"Passt auf, was ich jetzt sage, denn ich bin davon überzeugt, dass es stimmt", läutete Pep Guardiola im vergangenen Mai seinen Ritterschlag für Roberto De Zerbi ein. "Er ist einer der einflussreichsten Trainer der letzten 20 Jahre. Es gibt keine Mannschaft, die so spielt. Es ist einzigartig!" Manch ein Bayern-Anhänger wird nun abwinken und sagen, dass Guardiola mehr Lob verteilt, als der Osterhase Eier versteckt. Allerdings hält sich Guardiola seit einigen Jahren mit Lobhudelei etwas stärker zurück und hebt gerade Trainerkollegen nicht mehr so oft überschwänglich in den Himmel.
De Zerbi ist da schon eine Ausnahme. Das gilt auch für vieles andere in der Karriere des 44-jährigen Italieners. Brighton & Hove Albion ist bereits die siebte Station des in Brescia geborenen Trainers. Zuvor war er für Shakhtar Donezk und US Sassuolo tätig - und auch wenn seine Trophäensammlung bei weitem nicht üppig gefüllt ist und nur den Ukrainischen Superpokal beinhaltet, so ist er ein heißgehandelter Name auf dem Trainermarkt in diesen Tagen. Das mag mit den Nöten von Liverpool, Bayern wie auch dem FC Barcelona und womöglich Manchester United und Chelsea zu tun haben, aber auch daher rühren, dass De Zerbi zuletzt seine Zukunft beim südenglischen Klub offenließ. Er sagte, dass er einen Vertrag habe, aber mit seinem Verein spreche wolle, um die Pläne zu verstehen.
Roberto De Zerbi: Stationen seiner Trainerkarriere
Zeitraum | Verein |
Nov. 2013 - 2014 | Darfo Boario |
2014 - Sept. 2016 | Foggia |
Sept. - Nov. 2016 | US Palermo |
Okt. 2017 - 2018 | Benevento |
2018 - Mai 2021 | US Sassuolo |
Mai 2021 - Juli 2022 | Shakhtar |
seit Sept. 2022 | Brighton |
Manche Experten und Funktionäre in England wie Darragh MacAnthony, der Mehrheitseigentümer von Peterborough United, halten solche Kommentare von De Zerbi für ein Zeichen von Undankbarkeit. Als seine Zeit bei Shakhtar im Juli 2022 wie für viele Ausländer zu jener Zeit enden musste, fand De Zerbi bei Brighton recht schnell eine neue Aufgabe, nachdem Graham Potter zu Chelsea gegangen war. Wenngleich Eigentümer und Profi-Pokerspieler Tony Bloom stets darauf achtet, dass das Transferbudget nicht ausufert, stand er voll hinter De Zerbi, dessen Stab und deren Ideen für die Weiterentwicklung des Teams.
Andererseits weiß der Italiener auch, dass er irgendwann das Maximale mit dem Klub aus der Küstenstadt erreicht hat. Denn so gut auch seine taktischen Ideen und so konstant gut die Leistungen von Pascal Groß und Co. zuweilen sind, irgendwann stößt man an die Grenzen der Leistungsfähigkeit - gerade gegen die Powerhouse-Klubs an der Spitze der Premier League. "Wenn ich die richtige Motivation nicht fühle, dann kann ich nicht mehr hierbleiben", sagte De Zerbi vorm Spiel gegen Liverpool am vergangenen Wochenende.
Roberto De Zerbi: Großer Erfolg, keine Pokale
Obwohl er "nur" Trainer des aktuellen Tabellenneunten der Premier League ist und auch zuvor keine Pokale gewann, hat De Zerbi den europäischen Fußball beeinflusst. Generell ist in den vergangenen Jahren zu beobachten, wie der Einfluss von taktischen Konzepten nicht primär vom sportlichen Erfolg abhängt, sondern Ideen und deren Effektivität stets kontextuell betrachtet werden.
De Zerbi hatte mit Sassuolo und zuletzt mit Brighton auf seine Weise Erfolg - niemand erwartet Meisterschaften von diesen Teams. Ähnlich verhält es sich auch mit den Relationismus-Konzepten, für die beispielsweise Fernando Diniz oder auch Henrik Rydström stehen.
De Zerbis Fußball basiert zunächst auf Ballbesitz und dabei vornehmlich auf Kurzpassspiel tief in der eigenen Hälfte. Unter Einbeziehung der Innenverteidiger und auch der zwei Sechser sollen Gegner, die sich in ihrer Pressingformation befinden, in Richtung vorderes Spielfelddrittel gelockt werden. Anschließend erfolgen Chipbälle über die Mitte oder aber aus dem Halbraum wird beispielsweise einer der Angreifer angespielt, um eine Ablage vorzubereiten und die vormalige Aufbaustruktur aufzulösen. Grundsätzlich sollen große Zwischenlinienräume geschaffen werden, um in diese hineinzustoßen.
Roberto De Zerbi: Viele Bezüge im VfB-Fußball
Wer nun sagt, "Moment, das kenne ich doch irgendwoher", der liegt vollkommen richtig! Der FC St. Pauli und der VfB Stuttgart spielen mehrheitlich De-Zerbi-Fußball. Beim VfB zum Beispiel ist es die Dreierreihe im Aufbau mit Waldemar Anton, Hiroki Ito und Maximilian Mittelstädt sowie den beiden Sechsern, Angelo Stiller und Atakan Karazor, in tiefer Position. Ähnlich wie auch bei De-Zerbi-Teams ist Chris Führich als Flügelstürmer meist breiter positioniert als Mittelstädt, der eher die Innenbahn aus Sicht von Führich bespielt. Die tiefen Anspiele auf Serhou Guirassy oder auch die Chipbälle zu einem in Halbposition befindlichen Deniz Undav sind signifikante Elemente des Stuttgarter Spielaufbaus beziehungsweise der Angriffsentwicklung.
Zugleich verteidigen Teams wie Stuttgart oder auch St. Pauli hoch und auch mit einer recht breiten Formation in der ersten und zweiten Pressingphase. Während Stuttgart das Pressing ab einem gewissen Punkt de facto auflöst und die Restverteidigung zurückzieht, bleibt eine gewisse Verwundbarkeit aufgrund der freien Räume vor der Abwehr gegeben. Dieses Manko zieht sich auch wie ein roter Faden durch die vergangenen Karrierejahre De Zerbis.
Gerade aufgrund des zeitweiligen Aufrückens auf den Außenbahnen, lassen sich dort Räume ausmachen, die etwa von herausdriftenden Stürmern bespielt werden können. Wer die vergangenen Spiele von Brighton nicht gesehen hat, kann sich als alternatives Anschauungsmaterial die Gegentore zwei und drei von Stuttgart am vergangenen Sonntag gegen den 1. FC Heidenheim anschauen.
Roberto De Zerbi: Kein leichter Charakter
Es mag trotz dieser defensiven Unzulänglichkeiten nicht überraschen, dass sich etwa Sebastian Hoeneß Inspiration bei De Zerbi holt. Immerhin hat er nach seiner Entlassung in Hoffenheim einst beim Italiener hospitiert und möchte ebenso wie der aktuelle Brighton-Trainer einen attraktiven und zugleich progressiven Fußball spielen lassen.
"Roberto De Zerbi gehört zu den Trainern, deren Spiele ich genauer verfolge und die mich auch inspiriert haben", sagte Hoeneß im vergangenen Jahr. Er stand aufgrund seiner jüngsten Erfolge und sicherlich auch wegen seiner besonderen Beziehung zum FC Bayern auf der Liste der Münchener, hat aber seinen Vertrag mit dem VfB kürzlich verlängert. Insofern ist er ebenso wie Xabi Alonso aus dem Blickfeld gefallen.
Stattdessen steht De Zerbi nun bei den Bayern weit oben auf jener Liste. Sicherlich müsste er sich bei einem Engagement beim deutschen Rekordmeister genau überlegen, wie er die defensive Absicherung bewerkstelligt, denn die bayrische Restverteidigung ist selbst unter einem konservativer denkenden Thomas Tuchel zuweilen anfällig. Ein größerer Knackpunkt könnte aber De Zerbis Führungsstil sein. Er ist alles, aber kein Diplomat und bringt somit gerne mal Spieler gegen sich auf oder bricht mit diesen komplett. Das mag in Brighton oder Sassuolo, wo der Trainer gewissermaßen der Star war, noch gutgehen, aber in der hochexplosiven Umgebung der Säbener Straße könnte De Zerbi das glimmende Streichholz sein.
Unterhaltung wäre aber auf und neben dem Rasen garantiert.