Am Mittwoch bekam er seine Chance. Jadon Sancho durfte gegen Brentford für Manchester United von Beginn an ran. Es war sein zwölfter Einsatz in der Startelf für die Red Devils in dieser Saison.
Erik ten Hag entschied sich für Sancho und gegen den formschwachen Wout Weghorst. Bei MUTV sagte der Teammanager zu seinen Beweggründen für einen Einsatz des ehemaligen BVB-Stars: "Kreativität. Jadon hat gute Fortschritte gemacht, seit er wieder da ist. Wir wissen, dass er den tödlichen Pass spielen kann. Er kann sich im Eins-gegen-Eins durchsetzen, hinter die Kette laufen, und er ist torgefährlich."
United gewann das Spiel mit 1:0. Sancho hatte dabei ein paar gute Szenen, aber von den Vorschusslorbeeren ten Hags rechtfertigte er nur wenige. In der 71. Minute wurde er ausgewechselt. Besser sah es am Samstag aus. Wieder startete Sancho. In der 36. Minute überließ ihm Marcus Rashford den Ball und Sancho steckte bildschön für Scott McTominays Führungstreffer durch. Da waren sie: Kreativität und ein tödlicher Pass.
Doch die Frage ist ohnehin nicht, ob Sancho über herausragende Fähigkeiten verfügt. Daran dürften kaum Zweifel bestehen. Für den 23-Jährigen geht es in der Schlussphase der Saison vielmehr darum, seine Karriere in Old Trafford zu retten. Ende vergangenen Jahres war er wegen mangelnder Fitness und mentaler Probleme längere Zeit außen vor. Ausgerechnet in jener Phase startete United eine Erfolgsserie.
Sancho hat hart für seine Rückkehr gearbeitet, jetzt fehlen noch die entsprechenden Leistungen. United hat hohe Ansprüche an den Angreifer - hat er die aber auch?
Der Druck der Ablöse
Nach einer Transfersaga, die sich fast zwei Jahre lang hingezogen hatte, gab es am 23. Juli 2021 Vollzug. Sancho wechselte von Borussia Dortmund zu United. Englands Rekordmeister blätterte satte 85 Millionen Euro Ablöse für den Rechtsaußen hin.
Zu diesem Zeitpunkt schien die hohe Summe gerechtfertigt. Mancher Experte bescheinigte United gar einen guten Deal, hatten die BVB-Verantwortlichen zunächst doch mehr als 100 Millionen Euro gefordert.
Und diese Forderung war gewiss nicht absurd. Der BVB-Sancho war ein phänomenaler Spieler der in 137 Spielen 50 Tore und 64 Assists lieferte und zwei Jahre in Folge in die Mannschaft des Jahres in der Bundesliga gewählt wurde.
Vier Jahre lang spielte Sancho beim BVB und bestach dabei mit einer Sache, die ihm mittlerweile völlig abhanden gekommen zu sein scheint: Unbekümmertheit.
Der Qualitätsunterschied zwischen der Bundesliga und der Premier League hat dabei gewiss eine Rolle gespielt. Viele Neulinge brauchen in Englands höchster Spielklasse eine Eingewöhnungsphase. Sancho aber wirkt nicht unbedingt wie einer, dem das Tempo zu hoch ist. Eher wie einer, der das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern über den Rasen trägt.
Uniteds damaliger Interimstrainer Ralf Rangnick sagte dazu vor gut einem Jahr: "Die Erwartungshaltung war (in Dortmund) viel geringer. Nun ist er in der Situation, dass er für eine hohe Summe zu einem Verein wie United gewechselt ist. Er spielt in einer anderen Liga und bei einem der größten Klubs der Welt. Das sind Dinge, die einen beschäftigen."
Sancho wurde im vergangenen Monat 23 Jahre alt. Ein Alter, in dem der Status des Talents langsam aber sicher seine Gültigkeit verliert.
Mangelndes Selbstvertrauen
In Dortmund war Sancho furchtlos. Wenn er den Ball bekam, hielten die Zuschauer den Atem an, weil sie etwas Besonderes erwarteten - und er enttäuschte selten.
Er glitt mit Leichtigkeit an den Verteidigern vorbei und versorgte die BVB-Stürmer regelmäßig mit Zuckerpässen fütterte. Dazu strahlte er selbst Torgefahr aus.
Aus diesem Grund investierte United so viel in Sancho. Er schien alle notwendigen Attribute zu besitzen, um in die Fußstapfen einiger großer Flügelspieler wie George Best, Ryan Giggs und Cristiano Ronaldo zu treten.
Die drei genannten Ikonen waren allesamt mit einem unerschütterlichen Glauben an die eigene Stärke gesegnet. Es wirkt, als habe Sancho diese innere Stärke und das Selbstvertrauen nicht.
In 66 Einsätzen für United hat er bisher nur 15 Torvorlagen verbucht, was deutlich macht, dass er im Ballbesitz kein Risiko mehr eingeht.
Der ehemalige United-Verteidiger Rio Ferdinand warnte Sancho und Antony, einen weiteren sündhaft teuren Flügelflitzer Manchesters, kürzlich auf seinem YouTube-Kanal FIVE: "Es gibt einen Aspekt, der meiner Meinung nach bei Antony und Jadon Sancho unbedingt verbessert werden muss: das Eingehen von Risiken. Man hat keinen Erfolg, ohne riskant zu spielen, man gewinnt keine Titel, ohne riskant zu spielen. Alex Ferguson hat uns immer wieder gesagt, dass keine Stürmer sehen will, die auf Nummer sicher gehen."
Sanchos vorsichtiges Spiel unterstreicht, wie wenig Selbstvertrauen er hat. Solange er nicht zu der mutigen Einstellung zurückfindet, die ihn in Dortmund so erfolgreich gemacht hat, wird ten Hag wenig Grund haben, ihn in der Startelf zu behalten.
Das Vertrauen des Trainers
Ten Hag war bemerkenswert offen, als es Ende 2022 um Sanchos Formtief ging. Der Rechtsfuß wurde aus Englands Kader für die Weltmeisterschaft 2022 gestrichen, nachdem er bei United in Ungnade gefallen war, und erlitt einen weiteren Rückschlag, als Ten Hag beschloss, ihn nicht mit ins Wintertrainingslager des Vereins in Spanien zu nehmen.
"Wir haben einen Leistungsabfall, und manchmal weiß man nicht, warum oder was die Ursache dafür ist", sagte der United-Boss. "Das ist es, was wir jetzt untersuchen. Wir versuchen, es zu erforschen und wir versuchen, ihn wieder in Form zu bringen. Es ist eine Kombination aus körperlichen und mentalen Problemen."
Sancho kehrte beim 2:0-Sieg von United im Halbfinal-Rückspiel des Carabao Cups gegen Nottingham Forest in den Kader zurück und hat seitdem 13 weitere Einsätze absolviert, dabei aber nur zwei Treffer und eine Torvorlage verbuchen können. Ten Hag steckt also in einer Zwickmühle. Er will Sancho gerne stärken. Dieser aber ist in seinen Auftritten noch überhaupt nicht effizient. Das wissen auch die Konkurrenten, und davon gibt es einige für die begehrten Plätze in der Offensive.
Marcus Rashford, Uniteds Top-Torjäger in der Saison 2022/23, ist am besten, wenn er von der linken Seite kommt. Alejandro Garnacho, der derzeit verletzt ausfällt, hat auf dieser Flanke ebenfalls beeindruckt und gilt als eines der größten Talente des Vereins.
Auf der rechten Seite ist der 95 Millionen Euro teure Sommerneuzugang Antony nach wie vor Ten Hags Mann für alle Fälle. Obwohl der Brasilianer auch für seine mangelnde Abschlussqualität kritisiert wurde, verfügt er über eine aggressive, kämpferische Ader, die ansteckend ist - ganz zu Schweigen von seinem starken linken Fuß.
Da Anthony Martial nun wieder voll einsatzfähig ist, wird es für Sancho noch schwieriger werden, sich in den Vordergrund zu spielen. Er hat in dieser Saison erst vier Spiele über 90 Minuten absolviert und die Auswechslung gegen Brentford war kein gutes Zeichen.
Für United gibt es attraktive Sancho-Alternativen
Falls Sancho nicht bald anfängt, sein Potenzial auszuschöpfen, könnte seine Zeit im Theater der Träume zügig vorbei sein.
Er hat noch einen bis 2026 gültigen Vertrag, aber laut den Manchester Evening News wird ten Hag zunehmen ungeduldig. United könnte versuchen, einen Teil der hohen Ablöse im Sommer mit einem Verkauf wieder reinzuholen, ehe Sanchos Marktwert noch weiter sinkt.
Die Red Devils werden bereits mit einer Reihe von Spielern in Verbindung gebracht, die Sancho aktuell in die Tasche stecken, darunter Senkrechtstarter Khvicha Kvaratskhelia von Napoli.
Der ehemalige italienische Nationalstürmer Christian Vieri meinte neulich über den Georgier: "Wenn er zu Manchester United geht, werden die Tage von George Best zurückkehren. Kvaratskhelia ist genau wie er."
Ten Hag erwägt Berichten zufolge auch eine Verpflichtung von Mohamed Kudus, der in die Fußstapfen von Antony und Lisandro Martínez treten und im Sommer von Ajax ins Old Trafford wechseln könnte.
Brightons Kaoru Mitoma ist ein weiterer interessanter Name, der auf der Liste von United stehen soll. Der japanische Nationalspieler hat bereits nachgewiesen, dass er in der Premier League starke Leistungen bringen kann.
Gerüchte gibt es dazu um ein Interesse Uniteds am derzeit von Atlético an Chelsea ausgeliehenen João Félix.
Die Verpflichtung eines weiteren Offensivspielers für wäre für Sancho - unabhängig vom Namen - eine schlechte Nachricht.
Wie geht es weiter?
Noch hat Sancho sein Schicksal in eigenen Händen und die Möglichkeit, seine Karriere bei United zu retten. Doch die Zeit drängt. Weghorsts Tief und Garnachos Verletzung sind für ihn eigentlich der perfekte Moment, um Eigenwerbung zu betreiben.
Die kommenden Partien werden wegweisende für Sancho. Dienst nach Vorschrift wird nicht ausreichen, um sich einen Stammplatz zu erkämpfen. Er braucht Leichtigkeit, Mut und Torgefahr.
Wenn die letzten eineinhalb Jahre aber eines gezeigt haben, dann, dass das leichter gesagt als getan ist.