Thomas Tuchel und der Machtkampf bei PSG mit Leonardo: Ziemlich schlechte Freunde

Die Beziehung zwischen PSG-Trainer Thomas Tuchel und Sportdirektor Leonardo scheint zerrüttet.
© imago images / PanoramiC

Hinter Paris Saint-Germain liegt eine historische Quadruple-Saison, in der der lang ersehnte Gewinn der Champions League nur knapp verpasst wurde. Das hat die Position von PSG-Trainer Thomas Tuchel gestärkt. Dass der Coach den seit längerer Zeit schwelenden Machtkampf mit Sportdirektor Leonardo gewinnt, ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich.

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Man muss gewiss kein Fußballromantiker sein, um gewisse Abläufe bei einem Verein wie Paris Saint-Germain als perfide zu empfinden. Das unanständige Katar-Engagement, das seit dem Einstieg der Investorengruppe QSI 2011 die Regeln des Financial Fairplay biegt oder exorbitant hohe Ablösesummen und Gehälter zahlt, ist ohnehin längst zum Parade-Beispiel des sich immer weiter vom normalen Zuschauer lösenden Turbokapitalismus in diesem Business verkommen.

Was rein auf die sportliche Ebene heruntergebrochen von außen betrachtet äußerst seltsam wirkt, ist die Tatsache, dass innerhalb eines Klubs, der soeben eine historische Quadruple-Saison hingelegt und nur knapp das langjährige Ziel Champions-League-Titel verpasst hat, keine Ruhe herrscht. Vielmehr bestimmen nur wenige Tage nach dem verlorenen Endspiel von Lissabon gegen den FC Bayern interne Machtkämpfe die Schlagzeilen in Paris.

PSG-Trainer Thomas Tuchel, seit 2018 im Amt, und Sportdirektor Leonardo, im Sommer 2019 angetreten, liegen nämlich im Clinch. Und das nicht erst seit ein paar Tagen, sondern seit Monaten. Bei den Streitigkeiten geht es auch nicht nur um ein Thema, auf gleich mehreren Feldern sind sich der Deutsche und der Brasilianer uneinig. Kaderplanung, Spielsystem, selbst bei der aktuellen Urlaubsplanung der Spieler sollen sich beide in die Haare bekommen haben.

Es ist daher rund um Paris eine Gewissheit, dass Leonardo Tuchel am liebsten so bald wie möglich loshaben möchten.

Tuchels Transferwünsche wurden schon von Henrique ignoriert

Da helfen dann eben auch keine vier gewonnenen Titel oder das bislang beste Abschneiden in der Königklasse seit dem QSI-Einstieg. Und womöglich auch nicht die Jubelarie von Präsident Nasser Al-Khelaifi.

"Seit dem 23. August 2020 hat sich die Art und Weise, wie wir unseren Klub betrachten, verändert. Wir werden nun definitiv als eine Hochburg des internationalen Fußballs, als eine legitime und erfolgreiche Institution des Weltsports wahrgenommen", sagte der 46-Jährige. "Wir haben das Trikot, die große Geschichte und den Eroberungsgeist von Paris Saint-Germain geehrt. Wir sind in den letzten Jahren mehrmals gefallen. Jedes Mal kamen wir wieder auf die Beine, und indem wir besser verstanden, wo wir noch wachsen mussten, fanden wir schließlich unseren Weg. Es ist ein Weg, der Paris Saint-Germain noch nie so weit geführt hat."

Für Tuchel dürfte sich die aktuelle Lage bekannt anfühlen - und damit ist nicht auf die Fehde mit der Vereinsführung während seiner Zeit bei Borussia Dortmund verwiesen. Als Tuchel bei PSG zusagte, arbeitete er zunächst mit Antero Henrique zusammen. Doch auch mit dem Portugiesen, der eigentlich den ihm aus Porto bekannten Sergio Conceicao als Trainer bevorzugte, fand er keinen Nenner.

Henrique war zwar im Amt, als Neymar und Kylian Mbappe für knapp über 400 Millionen Euro in die französische Hauptstadt geholt wurden, seine Kaderplanung wurde in Tuchels erster Saison dennoch als unausgewogen kritisiert. Das brachte den Ex-BVB-Coach gar öffentlich auf die Palme, da Henrique offenbar Tuchels Wünsche in beiden Transferfenstern ignorierte. Der Zusammenstellung der Mannschaft fehlte es an Balance und Tiefe, was mit ein Grund dafür war, dass PSG am Ende von Tuchels Debütjahr nur mit der Meisterschaft dastand. Im Ligapokal flog man gegen einen späteren Absteiger hinaus, das Pokalfinale ging verloren und auch in der CL war im Achtelfinale Endstation.

Tuchel-Widersacher Leonardo genießt höchsten Respekt

Tuchel gewann schließlich den Machtkampf gegen Henrique, der für seine Unprofessionalität selbst von Uli Hoeneß scharf kritisiert wurde, als dieser im Zuge der Verhandlungen über einen Transfer von Jerome Boateng den Parisern riet, ihren Sportdirektor auszutauschen: "Dieser Mann ist kein Aushängeschild für diesen Verein." Im Mai vergangenen Jahres wurde Tuchels Vertrag schließlich bis 2021 verlängert, einen Monat später musste Henrique gehen.

Es kam Leonardo, der nach einem Jahr beim AC Mailand hinwarf und zum zweiten Mal bei PSG nach seiner Amtszeit zwischen 2011 und 2013 antrat. Damals musste der bald 51-Jährige, der Thiago Silva, Marco Verratti, Zlatan Ibrahimovic und Edinson Cavani an die Seine gelotst hatte, gehen, da es der Vereinsführung mit der Entwicklung des Vereins nicht schnell genug ging.

Doch seine Nachfolger Patrick Kluivert und Henrique konnten nicht so überzeugen, wie es der bei den PSG-Fans aufgrund seines einjährigen Gastspiels als Profi (1996-1997) bis heute sehr beliebte Leonardo konnte. Der Brasilianer genießt im Verein höchsten Respekt, ist am Klubgelände sehr präsent und deutlich mehr Bindeglied als seine beiden Vorgänger. Er hat mit seinem charmanten Auftreten auch die bisweilen bissigen französischen Medien größtenteils im Griff. "Die Spieler hatten immer einen riesigen Respekt für ihn. Es ist fundamental wichtig, jemanden zu haben, der solch eine Ruhe ausstrahlt wie Leonardo. Er ist perfekt in dieser Rolle", befand Javier Pastore einmal.

Tuchel und Leonardo uneinig in Transferfragen

Es war also klar und gewollt, dass Leonardo bei seiner Rückkehr im vergangenen Sommer der starke Mann in Paris würde. Und wie Henrique hat auch Leonardo große Schwierigkeiten damit, mit einem Trainer, den er nicht selbst ausgewählt hat, in dieselbe Richtung zu arbeiten. Tuchel entspräche nicht Leonardos Trainerideal, schreiben Frankreichs Sportmedien. Zum arbeitslosen Ex-Juve-Trainer Massimiliano Allegri bestünde schon seit längerem intensiver Kontakt.

Und so arbeitet Leonardo wie Henrique - nämlich an Tuchel vorbei. Der Deutsche wollte mit dem langjährigen Kapitän Thiago Silva verlängern, Leonardo schob ihn zu Chelsea ab. "Tuchel wollte Thiago immer behalten. Derjenige, der nicht wollte, war Leonardo und er hat die Macht", sagte Silvas Berater Paulo Tonietto der L'Equipe.

Nach Angaben von Canal+ Sport soll Tuchel die bereits so gut wie eingetüteten Transfers von Sergej Milinkovic-Savic, Milan Skriniar und Nicolas Tagliafico nach Paris verhindert haben, auch einen Abgang von Julian Draxler zu Bayer Leverkusen ließ er nicht zu. Leonardo wiederum zog beim ausgeliehenen Mauro Icardi die 50-Millionen-Euro-Klausel, Tuchel ließ den Argentinier schließlich im CL-Halbfinale und -Finale jeweils auf der Bank schmoren. Zu weiteren Verstimmungen kam es, als Leonardo ohne Tuchels Wissen mit Mannschaftsarzt Laurent Aumont einen der engsten Vertrauten des Trainers entließ.

Leonardo nüchtern: "Tuchel macht eine gute Arbeit"

Nicht einmal mehr ein offenes Geheimnis ist daher, dass das gute Abschneiden von Tuchels Team in der CL Leonardos Agenda überhaupt nicht in die Karten spielte. Entsprechend nüchtern beendete der Brasilianer daher die zuletzt nie stillstehenden Diskussionen um den Cheftrainer: "Mit Tuchel haben wir gesprochen: Er weiß Bescheid, es ist sehr klar, es gibt keine Gespräche mit einem anderen. Er hat noch ein Jahr Vertrag und er wird in der nächsten Saison auf der Bank sitzen. Er macht eine gute Arbeit, die Ergebnisse sind gut."

Das klingt sehr danach, als sei gut für Leonardo nicht gut genug. Er wird wissen, dass Tuchels Chancen, den Machtkampf gegen ihn zu gewinnen, nicht besonders groß sind. Er wird jedoch genauso wissen, dass Tuchel bis zum bitteren Ende beharrlich bleiben und nicht aufgeben wird.

Die erste öffentliche Ansage an seinen Sportdirektor hat der Trainer schon gemacht: "Wir brauchen neue Energie, wir brauchen neue Qualität, um unser Niveau zu halten und auch um allen die Perspektive zu zeigen, dass wir nicht nachlassen und weitergehen und dass das, was wir hier aufgebaut haben, erst der Anfang und nicht schon der Höhepunkt ist."

PSG: Alle Titelgewinne von Paris Saint-Germain seit dem QSI-Einstieg 2011

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Französischer Supercup

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