Die Stadt Kaltan im Verwaltungsbezirk Kemerowo ist nicht dafür bekannt, prominente Söhne und Töchter hervorzubringen, geschweige denn Sportler von Rang. Dort in der westsibirischen Region Kusbass, die sich im Zweiten Weltkrieg als Rüstungsschmiede der sowjetischen Armee einen Namen machte, reichen die Winter bis in den April hinein.
Wie die meisten Männer in Kaltan war Sergej Golovin im Bergbau tätig. Nebenbei trainierte er eine Fußballmannschaft. Ein ungewöhnliches Hobby, schließlich sind die dominierenden Sportarten in der Region Eishockey oder das Bundy, ein fußballverwandter Vorgänger von Eishockey.
Golovin Senior erkannte jedoch die Zeichen der Zeit und brachte seinen fünf Jahre alten Sohn Aleksandr zum Fußball, oder vielmehr zum Futsal. Weil der einzige Fußballplatz der Stadt über weite Strecken des Jahres einem schlammigen Acker gleicht und auch im Sommer die früh einsetzende Dämmerung einen regulären Trainingsablauf nahezu unmöglich macht, weicht man in Kaltan oftmals in die Halle aus.
Über die sibirische Jugendauswahl schaffte es Golovin mit 16 Jahren zum ehemaligen Armee-Klub ZSKA Moskau und in dessen renommierte Jugendakademie. Scouts hatten den ballgewandten Mittelfeldspieler 2013 bei einem Turnier entdeckt und zum Probetraining eingeladen. Ein Weg, der vielen russischen Fußballern, gerade aus der Region Kussba, verbaut bleibt.
"Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich groß, dass der russische Messi irgendwo in Sibirien als Wachmann oder an einer Tankstelle arbeitet", sagte der bekannte TV-Journalist Sergej Krivokharchenko im Interview mit dem Spiegel über die Probleme der russischen Nachwuchsförderung.
Aleksandr Golovin als Erbe von Arshavin und Zhirkov
Zwei Jahre verbrachte Golovin in der Jugend des russischen Rekordmeisters, kam allerdings im russischen Pokal bereits 2014 zu seinem Debüt bei den Profis. Ein Jahr später holte ihn Trainer Leonid Slutski endgültig in den Profikader, machte ihn 2016 zum Stammspieler und sprach in höchsten Tönen vom neuen russischen Wunderkind.
Mit ähnlichen Verbal-Lorbeeren wurden in Russland einst auch Arshavin und Zhirkov bedacht. Beide erlangten bei der EM 2008 in Österreich endgültig einen Superstar-Status. Arshavin zog es anschließend zum FC Arsenal, Zhirkov wurde nur wenig später vom Stadtrivalen FC Chelsea verpflichtet.
21 Millionen Euro legten die Blues damals auf den Tisch. Eine Rekordsumme für einen russischen Fußballspieler, die neun Jahre Bestand haben sollte. Doch sowohl Arshavin als auch Zhirkov hinterließen in ihren wenigen Jahren in London keine bleibenden Spuren. Trotz ihres Heldenstatus' in der Heimat, wurden sie zum Sinnbild für das Klischee, dass russischen Spielern für die Topmannschaften in Europa etwas fehle.
Gerade deswegen steht der Wechsel von Golovin zur AS Monaco im Zeichen seiner zwei prominenten Vorgänger. Im Gegensatz zu Arshavin und Zhirkov soll er aber mehr sein, als nur eine prominente Randnotiz in Europa und Monaco nur Zwischenstation auf dem Weg dorthin. Dass er das Zeug dazu hat, dessen war sich ZSKA-Präsident Evgeniy Giner nach eigener Aussage schon immer bewusst.
Auch die Tatsache, dass er dafür die mittelmäßige russische Premjer Liga besser früh als spät verlassen muss, war für Giner eine unumstößliche Wahrheit. "Wir müssen ihn ziehen lassen, damit wir ihn nicht ruinieren", sagte der 58-Jährige.
Aleksandr Golovin: Seine Leistungsdaten bei ZSKA Moskau
Wettbewerb | Spiele | Tore | Assists |
Premier Liga | 81 | 9 | 9 |
Champions League | 12 | - | 1 |
UEFA Youth League | 12 | 3 | 4 |
Russischer Pokal | 8 | 2 | - |
Europa League | 5 | 2 | 1 |
Gesamt | 118 | 16 | 15 |
Aleksandr Golovin bei der WM 2018: Küken mit Pferdelunge
Das sagte er in dem Wissen, dass ein Wechsel Golovins nach der WM im eigenen Land als so gut wie sicher galt. Zu überzeugend waren die Auftritte des 22-Jährigen, der als einer der wenigen Spieler der russischen Nationalmannschaft nicht nur kämpferische, sondern auch spielerische Akzente setzte.
Für die Interessenten hinterlegte Golovin während der Weltmeisterschaft den letzten Beweis, dass er Verantwortung tragen und auch auf der großen Bühne mit Druck umgehen kann. Golovin, dem sie in Russland aufgrund seiner schmächtigen Statur und seines kindlichen Gesichts den Spitznamen "Küken" gaben, schulterte schon vor Beginn der WM die Hoffnungen eines ganzen Landes.
Golovin legte im Schnitt 13,5 Kilometer pro Spiel zurück und war damit einer der laufstärksten Spieler des gesamten Turniers. Zwar steuerte er lediglich im Auftaktspiel gegen Saudi Arabien direkte Torbeteiligungen zum guten russischen Abschneiden bei (1 Tor, 2 Vorlagen), doch auch in den folgenden Partien war er ein zentrales Element im Spiel der Russen.
So setzte er gegen Spanien im Achtelfinale über 120 Minuten zu 60 Sprints an und lief somit immer wieder Räume zu. Russland ermauerte sich gegen kreativlose Spanier das Elfmeterschießen und gewann. Die Athletik triumphiert über Ballbesitz. Das war die Quintessenz des russischen Turnierverlaufs. Golovin war ein entscheidendes Werkzeug dafür und sorgte zusätzlich für spielerische Überraschungsmomente.
AS Monaco sticht Chelsea bei Golovin aus
Nach der WM befand sich eigentlich der FC Chelsea in der Pole Position für eine Verpflichtung des russischen Shootingstars. Moskaus Präsident warnte die Blues, dass es noch Mitbewerber für Golovin gebe und ging damit sogar an die Öffentlichkeit: "Uns hat vor kurzem Vadim Vasilyev von der AS Monaco besucht. Der hat ein Angebot für Golovin abgegeben", sagte Giner.
Das Angebot belief sich auf 30 Millionen Euro, inklusive eines Fünfjahresvertrags für den zentralen Mittelfeldspieler. Offensichtlich zu viel für Chelsea. Dass Monaco bereit war für ein hochgelobtes Talent so viel zu bezahlen, hat Tradition im Fürstentum. Seit Jahren hat sich Monaco einen Ruf als beliebtes Sprungbrett für die Hochbegabten des europäischen Fußballs erarbeitet.
Das fing in den 90er Jahren mit David Trezeguet, Thierry Henry oder Lilian Thuram an und hat sich über James Rodriguez, Thomas Lemar bis hin zum Verkauf von Kylian Mbappe durchgezogen. "Unser Projekt richtet sich auf die Jungen aus. Einige können uns von jetzt an helfen, andere werden es etwas später tun", sagt Monacos Trainer Leonardo Jardim über die Transferpolitik der AS.
Warum so viele junge Spieler dem Werben der Monegassen nachgeben würden, liegt für den Portugiesen auf der Hand: "Jeder weiß, dass Jugend Zeit braucht. Es gibt dafür kein magisches Baguette", konstatiert Jardim und ergänzt, dass man den Spielern in Monaco Zeit gebe, sich zu entwickeln. Zeit, die Golovin aufgrund der steigenden Anforderungen in einer qualitativ besseren Liga zwar benötigt, aber beim FC Chelsea wohl höchstwahrscheinlich nicht bekommen hätte.
AS Monaco: Die Top 10 der Rekordabgänge
Spieler | Alter | Saison | Aufnehmender Verein | Ablöse |
Kylian Mbappe | 19 | 18/19 | Paris Saint-Germain | 135 Mio. |
James Rodriguez | 23 | 14/15 | Real Madrid | 75 Mio. |
Thomas Lemar | 22 | 18/19 | Atletico Madrid | 70 Mio. |
Anthony Martial | 19 | 15/16 | Manchester United | 60 Mio. |
Benjamin Mendy | 23 | 17/18 | Manchester City | 57,5 Mio. |
Bernardo Silva | 22 | 17/18 | Manchester City | 50 Mio. |
Fabinho | 24 | 18/19 | FC Liverpool | 45 Mio. |
Tiemoue Bakayoko | 22 | 17/18 | FC Chelsea | 40 Mio. |
Geoffrey Kondogbia | 22 | 15/16 | Inter Mailand | 36 Mio. |
Layvin Kurzawa | 22 | 15/16 | Paris Saint-Germain | 25 Mio. |
Golovin bei der AS Monaco: Küken auf dem Sprungbrett
Golovin sollte bei Monaco einer der Spieler sein, die "von jetzt an" helfen. Doch aufgrund einer Sprunggelenksverletzung wird daraus zumindest in den kommenden vier Wochen nichts. Wenn er zurückkommt, sind die Voraussetzungen, unter denen er sich entfalten soll, aber immer noch die gleichen.
Angesichts der Übermacht des Starensembles aus der französischen Hauptstadt sind Titel im Fürstentum lediglich Bestandteil von kühnen Träumen und kein klar gestecktes Saisonziel. Dort steht Entwicklung an erster Stelle, nicht der absolute Erfolgsdruck wie beim FC Chelsea.
Das Küken Golovin wählte das Sprungbrett anstelle des unmittelbaren Sprungs ins kalte Wasser. Im Gegensatz zu Arshavin (27 Jahre) und Zhirkov (25 Jahre), die beide zum Zeitpunkt ihres Wechsels nach London bereits im fortgeschritteneren Fußballer-Alter waren, kann sich Golovin diesen Zwischenstopp leisten.
Ein Grund mehr, weswegen er am Ende vielleicht mehr werden könnte, als seine beiden Vorgänger. Nämlich Weltstar statt Randnotiz.