Nachtruhe zu stören. Das klappte offenbar nicht, wie einer vom FC Southampton bei Twitter geteilten Tripadvisor-Rezension zu entnehmen ist: "Die Zimmer waren brillant, die Betten sehr komfortabel und die Vorhänge sowie die Dreifachverglasung ... einfach wow! Man könnte vor dem Fenster ein Feuerwerk ablassen und man würde es nie mitbekommen. So gut haben wir noch nie geschlafen!"
Premier League: Die Tabelle
Platz | Klub | Sp. | Tore | Diff | Pkt. |
1. | Arsenal | 18 | 42:14 | 28 | 47 |
2. | Manchester City | 18 | 46:18 | 28 | 39 |
3. | Newcastle United | 19 | 33:11 | 22 | 38 |
4. | Manchester United | 18 | 29:21 | 8 | 38 |
5. | Tottenham Hotspur | 19 | 37:27 | 10 | 33 |
6. | Fulham | 20 | 32:29 | 3 | 31 |
7. | Brighton & Hove Albion | 18 | 35:25 | 10 | 30 |
8. | Brentford | 19 | 32:28 | 4 | 29 |
9. | Liverpool | 18 | 34:25 | 9 | 28 |
10. | Chelsea | 19 | 22:21 | 1 | 28 |
11. | Aston Villa | 19 | 22:27 | -5 | 25 |
12. | Crystal Palace | 18 | 17:26 | -9 | 22 |
13. | Nottingham Forest | 19 | 15:34 | -19 | 20 |
14. | Leeds United | 18 | 26:33 | -7 | 17 |
14. | Leicester City | 19 | 26:33 | -7 | 17 |
16. | Wolverhampton Wanderers | 19 | 12:27 | -15 | 17 |
17. | AFC Bournemouth | 19 | 18:41 | -23 | 16 |
18. | West Ham United | 19 | 15:25 | -10 | 15 |
19. | Everton | 19 | 15:26 | -11 | 15 |
20. | Southampton | 19 | 17:34 | -17 | 15 |