Die Sonne. Das Meer. Der Strand mit seinem weißem Sand und grünen Palmen. Nizza hat zweifelsohne viel zu bieten. Das freut nicht nur die unzähligen Touristen, die Jahr für Jahr an die Cote d'Azur reisen, um für ein paar Tage dem Alltagsstress zu entkommen, sondern vor allem auch den lokal ansässigen Fußball-Verein Olympique Gymnaste Club, kurz OGC, der als Tabellenfüherer der Ligue 1 gerade seinen sportlichen Frühling erlebt. Geographische Lage und klimatische Bedingungen lassen in Nizza Vegetation gleichermaßen wie kriselnde Fußballer aufblühen.
"Es ist das Meer", erklärte Mario Balotelli unlängst seinen sportlichen Aufschwung nach dem ablösefreien Wechsel von Liverpool nach Nizza, "ich wollte einen ruhigen und schönen Ort. Auch wenn das dumm klingt, ich habe nach dem richtigen Klima gesucht."
In 36 Ligaspielen der vergangenen beiden Spielzeiten erzielte Balotelli zwei Treffer, in drei der aktuellen netzte er fünf Mal. Britischer Nieselregen bei stürmischen Böen haben Balotelli, Geburtsstadt Palermo (viel Sonne, eher weniger britischer Nieselregen), zuletzt wohl gehemmt.
Das atlantische Klima an der Merseyside ist womöglich regnerischer, aber sicher nicht kälter als das niedersächsische. Damit musste sich zuletzt Dante herumplagen. "Es tut gut, nach der Kälte in Deutschland die Sonne zu finden", sagte Dante nach seinem Transfer von Wolfsburg nach Nizza. "Meine Familie hat mir nach der ersten Visite in Nizza angesichts der Wärme und Sonne gesagt, dass ich ein großes Interesse haben sollte, den Drei-Jahres-Vertrag zu erfüllen."
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Dante, der Dirigent
Dante sollte also ein großes Interesse daran haben - und er hatte es natürlich auch. In Nizza genießt er nämlich nicht nur klimatische Wärme, sondern auch menschliche. Mit Lucien Favre übernahm im Sommer bei OGC genau der Coach, der Dante einst zu seinem großen Durchbruch verhalf. Vereint wie zu guten, alten Gladbacher Zeiten. Nur in wärmeren Gefilden. Es könnte schlechter laufen.
War auch an der Zeit, dass es in Dantes Karriere wieder bergauf geht. Nach der Trennung von Favres Gladbach gewann Dante mit dem FC Bayern 2013 zwar "Meisterschaft, Champions League und Pokal auch", aber unter dem neuen Trainer Pep Guardiola kam der Brasilianer immer seltener zum Einsatz. Auch Guardiolas Wunsch nach tausendfacher Klonung konnte Dante nicht von einem Verbleib überzeugen. Er zog weiter nach Wolfsburg. Nach einer enttäuschenden Saison beim VfL wechselte er schließlich nach Nizza.
Dort ist er nicht nur Stamm-, sondern direkt auch Führungsspieler. "Der Trainer hat mir gesagt, es sei eine junge Truppe mit vielen Qualitäten, die einen Dirigenten brauche", erzählt Dante. Und so bekam sie einen lockigen und meist gut gelaunten Dirigenten, der seine größtenteils jungen Mitspieler so gerne einweist, wie er Musik treibt: "Ich liebe es, Ratschläge zu geben."
Auf ausgetretenen Pfaden
Ratschläge aus dem Munde Dantes bekommen nun Kollegen wie Mittelfeldspieler Wylan Cyprien (21) oder Außenverteidiger Dalbert (23). Beide kamen vor der Saison für verhältnismäßig geringe Summen (fünf beziehungsweise zwei Millionen Euro) von verhältnismäßig unbekannten Vereinen (RC Lens und Vitoria Guimaraes) und sind verhältnismäßig sehr talentiert. Beide konnten sich auf Anhieb einen Stammplatz erkämpfen. So weit ist der 19-Jährige Offensivmann Arnaud Lusamba, der eigentlich noch den Titel Offensivjugendlicher tragen sollte, noch nicht, doch auch seine Zeit wird kommen. 2,5 Millionen Euro überwies Nizza für ihn an Nancy.
Externe Talente sind die eine Säule von Favres Konzept, im Verein selbst ausgebildete, die andere. "Die einzige Chance von Nizza ist das Centre de Formation", erklärt Favre, "die richtigen Jungen ausbilden und rausbringen - da müssen wir ganz, ganz stark sein." Die Blaupause, wie es gehen kann, liefert Malang Sarr. 17 Jahre ist er alt, seit 2005 kickt er für Nizza. Unter Favre ist er Stammspieler.
All diese jungen Spieler stehen exemplarisch für einen Pfad, den Favre schon bei seinen ehemaligen Vereinen austrat, und den er nun wieder fleißig verfolgt. Einen Pfad, an dem Favre einst beispielsweise einen Marco Reus an der Hand nahm und entlangführte. Genau wie viele andere verheißungsvolle Talente, die zu Stars werden sollten.
In Nizza läuft es nicht anders. Neben einigen erfahrenen Akteuren arbeitet Favre auch bei OGC vorrangig mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern. "Wir müssen gute, junge Leute holen, das ist unsere Chance, und darauf habe ich Lust", sagte Favre bei seiner Vorstellung.
Andernorts gescheitert, in Nizza aufgefangen
Favre formte im Sommer seine Mannschaft nach exakt diesem Konzept. Dabei kam ihm letztlich entgegen, dass das Kader-Grundgerüst, das in der vergangenen Saison in der Ligue 1 den vierten Platz erkämpfte, im Sommer absprang. Nicht ins ebenso nahe wie erfrischende Meer, klar, sondern zu reicheren, prominenteren Vereinen. Mit Jeremy Pied (Southampton), Kapitän Nampalys Mendy (Leicester) und den beiden gefährlichsten Schützen der vergangenen Saison, Hatem Ben Arfa (PSG) und Valere Germain (Monaco), verließen vier Schlüsselspieler den Klub.
Die neuen Schlüsselspieler heißen nun eben Dante oder auch Younes Belhanda und Mario Balotelli. Andernorts gescheitert, in Nizza aufgefangen, von Favre aufgerichtet und nun wieder im Formhoch. Favre scheint umgehen zu können mit einem Mario Balotelli, der in den Medien zwar als "Super Mario" und bei Dante als "bescheidener Junge" durchgeht, von seinem Ex-Trainer Jose Mourinho jedoch das Etikett "untrainierbar" bekam.
"Er trainiert", bestätigt nun aber Favre, "und hört auf Ratschläge. Ich denke, wir werden gut zusammenarbeiten." Es funkt zwischen Favre und Balotelli, und das beruht auf Gegenseitigkeit. "Ich habe mit dem Trainer gesprochen und hatte sofort das Gefühl, dass er mich unbedingt will", erzählt Balotelli vom ersten Abtasten mit seinem neuen Chef.
"Mehr als nur eine Sommeridylle"
Aber nicht nur Balotelli ist begeistert von Favre, auch Mathieu Bodmer. Und wenn Bodmer von etwas begeistert ist, dann heißt das etwas. Der 33-Jährige Mittelfeldabräumer ist einer dieser Spieler, für den einst das Wort "Recke" erfunden wurde. 355 Ligue-1-Spiele hat Bodmer bereits absolviert. Er spielte mit Lille, Lyon, PSG und Saint-Etienne für fast alle französischen Klubs, die etwas auf sich halten, ehe er sich 2013 eben Nizza anschloss. Bodmer kennt sich aus in der Fußball-Welt. "Lucien weiß unfassbar viel über Fußball", sagt Bodmer also anerkennend und erteilt Favre den inoffiziellen Ritterschlag, "wir sind alle bereit, viel von ihm zu lernen."
Lernen ist das Eine, das Gelernte dann auch umsetzen das Andere. Bei Favres Nizza klappt beides. OGC ist Tabellenführer der Ligue 1. Acht Spiele, sechs Siege, zwei Remis. Nun trifft OGC im Spitzenspiel auf Olympique Lyon. Die bisherigen Duelle mit den Topteams entschied Nizza für sich: 3:2 gegen Olympique Marseille, 4:0 gegen AS Monaco.
Es entwickelt sich jedoch nicht nur sportlich etwas an der Cote d'Azur, sondern auch infrastrukturell. Für 17 Millionen Euro entsteht gerade ein neues Jugendzentrum. Chinesische und amerikanische Investoren übernahmen im Juni 80 Prozent des Vereins und werden nun allem Anschein nach auch ihrem Berufstitel gerecht: Sie investieren.
Das beste Investment, das Nizza in diesem Sommer jedoch tätigte, war wohl die Verpflichtung von Trainer Favre. "Mehr als nur eine Sommeridylle" nannte Le Temps vor einigen Wochen die Beziehung zwischen OGC und dem Schweizer Trainer. Dante und Balotelli reichte schon die Sommeridylle alleine zum Aufblühen. Wenn es nun sogar darüber hinaus geht, ist alles möglich.
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