Julian Álvarez hatte in dieser Saison die große Ehre, aus nächster Nähe vom besten Stürmer der jüngeren Vergangenheit und dem wohl besten der Gegenwart zu lernen. Bei der argentinischen Nationalmannschaft von Lionel Messi, bei Manchester City von Erling Haaland. Es sei "ein Privileg" mit ihm zusammenzuspielen, schwärmte Álvarez vom gleichaltrigen Haaland. Und Messi? "Ich darf mich glücklich schätzen, mit ihm einen Fußballplatz zu teilen."
Frappierende Ähnlichkeiten bezüglich seiner Spielanlage hat der nur 1,70 Meter große Álvarez übrigens mit keinem der beiden: Er ist kein falscher Neuner wie Messi und kein Stoßstürmer wie Haaland. Tatsächlich ist Álvarez mit seiner körperlichen Konstitution und seinen Fähigkeiten als Trickser und Torjäger ein flexibel einsetzbarer Hybrid. Auch als Mittelstürmer aufgeboten lauert er eher selten an vorderster Front, sondern lässt sich gerne etwas fallen.
Auf welcher Position Álvarez alt wird, erscheint aktuell noch unklar - und neuerdings auch, bei welchem Klub. SportBild und Sky berichten jedenfalls übereinstimmend, dass es der 23-jährige Argentinier bei der Stürmer-Suche des FC Bayern auf die Kandidatenliste geschafft habe. Er gesellte sich damit zu den klassischen Mittelstürmern Harry Kane (Tottenham Hotspur), Victor Osimhen (SSC Napoli) und Randal Kolo Muani (Eintracht Frankfurt).
Julian Álvarez gewann mit Argentinien die Weltmeisterschaft
Álvarez spielte zuletzt sowohl in der argentinischen Nationalmannschaft als auch bei City dort, wo seine berühmten Rivalen nicht spielen wollten. Auf dem Weg zum WM-Titel mit Argentinien kam Álvarez zunächst von der Bank und dann je nach Bedarf als Links- und Rechtsaußen, ehe er erst in den entscheidenden Spielen die Rolle des Mittelstürmers übernahm. Seinen großen Auftritt hatte er im Halbfinale, beim 3:0-Sieg gegen Kroatien war er an allen drei Treffern direkt beteiligt.
Álvarez' 21,4 Millionen Euro teurer Wechsel von River Plate zu City wurde zwar schon im Januar 2022 fixiert, die vergangene Rückrunde verbrachte er aber noch in der argentinischen Heimat. Für seinen Jugendklub River gelangen ihm - zumeist als Mittelstürmer eingesetzt - in 122 Pflichtspielen 54 Tore und 31 Assists.
"Er wird im Sturmzentrum spielen", kündigte Guardiola im Zuge der Verpflichtung an. Wenig später holte das damals noch Mittelstürmer-lose City aber zusätzlich den auch vom FC Bayern umworbenen Haaland, weshalb sich Álvarez bei seiner Vorstellung im Sommer diplomatisch gab. "Ich fühle mich sowohl im Zentrum als auch auf dem Flügel wohl", sagte er und deutete ein bisschen zaghaft an: "Aber in der Mitte schieße ich mehr Tore."
Über weite Strecken der Hinrunde fungierte Álvarez als klassischer Ersatz-Mittelstürmer für Tormaschine Haaland. Regelmäßig wurde er für den Norweger eingewechselt und wenn Haaland verletzt war oder das Spiel nicht wichtig genug, durfte Álvarez auch mal beginnen. Vereinzelt liefen die beiden auch nebeneinander auf.
Pep Guardiola erfand eine neue Position für Julian Álvarez
Weil sich Álvarez ab Winter plötzlich Weltmeister nennen durfte und bei seinen Einsätzen meist überzeugte, wurde der Druck auf Guardiola im Laufe der Rückrunde größer, Álvarez mehr Spielzeiten zu geben. Dafür erfand der Trainer kurzerhand eine neue Position für ihn. In den vergangenen Wochen setzte er Álvarez wiederholt als offensiven Mittelfeldspieler hinter Haaland ein, teilweise sogar noch tiefer.
"Pep Guardiolas neue Positions-Erfindung: Julian Álvarez als Achter", titelte The Athletic. Wunderbar beschrieben wird in dem Artikel, wie Guardiola eine vom FC Bayern bekannte Maxime im Laufe dieser Saison einfach umdrehte. Versuchte er einst fast schon zwanghaft, alle Positionen auf dem Platz mit Mittelfeldspielern zu besetzen, beordert er nun Verteidiger und Stürmer ins Mittelfeld. John Stones oder Aymeric Laporte schob er beispielsweise nach vorne, Álvarez eben nach hinten.
Mit seiner technischen Klasse und seinem Arbeitseifer im Spiel gegen den Ball fügte sich Álvarez in der neuen Rolle gut ein. Dank Guardiolas Trick stand Álvarez zuletzt regelmäßig in der Startelf, gleichzeitig konnte der Trainer Kevin de Bruyne für die wirklich wichtigen Duelle in der Champions League schonen. In den sechs K.o.-Spielen gegen RB Leipzig, den FC Bayern und Real Madrid sammelte Álvarez dagegen insgesamt nur 56 Einsatzminuten.
Beim beeindruckenden Rückspiel gegen Real erzielte er nach seiner späten Einwechslung immerhin den abschließenden Treffer zum 4:0. Insgesamt gelangen Álvarez in dieser Saison in 48 Pflichtspielen für City 17 Treffer, einer alle 144 Minuten. Mit Hinblick auf seine vielen Einsätze im Mittelfeld ein starker Wert. Beim Champions-League-Finale gegen Inter Mailand am 10. Juni dürfte er aber erneut nur Ersatz sein.
Julian Álvarez : Wie geht es mit ihm weiter?
Erst im März verlängerte Álvarez seinen Vertrag bei City vorzeitig bis 2028. Sportdirektor Txiki Begiristain lobte ihn damals für seine "technischen Fähigkeiten, seine Hingabe und Einstellung, seine außergewöhnlichen Bewegungen und seinen natürlichen Torinstinkt". Àlvarez dankte: "Ich bin sehr zufrieden mit meiner ersten Saison hier, aber ich kann mich noch verbessern. City bietet mir alles, um mein Potenzial zu erfüllen."
Gerade mit Hinblick auf die unklare Zukunft von Mittelfeldspieler Ilkay Gündogan könnte Álvarez in einer tieferen Rolle künftig noch wichtiger werden. Ein Stammplatz als Mittelstürmer erscheint derweil jedoch auf Jahre utopisch. Sieht sich Álvarez langfristig auf dieser Position und will im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Schatten des 25 Zentimeter größeren Haaland treten, müsste er den Klub wohl wechseln - wobei City nach der Vertragsverlängerung eigentlich keinen Grund hätte, ihn abzugeben.
Während der FC Bayern dringenden Stürmer-Bedarf hat, könnten sich in absehbarer Zukunft auch beim FC Barcelona und Real Madrid Vakanzen ergeben. Robert Lewandowski (34) und Karim Benzema (35) befinden sich schließlich bereits im gehobenen Fußballer-Alter.
Der langjährige Bayern-Torjäger Lewandowski spielte während seiner Anfangszeit bei Borussia Dortmund übrigens genau wie nun Álvarez regelmäßig im Mittelfeld - an vorderster Front gab es für ihn zunächst kein Vorbeikommen an Lucas Barrios. Benzema musste bei Olympique Lyon unterdessen oft auf die Flügel ausweichen. Was die beiden aber von Álvarez unterscheidet: Sie sind jeweils 15 Zentimeter größer als er und strahlen im Zentrum somit mehr Wucht aus.