Julian Draxler spielt seit anderthalb Jahren bei Paris Saint-Germain und glaubt, dass Medien und Öffentlichkeit in Deutschland einen falschen Eindruck von ihm haben. Im exklusiven Interview mit SPOX und Goal spricht der Nationalspieler über sein Standing in Paris, die Zusammenarbeit mit Trainer Thomas Tuchel und die Qualitäten seiner Kollegen Kylian Mbappe und Neymar.
Außerdem macht er sich Gedanken über den Zustand der Nationalmannschaft und erklärt, warum es manchmal vielleicht sogar besser ist, ihn auf der Bank zu lassen.
SPOX/Goal: Herr Draxler, war der Start in die laufende Saison für Sie der wichtigste seit Ihrem Wechsel nach Paris?
Julian Draxler: Nein, nicht wirklich. Jede Saison ist wichtig, also ist es keine besondere Situation. Aber natürlich ist es nicht so leicht hier. Wir haben viele gute Spieler, da muss man seinen Platz in der Mannschaft erst einmal finden. Für mich war es zu Beginn dieser Saison hart, da ich von einer misslungenen Weltmeisterschaft mit der deutschen Nationalmannschaft zurückgekommen bin. Ich musste erst meinen Weg finden, mit dem neuen Trainer und den neuen Mitspielern. Aktuell fühle ich mich gut, ich spiele häufig und ich bin glücklich.
SPOX/Goal: Wo fühlen Sie sich auf dem Platz am wohlsten?
Draxler: Eine meiner Stärken ist es, dass ich auf vielen Positionen spielen kann. Ich würde aber sagen, die beste Position für mich ist die Acht - speziell in der Mannschaft, die wir aktuell haben. Wie Sie wissen, sind die drei Angreifer, die wir haben, nicht so schlecht. (lacht) Es ist also nicht ganz leicht, eine gute Rolle in der Angriffsreihe zu spielen. Ich fühle mich auf der Acht sowie im Mittelfeld sehr wohl. Während der letzten Spiele habe ich sogar häufiger auf der Sechs gespielt, auch das ist okay für mich. Ich fühle mich mit Ball sehr wohl, bin ein intelligenter Spieler und das ist vielleicht auch der Grund, warum ich Spielzeit bekomme.
SPOX/Goal: Zu Saisonbeginn haben Sie nicht so häufig gespielt, aber bei jedem Ihrer Einsätze die Erwartungen erfüllt. Wie schätzen Sie das Vertrauen, das Ihnen der Trainer gibt, ein?
Draxler: Zu Beginn war es nicht so leicht: Ich kannte den Trainer nicht und er kannte mich auch nicht. Das Gute ist, dass wir beide aus Deutschland kommen. So konnten wir häufig reden. Jetzt weiß ich, was er von mir erwartet. Das versuche ich, auf den Platz zu bringen. Zu Saisonbeginn hatte ich leider mit einigen Verletzungen zu kämpfen und wie bereits erwähnt, war es nach der WM nicht leicht. Wenn er mich aufgestellt hat, habe ich auch nicht gut gespielt, das gehört auch zur Wahrheit. Jetzt aber hat der Trainer Vertrauen und das ist auch der Grund, warum ich häufiger spiele.
SPOX/Goal: Wie führt Tuchel die Mannschaft?
Draxler: Ich mag es, dass er uns vor den Medien schützt. Nach einem schlechten Spiel sagt er zum Beispiel: 'Okay, so schlecht war das nicht, aber wir hätten es besser machen können.' Er stellt nach außen immer die positiven Aspekte eines Spiels in den Vordergrund. Aber Sie können sicher sein, dass Thomas Tuchel in der Kabine auch ganz anders sein kann. Er fordert sehr viel von seinen Spielern - und wenn wir keine gute Leistung abliefern, ist er auch gnadenlos ehrlich zu uns. Jeder Spieler weiß, was er auf dem Platz zu tun hat. Und wenn einer seinen Job nicht erledigt, kann der Trainer sehr wütend werden.
SPOX/Goal: Gegen Liverpool hat die Mannschaft eine gute Moral gezeigt, was man in der Vergangenheit manchmal vermisst hat. Glauben Sie, das Team hat damit den nächsten Schritt in seiner Entwicklung geschafft?
Draxler: Im zweiten Spiel gegen Liverpool haben wir gezeigt, dass wir auch kämpfen können. In der Champions League ist das sehr wichtig, da alle Mannschaften auf einem sehr hohen Level spielen. Partien wie die gegen Liverpool können nicht nur durch Fußballspielen gewonnen werden. Da muss man kämpfen. Wir haben das in diesem Spiel gezeigt, aber in der Königsklasse musst du in jedem Spiel zeigen, dass du bereit bist, an deine Grenzen zu gehen.
SPOX/Goal: In Belgrad steht für PSG ein erstes Finale an - gegen einen Gegner, bei dem weder Liverpool noch Neapel siegen konnten. Wie bereitet Tuchel das Team vor?
Draxler: Wir müssen uns genauso vorbereiten wie gegen Liverpool. Wie Sie bereits gesagt haben: Es ist wie ein Finale. Wir müssen dort gewinnen beziehungsweise mindestens einen Punkt holen. Wir haben die Spiele von Liverpool und Neapel dort gesehen, es war sehr schwer für sie. Es wird auch schwer für uns, aber wir haben Liverpool zuhause geschlagen und wir haben große Spieler im Team. Ich bin mir sicher, wir werden dort gewinnen und in die nächste Runde einziehen.
SPOX/Goal: Besteht nach dem 6:1-Sieg im Hinspiel die Gefahr, den Gegner zu unterschätzen?
Draxler: Nein, das wird nicht passieren. Es wird ein komplett anderes Spiel werden. Wir wissen, dass wir im Prinzenpark bis jetzt sehr stark waren, aber während der letzten Spiele - auch in der Ligue 1 - hatten wir einige Probleme. Wir wissen also, dass es nicht einfach wird. Wenn man in der Champions League weit kommen möchte, muss man aber in Belgrad gewinnen.
SPOX/Goal: Manche Leute denken, die fehlende Konkurrenz in der Ligue 1 sei problematisch. Wie sehen Sie das?
Draxler: Das ist schwer zu sagen. Wir können die Dinge hier in Frankreich nicht ändern. Ich denke, dass wir auch in der Liga gute Gegner haben. Aber natürlich sind wir die mit Abstand beste Mannschaft, wenn man auf die Qualität der Spieler schaut. Das ist Fakt. Da wir die Umstände nicht ändern können, müssen wir uns auf uns selbst konzentrieren. Wir müssen uns sowohl physisch als auch mental auf alle großen Spiele, die anstehen, vorbereiten. Wir sind Profis und können die Liga und das Niveau der Gegner nicht verändern, also müssen wir uns auf das fokussieren, was wir beeinflussen können. Ich bin mir sicher, dass wir es dieses Mal besser machen werden als beispielsweise vor zwei Jahren.
SPOX/Goal: Wie sieht Ihr Zusammenspiel mit Neymar aus, seitdem er die Rolle auf der Zehn übernommen hat?
Draxler: Wir wissen, dass Neymar unglaubliche Fähigkeiten besitzt. Er ist ein großer Spieler, wir suchen ihn immer auf dem Platz - egal, ob er außen oder zentral auf der Zehn spielt. Ihm selbst ist es nicht wichtig, auf welcher Position er aufgestellt wird. Er versucht immer, überall auf dem Platz zu sein. Für uns macht das keinen großen Unterschied. Wenn man einen Spieler wie ihn im Team hat, musst du ihm auch den Ball geben. Das ist aktuell auch Teil meiner Rolle. Ich versuche, gemeinsam mit Rabiot, Marquinhos oder Verratti gut zu verteidigen und den Ball anschließend zu Neymar oder Mbappe weiterzugeben, weil beide sehr gefährliche Spieler sind. Sie können aus dem Nichts ein Tor erzielen.
SPOX/Goal: Kylian Mbappe wurde bei der Wahl zum Ballon d'Or Vierter. In welchen Bereichen muss er sich noch verbessern, um die Trophäe zu gewinnen?
Draxler: Das ist schwierig zu sagen. Er ist schon jetzt ein Weltklassespieler, aber er ist erst 19 Jahre alt. Um den Ballon d'Or zu gewinnen, braucht es ein wenig Erfahrung. Wenn er wie bisher weitermacht, wird er ihn eines Tages gewinnen - da bin ich mir sicher. Ich habe noch nie einen Spieler in seinem Alter gesehen, der schon auf solch einem Niveau spielt. Er hat bereits die Weltmeisterschaft gewonnen und es wäre auch gut für uns, wenn er die Champions League gewinnen könnte. Wenn Sie mich also fragen, wird er im nächsten Jahr die Champions League mit PSG gewinnen. Und dann kann er auch den Ballon d'Or im nächsten Jahr holen.
SPOX/Goal: Wer wird zuerst einen Ballon d'Or gewinnen: Neymar oder Mbappe?
Draxler: Ich weiß es nicht. Das hängt immer von mehreren Faktoren ab: Von der Form, den Leistungen über die komplette Saison, den Leistungen der gesamten Mannschaft. Außerdem gehört immer eine Portion Glück dazu. Beide sind unglaubliche Spieler und beide verdienen es, eines Tages den Ballon d'Or zu gewinnen. Man kann nie wissen. Dieses Jahr war Luka Modric der Gewinner, das hätte vor der Weltmeisterschaft niemand erwartet.
SPOX/Goal: Kommen wir zurück zu Ihnen: Bislang haben Sie 14 von 17 Ligaspielen absolviert. In Deutschland scheinen einige Menschen dennoch zu meinen, Sie hätten bei PSG keine wichtige Rolle inne. Wie nehmen Sie das wahr?
Draxler: Jedes Mal, wenn ich zur Nationalmannschaft komme, kann ich spüren, dass viele denken, ich würde bei PSG nicht viel spielen, sondern viel auf der Bank sitzen. Das interessiert mich aber nicht. Ich weiß, dass mir der Klub und der Trainer vertrauen. Das ist das Wichtigste für mich. Was in den Zeitungen steht, ist oft nicht so wichtig. Natürlich merke ich, dass viele Leute in Deutschland diesen Eindruck haben. Ich bin jetzt zwei Jahre in Paris und viele denken, ich würde nicht viel spielen. Ich verstehe das nicht, kann es aber nicht ändern. Ich muss es also akzeptieren und versuchen, auf dem Platz meine beste Leistung zu zeigen. Mehr kann ich nicht tun.
SPOX/Goal: Wenn Sie über dieses Gefühl bei der Nationalmannschaft sprechen, meinen Sie dann die Medien oder ihre Mitspieler?
Draxler: Ich meine die Medien. Wenn man sich die Zeit nimmt und auf die Statistiken schaut, mutet das natürlich seltsam an. Meine Freunde bei der Nationalmannschaft wissen aber, was ich bei PSG leiste. Das ist auch der Grund, warum mich alles andere nicht interessiert. Ich fokussiere mich nur auf meine Mitspieler und versuche, mein Bestes zu geben.
SPOX/Goal: Von welchem Mittelfeldspieler können Sie aktuell am meisten lernen?
Draxler: Da würde ich Marco Verratti nennen. Er ist ein brillanter Spieler ist, verliert nie den Ball. Neben ihm fühlt man sich extrem sicher. Aber es hängt auch immer vom Gegner ab und davon, wie wir spielen. Wenn wir gegen große Teams spielen, ist es manchmal besser, mit Marquinhos zu spielen und mich auf die Bank zu setzen. Manchmal spielt er dann mit Rabiot, der ebenfalls ein großartiger Spieler ist. Es ist für mich nicht so wichtig, es kommt auf das Spiel und den Gegner an. Wenn du zwei oder drei schlechte Spiele hintereinander machst, wirst du auf der Bank sitzen. Das ist normal bei großen Klubs. Wenn ich spiele, ist es mir relativ egal, mit wem. Aber für mich persönlich ist Marco Verratti ein ganz besonderer Spieler.
SPOX/Goal: Wie haben Sie es erlebt, als Tuchel Sie erstmals anstelle von Rabiot ins Mittelfeld beordert hat?
Draxler: Ich hatte auf diese Chance gewartet. Der Trainer hat schließlich entschieden, mich gegen Marseille in die Startelf zu stellen. Ich habe mein Bestes gegeben und ein Tor erzielt, dann ist es für einen Trainer natürlich schwer, mich wieder rauszunehmen. In unserem Team kämpft jeder um seinen Platz. Wir haben große Spieler und jeder denkt wahrscheinlich, er sei der Beste für eine bestimmte Position - mich eingeschlossen. Ich habe ein gesundes Selbstvertrauen und weiß, dass auch ich ein guter Spieler bin. Immer, wenn ich meine Chance bekomme, will ich den Fans im Stadion und dem Trainer zeigen, dass ich es verdient habe, zu spielen. Am Ende ist es aber immer der Trainer, der entscheidet, was das Beste für das Team ist.
SPOX/Goal: Ist der Konkurrenzkampf bei PSG besonders hart, weil Tuchel den Anspruch hat, viele Spieler einzusetzen und diesen teilweise auch eine Chance auf neuen Positionen zu geben?
Draxler: Heutzutage spielen wir über 60 Spiele pro Saison. Da braucht der Trainer mindestens 15 oder 16 Top-Spieler in seiner Mannschaft. Das ist bei allen großen Teams in Europa der Fall und das ist auch der Grund, warum wir auf vielen Positionen durchwechseln. Der Trainer versucht, für jeden Spieler eine neue Position zu finden, für mich ist das nichts Ungewöhnliches. Es ist auch normal, dass man nicht in jedem Spiel in der Startelf steht. Manchmal ist man erschöpft, verletzt oder hat nicht gut gespielt. Für mich ist das in einem solchen Team mit so vielen Stars normal. Natürlich gibt es zwei oder drei Spieler, die sehr, sehr wichtig sind, zum Beispiel Neymar oder Mbappe. Wenn sie in guter Verfassung sind, stehen sie in der Startelf, weil sie die ganz speziellen Momente kreieren können, wie es sonst nur bei wenigen Spielern der Fall ist. Ich mache mir keine Sorgen. Ich vertraue dem Trainer genauso wie er mir. Darum fühle ich mich sehr wohl.
Julian Draxlers Statistiken bei PSG (seit Sommer 2017)
Wettbewerb | Spiele | Tore | Assists |
Ligue 1 | 61 | 11 | 9 |
Champions League | 14 | 1 | 3 |
Coupe de France | 11 | 4 | 3 |
Coupe de la Ligue | 4 | 2 | 1 |
SPOX/Goal: Eines der größten Probleme bei PSG waren die fehlenden Automatismen während des Spiels. Ist die Tatsache, dass Tuchel beinahe in jedem Spiel die Formation ändert, ein Nachteil bei der Bildung eines Kollektivs?
Draxler: Wenn man gegen Teams mit unterschiedlichen Taktiken und Formationen spielt, muss man selbst in der Lage sein, seine eigene Formation zu ändern. Manchmal spielen wir mit vier Verteidigern, dann wieder mit drei oder fünf. Das ist Teil des modernen Fußballs. Wenn man sich unsere bisherige Saisonbilanz anschaut, stellt man fest, dass wir noch kein Spiel in der Ligue 1 verloren haben. Nur in der Champions League in Liverpool mussten wir den Platz als Verlierer verlassen. Wir spielen bis jetzt eine sehr gute Saison. Für mich ist es nicht entscheidend, ob wir mit drei oder fünf Verteidigern spielen. Das Wichtigste ist, Spiele zu gewinnen. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir kein richtiges Team sind oder dass wir nervös auf dem Platz agieren. Ich denke, wir haben großes Selbstvertrauen und ich hoffe, wir können so weitermachen.
SPOX/Goal: Es stört Sie also nicht, auf verschiedenen Positionen neben unterschiedlichen Mitspielern zu spielen?
Draxler: Nein. Manchmal ist es anders, mit Neymar, Mbappe oder Di Maria auf der linken Seite zu spielen. Aber wenn man ein intelligenter Spieler ist, weiß man, was die Mitspieler machen. Wenn Neymar spielt, gebe ich ihm den Ball und er versucht, drei oder vier Gegenspieler auszudribbeln. Wenn Di Maria links spielt, versuche ich ihn immer auf seinem linken Fuß anzuspielen, da sein rechter nicht so stark ist. Nochmal: Wenn man intelligente Spieler hat, spielt es keine Rolle, in welcher Formation man spielt.
SPOX/Goal: Es war ein schwieriges Jahr 2018 für die deutsche Nationalmannschaft. Was steckt hinter dem Straucheln? Ist es an der Zeit, einer neuen Generation eine Chance zu geben?
Draxler: Das Jahr der Nationalmannschaft war schrecklich. Wir haben viele Spiele verloren, eine miserable Weltmeisterschaft gespielt und hatten Probleme in der Mannschaft. Vor der WM gab es die Geschichten rund um Mesut Özil und die türkischstämmigen Spieler im Team. Es gab viele Dinge, die nicht gut gelaufen sind. Ich hoffe, dass wir mit der Qualifikation zur EM 2020 einen Neustart schaffen können, da wir auch in der Nations League nicht überzeugt haben und Letzter in der Gruppe geworden sind. Wir müssen jetzt eine neue Mannschaft aufbauen. Es ist aber auch wichtig, die Spieler zu respektieren, die schon lange dabei und jetzt 30 oder 31 Jahre alt sind. Gleichzeitig gilt es, auf die jungen Spieler keinen zu großen Druck aufzubauen. Ich vertraue dem Bundestrainer und hoffe, dass er einen guten Job machen wird.