Steven Gerrard: Der Nachfolger von Jürgen Klopp beim FC Liverpool?

Von Neil Jones / Patrik Eisenacher
Steven Gerrard, Jürgen Klopp
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Die Liverpool-Legende Steven Gerrard wurde im Oktober 2022 bei Aston Villa entlassen. Seine nächste Trainer-Station sollte wohl überlegt sein.

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Für Steven Gerrard war eine perfekte Welt vor einem Jahr weniger als 15 Minuten entfernt. Nun steht er vor einer schwierigen Entscheidung.

Vor einem Jahr, am letzten Spieltag der Premier-League-Saison, führte sein Aston Villa mit 2:0 gegen Manchester City und stand kurz davor, Liverpool zum PL-Titel zu verhelfen.

Es war fast schon zu schön, um wahr zu sein. Die Liverpool-Legende könnte seinen Reds nun als Trainer zu den Triumpf verhelfen, der ihm als Spieler verwehrt blieb. Er schien damals der logische Nachfolger von Jürgen Klopp zu sein.

Doch während die Überschriften schon vorgeschrieben wurde, brach Villa auseinander und kassierte in fünf Minuten plötzlich drei Tore. Nach Abpfiff der 2:3-Niederlage mussten sie mit eigenen Augen zusehen, wie City erneut den Premier-League-Titel in den Himmel ragte.

Man könnte sagen, dass seitdem nichts mehr so ist wie früher. Nicht für Liverpool, dessen Misere durch die Niederlage im Champions-League-Finale 2022 am darauffolgenden Wochenende noch verschlimmert wurde.

Und schon gar nicht für Gerrard, dessen Amtszeit in Villa fünf Monate nach dem City-Spiel zu Ende war. Nun fragt er sich, wann und von wem er wieder die Möglichkeit bekommt, sich als Trainer zu beweisen - und zu zeigen, dass er das Zeug dazu hat, eines Tages der Klopp-Nachfolger in Liverpool zu werden.

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Steven Gerrard: Eine unerwartete Wendung

Gerrard war in dieser Woche im Fernsehstudio des britischen Senders BT Sport für das Halbfinale der Champions League zwischen Manchester City und Real Madrid. Die Arbeit macht ihm Spaß, er ist ein leidenschaftlicher, wortgewandter und einfühlsamer Experte. Doch am liebsten wäre er zurück auf dem Trainingsplatz, zurück im Büro des Trainers.

"Ich habe den Bazillus", sagte er letztes Jahr in einem Interview mit seinem alten Feind Gary Neville von Manchester United. Daran hat sich trotz seiner Erfahrungen bei Villa nichts geändert, wo er gerade einmal elf Monate blieb und nur 13 Spiele gewann.

Bis dahin war Gerrards Trainerkarriere ziemlich reibungslos verlaufen. Er lernte in Liverpools U18 und brachte Curtis Jones und Neco Williams zu den Profis.

Dann ging er zu den Glasgow Rangers nach Schottland - und feierte große Erfolge. Er holte 2021 die erste Meisterschaft seit zehn Jahren ohne ein Spiel zu verlieren.

Seine Entscheidung, das Ibrox-Stadion einige Wochen nach Beginn der folgenden Saison in Richtung Villa zu verlassen, hat er sich nicht leicht gemacht. Das brachte ihm unweigerlich Kritik von den Rangers-Fans ein.

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Steven Gerrard: Vielversprechend bei Aston Villa

Gerrards Gründe, den Job bei Villa anzunehmen, lagen auf der Hand. Auch wenn der Verein zu diesem Zeitpunkt in Schwierigkeiten steckte, waren die Größe, die Geschichte und das Potenzial des Klubs noch deutlich zu erkennen. Die Verlockung, in der Premier League zu trainieren, war einfach zu groß, als dass ein junger Manager sie hätte ignorieren können.

In Villa hatte er Geschäftsführer Christian Purslow den er aus Liverpool kannte. Auf dem Transfermarkt hatte er ein ordentliches Budget und einen guten Mix aus jungen und erfahrenen Spielern.

Die Anfänge waren noch gut: Mit seinem aus Glasgow mitgebrachten Trainerteam holte er drei Siege aus den ersten vier Spielen. Seine ersten drei Niederlagen kassierte er gegen die Topteams von Manchester City, Chelsea und Liverpool - soweit, so akzeptabel.

Beim Spiel gegen seine alte Liebe Liverpool beeindruckte seine Taktik auch Jürgen Klopp.

Gerrard hatte Villa hinten sofort stabiler gemacht und schwer zu schlagen. Die Mannschaft war gut eingestellt, aggressiv und laufstark und lieferte Liverpool eines der schwersten Spiele der Saison.

Von da an ging es für Villa bergauf - als sie im März letzten 2022 Leeds mit 3:0 besiegten, waren sie Neunter in der Tabelle und hatten die Chance, die internationalen Plätze zu attackieren. Alles sah rosig aus.

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Steven Gerrard: Die Dämmerung

Diese Hoffnung sollte sich jedoch nicht weiter bestätigen. Denn nach nur zwei Siegen aus den letzten elf Saisonspielen strandete Villa auf Platz 14. Auch in die folgende Saison starteten sie schlecht: Am ersten Wochenende musste man sich dem Aufsteiger Bournemouth mit 0:2 geschlagen geben und konnte nur eines der ersten sechs Ligaspiele gewinnen.

Villa war zwar nur selten schlecht und konnte Manchester City im Vila Park ein Unentschieden abtrotzen, aber im Angriff fehlte es an Durchschlagskraft.

Das Aus kam für Gerrard nach einer 0:3-Niederlage in Fulham, bei der Douglas Luiz des Feldes verwiesen wurde und Gerrard von seinen eigenen Anhängern ausgepfiffen wurde, nachdem er sich dafür entschieden hatte, Stürmer Danny Ings durch Mittelfeldspieler Leander Dendoncker zu ersetzen. Villa lag zu diesem Zeitpunkt auf dem 17. Tabellenplatz.

"Es ist bedauerlich, dass es am Ende nicht geklappt hat", sagte er. "Aber ich bedanke mich dafür, wie Sie mich in Ihrem Klub willkommen geheißen haben und die Mannschaft in schwierigen Zeiten weiter vorangebracht haben. Aston Villa ist ein Verein mit einer besonderen Geschichte, und ich wollte unbedingt an diese denkwürdigen Erfolge anknüpfen, aber leider hat es nicht geklappt."

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Schlechte Entscheidungen, kein Glück und Coutinho

Im Nachhinein ist es leicht zu sagen, was Gerrard bei Villa falsch gemacht hat. Seine öffentliche Kritik an Tyrone Mings, dem er im vergangenen Sommer das Amt des Vereinskapitäns entzog, wird er vielleicht im Nachhinein bereuen. Danny Ings, Ollie Watkins, Philippe Coutinho, Leon Bailey, Jacob Ramsey und Emi Buendia konnte er derweil nicht die richtigen Tipps geben, um sie zu Torjägern zu machen.

Aber er hatte auch viel Pech. Diego Carlos (für 32 Millionen Euro vom FC Sevilla geholt) fiel wegen einem Achillesehnenriss nach nur zwei Spielen aus und hätte Mings wunderbar ersetzen können. Auch auf die Franzosen Boubacar Kamara (ablösefrei von Olympique Marseille geholt) und Lucas Digne standen Gerrard am Ende nicht zur Verfügung.

Dass es ihm nicht gelungen ist, Coutinho konstante Leistungen zu entlocken, bezahlte Gerrard teuer. Die Verpflichtung des Brasilianers, der zunächst von Barcelona ausgeliehen und dann dauerhaft verpflichtet wurde, galt seinerzeit als großer Coup für Villa.

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Aston Villa: Der Unai-Emery-Effekt

Es sei darauf hingewiesen, dass Gerrards Abgang in der Umkleidekabine von Villa kaum mit Freude aufgenommen wurde. Er war bei den Spielern beliebt - abgesehen von Mings vielleicht - und auch seine Trainerstab in der Kabine waren beliebt und respektiert.

Viele haben behauptet, dass der Weggang von Michael Beale, der im letzten Sommer zu QPR wechselte und inzwischen Trainer der Rangers ist, ein Schlüsselfaktor für Gerrards Entlassung war.

Doch eine deutliche Sprache sprechen die Erfolge unter seinem Nachfolger Unai Emery. Der Spanier führte die Birminghamer auf Platz acht und hat im Saisonendspurt die Chance, sich für Europa zu qualifizieren.

Er hat bereits mehr Siege geholt als Gerrard, in 15 Spielen weniger. Und das mit praktisch dem gleichen Kader. Watkins, Mings, Buendia, Ramsey und McGinn hat er auf ein neues Niveau gehoben und eine Euphorie im Villa Park entfacht.

Überraschend ist das nicht. Schließlich ist der Spanier ein Trainer mit großer Erfahrung, ein Seriensieger bei Sevilla und ein Champions-League-Halbfinalist mit Villarreal in der letzten Saison. Zuvor war er außerdem bei Arsenal und PSG. Seine Mannschaft wird vielleicht nicht an die Form der letzten Wochen anknüpfen können, aber die Arbeit, die Emery in den Midlands bisher geleistet hat, ist einfach nur stark.

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Was nun für Steven Gerrard?

Die große Frage für Gerrard lautet also: Wie geht es weiter? Seit seiner Entlassung bei Villa sind bald sieben Monate vergangen, und in dieser Zeit haben nicht weniger als acht Premier-League-Klubs ihren Trainer gewechselt, einige von ihnen mehr als einmal.

Von diesen acht Vereinen soll nur Leeds Gerrard als potenziellen Kandidaten in Betracht gezogen haben - obwohl man das fairerweise nicht von Everton oder Chelsea hätte erwarten dürfen - und das wirft natürlich Fragezeichen auf. Ein Erfolg in Schottland ist gut, aber Misserfolg in der Premier League wiegt schwerer. Gerrard wurde seit Oktober vor allem mit der belgischen und polnischen Nationalmannschaft sowie mit dem türkischen Verein Trabzonspor in Verbindung gebracht. Vielleicht ist es klug, dass er sich auf keines dieser Angebote eingelassen hat.

Im Normalfall wird Villa nicht die letzte Chance Gerrards in der Premier League bleiben. Das zeigt der Fall seines früheren Kollegen in der Nationalmannschaft, Frank Lampard. Vielleicht könnte er auch eines der alten Eisen wie Roy Hodgson, Sam Allardyce oder Dean Smith ablösen.

Er verdient eine weitere Chance, weil er gezeigt hat, dass er eine Mannschaft defensiv organisieren kann, dass er Spieler anwerben kann - und dass er, wenn man ihm Zeit gibt, eine gefährliche, auf Ballbesitz ausgerichtete Mannschaft aufbauen kann. Seine Fähigkeit, bei den Rangers zwischen verschiedenen Spielstilen hin und her zu wechseln, in der Liga offensiv zu spielen und in Europa zu organisieren und zu kontern, war sehr beeindruckend.

Er wird viel aus den schlechten Zeiten gelernt haben. Er weiß, dass er bei Villa nicht alles richtig gemacht hat, weder auf noch neben dem Platz. Der Engländer weiß jetzt, wie es sich anfühlt, ein Opfer der unbarmherzigen Kurzatmigkeit des Fußballs zu werden.

Ob er letztendlich seinen Traumjob bekommt, bleibt natürlich abzuwarten. In Liverpool wird er seit langem als natürlicher Nachfolger von Klopp gehandelt. Nicht zuletzt von Klopp selbst, aber er muss bei seinem nächsten Job alles richtig machen, wenn er dieses Angebot eines Tages auf dem Tisch haben will.

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