Spektakuläre Langeweile

Von Arne Behr
Teurer Spaß: Die Mannschaften von Paris Saint-Germain und AS Monaco sind gespickt mit Stars
© getty

Die Ligue 1-Saison 2013/14 scheint eine "monarchie a deux" zu werden, gegen die investorengestützten Vereine aus Paris und Monaco ist für die Ligakonkurrenten in dieser Saison wohl kein Kraut gewachsen. Warum sich keiner darüber beschwert? Wohl auch, weil eine derartige Entwicklung seit langem abzusehen war.

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In Frankreich verleiht man seiner Empörung gerne und oft öffentlich Ausdruck. Das ist natürlich zu einem guten Teil historisch begründet und gehört sozusagen zum guten Ton. Aux armes, citoyens. Doch nicht nur in Kriegs- und Friedensangelegenheiten geht man dort regelmäßig auf die Straße, da wird auch schon mal landesweit und zu Hunderttausenden gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 62 Jahre demonstriert.

Mit dieser Bereitschaft zum Protest hat Frankreich noch immer in vielen Ländern eine Art Vorbildcharakter. Umso erstaunlicher scheint es, dass besonders im französischen Fußball "Sonnenkönige" eine lange Tradition haben. Mit den milliardenschweren Investoren in Paris und Monaco wird gerade ein ganz neues Kapitel in dieser Reihe aufgeschlagen, das die französische Fußballlandschaft wohl nachhaltig verändern wird.

Diese Genügsamkeit, ja sogar die vielfache Zustimmung dieser Entwicklungen, hat selbstredend mehrere Gründe, ist aber nur vor dem Hintergrund der besonderen Strukturen des Profifußballs in Frankreich zu verstehen.

Der französische Weg

Ungefähr zur selben Zeit, als der DFB den deutschen Profiklubs angesichts besorgniserregender Vorstandsexzesse wie denen auf Schalke oder in Frankfurt die Gründung von Aufsichtsräten nahelegte, beschloss man in Frankreich eine Strukturreform, die sich in Deutschland erst nach und nach von selbst durchsetzte und noch immer nicht bei allen deutschen Profiklubs umgesetzt wurde.

Diese Reform verpflichtet alle Profivereine, sich grundsätzlich nach Aktien- oder Kapitalgesellschaftsrecht auszubauen. Ziel war es dabei, der Willkür der Vereinspräsidenten, die einen nach altem Vereinsrecht aufgestellten Klub praktisch als Alleinherrscher führen konnten, Einhalt zu gebieten.

Die Auslagerung der Lizenzspielerabteilung und die Öffnung für den Kapitalmarkt war dabei eine Reaktion auf den Niedergang oder gar den Konkurs zahlreicher Traditionsvereine durch diese Sonnenkönige. Allerdings blickt Frankreich Mitte der Neunziger Jahre diesbezüglich bereits auf eine gut dreißigjährige Tradition zurück.

Prämierte Jugendförderung

Auf der anderen Seite sind die Vereine aber auch seit Ende der Siebziger Jahre verpflichtet, ein Sportinternat zu unterhalten und auch sonst erhebliche Ausgaben für die Jugendförderung zur Verfügung zu stellen. Gerade für unterklassige und finanziell weniger stark aufgestellte Vereine hat sich dieses Konzept als sehr lukrativ und wettbewerbsfördernd herausgestellt.

Obwohl sich die unterschiedlichen finanziellen Gestaltungsspielräume natürlich auch auf die Nachwuchszentren auswirken, werden doch die meisten dieser Talentschmieden hochprofessionell geführt. Neben der fußballerischen Ausbildung, die oft ehemalige Profis übernehmen, erhalten die Nachwuchstalente auch eine schulische Ausbildung.

Im Gegenzug verpflichten sich die Spieler, ihren ersten Profivertrag bei ihrem Ausbildungsverein abzuschließen, was bis auf wenige Ausnahmen, bei denen die Spieler ins Ausland transferiert werden, bis heute auch eingehalten wird. In Frankreich spielen junge Spieler öfter für ihren Heimatklub als in den anderen großen europäischen Ligen. Schließlich unterhält jeder Klub noch ein Reserveteam, das maximal in die vierte Liga aufsteigen kann und jungen Talenten Spielpraxis ermöglichen soll.

Bonjour tristesse

Vor allem diese Regelungen trugen in der Vergangenheit dazu bei, dass immer wieder auch vermeintlich schwächere und weniger finanzkräftige Mannschaften in der Liga für Furore sorgen konnten. Bis zur Jahrtausendwende war die Division 1, die erst seit 2002 unter dem Namen Ligue 1 firmiert, maßgeblich dank ihrer Vielfalt und Ausgeglichenheit attraktiv.

Bis dato heißt der Rekordmeister noch immer AS Saint-Etienne - und das mit gerade mal zehn Meisterschaften.

Doch auch in Frankreich griffen die Gesetze des Marktes, wenn auch mit leichter Verzögerung. Eine Änderung der Rechtsgrundlage durch die französische Regierung erlaubt es den Vereinen seit 2006, den Gang an die Börse anzutreten. Triebfeder dieser Entwicklung war vor allem der damalige Branchenprimus Olympique Lyon, von 2002 bis 2008 sieben Mal in Serie französischer Meister.

Noch nie zuvor wurde die Liga derart lange und klar von einem Verein dominiert. Langeweile machte sich breit beim Fußballvolk der Grande Nation angesichts der enormen Wirtschaftlichkeit des Klubs, dessen Vorherrschaft auf viele Jahre zementiert schien. Doch anderseits war man auch stolz auf die Leistungen des neuen Vorzeigeklubs auf internationalem Parkett, obwohl der ganz große Triumph letztlich ausblieb.

Vorbild England

In Frankreich ist die Fußballbegeisterung aber insgesamt wesentlich weniger ausgeprägt, als das in Ländern wie England, Italien oder Deutschland der Fall ist. Traditionelle Sportarten wie vor allem Rugby, aber auch Radsport oder Boule sind ebenso oder sogar weiter verbreitet als "König" Fußball.

Von den fünf Topligen Europas wies die französische Eliteklasse, die bereits seit ihrer Gründung 1932 eine Profiliga ist, 2012 als einzige einen Umsatzrückgang auf. Auch in Sachen Zuschauerinteresse und Ligaumsätze steht die Ligue 1 den Eliteklassen aus England, Spanien, Deutschland und Italien deutlich nach. Die Ticketpreise sind ohnehin die niedrigsten in diesem Vergleich.

Gerade vor diesem Hintergrund überrascht beim französischen Fußballvolk die überaus starke Affinität zur englischen Premier League. Während sich 70 Prozent der Franzosen für den heimischen Spielbetrieb interessieren, ist die Begeisterung für die englische Liga mit 36 Prozent im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch.

Französische Verhältnisse

Diesem Ideal kommt man in den letzten Jahren auch strukturell zunehmend näher. Die skizzierten Reformen, die schließlich in einer Öffnung zum Börsenmarkt kulminierten, mögen als Katalysator dieser Entwicklung gedient haben, letztlich war es aber wohl ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis auch die Ligue 1 ins Visier zockerfreudiger Multimilliardäre geraten würde.

Englische oder spanische Verhältnisse, sie haben in den letzten Jahren auch in Frankreich Einzug gehalten. "Schuld" daran ist das Fehlen einer Satzung wie der sogenannten "50+1-Regel", wie sie in Deutschland als einzige der großen europäischen Ligen Anwendung findet. Sie verhindert bisher, dass ein Großinvestor in einem deutschen Klub die Stimmenmehrheit auf sich vereinen kann.

Zweiklassengesellschaft

Wie sehr die Schere zwischen arm und reich in der Ligue 1 auseinander geht, belegt die Bilanz der diesjährigen Sommertransferperiode mit seltenem Nachdruck. 380.730.000 Euro hat die Liga insgesamt an Transferausgaben getätigt, davon fallen allerdings allein 277 Millionen auf den AS Monaco (166 Mio. €) und Paris Saint-Germain (111 Mio. €).

Rechnet man noch das deutlich abgeschlagene Marseille dazu (42.700.000 Euro), fallen 320 Millionen Euro auf diese drei Klubs. Der Rest gab zusammen folglich 60 Millionen für neue Spieler aus. Klarer kann eine Zweiklassengesellschaft wohl kaum skizziert werden.

Dabei ist es nicht mal so, dass die restlichen Klubs nicht ebenso aktiv auf dem Transfermarkt gewesen wären. Die Statistiken des PSG (10 Zu-, 17 Abgänge) und selbst Monaco (15, 22) bewegen sich gar nicht sonderlich weit über denen der anderen Vereine. Nur die Summen sind eben nicht dieselben.

Raus aus der Bedeutungslosigkeit

Für die Liga bedeutet der Kaufrausch der neuen Giganten aber vor allem einen riesigen Prestigegewinn. Endlich gibt ein französisches Duell, das auch internationale Beachtung findet. Sowohl Monaco als auch Paris verfügen inzwischen über Starensembles einer Qualität, wie man sie in Frankreich das letzte Mal in Marseille bestaunen konnte. Dem Team, das mit Spielern wie Deschamps, Stojkovic oder Rudi Völler 1993 den bisher einzigen Titel in der Champions League für eine französische Mannschaft erringen konnte.

PSG sei eben "ein Team für Europa, nicht für Frankreich", brachte der ehemalige Sportdirektor Leonardo die Haltung des Hauptstadtklubs bezüglich der restlichen Liga einmal relativ unmissverständlich auf den Punkt. Mit Monaco gesellt sich seit dieser Spielzeit jedoch ein Team dazu, das PSG in sportlicher wie finanzieller Sicht das Wasser reichen kann.

Zudem ist es kein Geheimnis, dass man sich auch in Lyon seit längerem nach einem externen Geldgeber umsieht. Nach dem recht erfolglosen Börsengang beansprucht man auch beim ehemaligen Serienmeister seinen Anteil am neuen, großen Kuchen.

Die Liga in der Liga

Und dennoch fürchten die Franzosen auf absehbare Zeit keine englischen Verhältnisse, worin der zweite wesentliche Grund dafür liegen dürfte, dass Investoren wie Monacos Dmitri Rybolowlew oder Paris' Nasser Al-Khelaifi weitgehend ungehindert ihrem Geschäft nachgehen können.

Im Vergleich zu England krankt die französische Jugendarbeit keineswegs, sondern gehört nach wie vor zu den besten überhaupt. Nicht umsonst ist Frankreich seit längerem Europameister, was Spielertransfers ins Ausland angeht. Die "Liga in der Liga" beschreibt ein Modell, das in Frankreich funktioniert, da es der Förderung des Nachwuchses und dem europäischen Geltungsbedürfnis der Ligue 1 gleichermaßen Rechnung trägt.