Ein Blick in die Torschützenliste der Ligue 1 zeigt uns altbekannte Namen. Da wäre der mittlerweile etwas in die Jahre gekommene Alexandre Lacazette von Olympique Lyon, die Paris-Connection mit Kylian Mbappé und Neymar sowie der schon seit längerem gehypte Kanadier Jonathan David in Diensten von OSC Lille. Angeführt wird die Liste allerdings von einem Namen, der noch nicht in allen Winkeln Fußballeuropas bekannt ist: Folarin Balogun.
Geboren in New York City, ausgebildet in Nord-London an der Arsenal-Akademie und aktuell in seiner zweiten Leih-Saison hat sich Balogun innerhalb weniger Monate ins französische und zumindest ins gedimmte internationale Rampenlicht gespielt.
Seine 15 Tore bescheren dem 21-Jährigen die Führung in der Torschützenliste der Ligue 1 und wirken umso beeindruckender, wenn man auf seinen Arbeitgeber blickt: Stade Reims, Tabellenmittelfeld. Sein Anteil an den Toren der gesamten Mannschaft liegt nach 23 Spieltagen bei genau 50 Prozent und damit deutlich höher als bei jedem anderen Stürmer im französischen Oberhaus.
Reims ist seit der Ernennung von Will Still zum Cheftrainer im Oktober ungeschlagen in der Ligue 1 - zuletzt wechselten sich Siege und Remis ab. Obwohl es Still geschafft hat, strukturelle Schwächen seines Vorgängers Óscar García zu beheben, fehlt es immer noch an konstanter spielerischer Dominanz.
Folarin Balogun: Der waschechte Zielspieler
Die durchschnittlichen Spielanteile sind zu niedrig, die Passdistribution ins letzte Drittel ausbaufähig und die einzelne Mannschaftsteile interagieren offensiv noch nicht reibungslos. Ausnahmen gibt es trotzdem, wie bei weiten Phasen des 4:2-Sieges gegen Lorient vor kurzem, als Reims ein 0:2 drehte und Balogun allein drei Treffer erzielte.
Wenngleich Reims' Spielstil dem von Mikel Artetas Arsenal allenfalls in kleinsten Ansätzen ähnelt, werden sich die Verantwortlichen der Gunners trotzdem über die steile Leistungskurve Baloguns freuen. Für die Londoner absolvierte er 2020 und 2021 insgesamt zehn Einsätze, darunter nur zwei in der Premier League. Bei seiner ersten Leihstation in Middlesbrough präsentierte sich Balogun bei weitem nicht so auffällig wie aktuell in Reims, wobei seine relative Unerfahrenheit und auch die weitverbreitete Spieldynamik der zweitklassigen Championship Faktoren gewesen sein dürften.
In Reims, wo Balogun den abgewanderten Hugo Ekitiké ersetzte, ist vielleicht das Spielsystem nicht exakt auf den Leib des 21-Jährigen geschneidert. Dazu fehlt es noch etwas an Detailtiefe im System von Still, aber seit dessen Amtsübernahme hat sich Baloguns unmittelbares Umfeld auf dem Rasen zugunsten des Stürmers verbessert. Still stellte Junya Ito auf die Außenbahn und vertraute fortan Balogun als Solospitze. Aus einem 3-4-1-2 wurde ein 4-2-3-1, dessen offensive Mittelfeldlinie an guten Tagen den ausgeliehenen Mittelstürmer geschickt einsetzt und in Abschlusspositionen bringt.
Folarin Balogun: Lieber Schießen statt Passen
Mit Balogun als klar definierten Ziel- und Abschlussspieler sollte Reims' Offensive vor allem mit Flachpässen operieren, denn aufgrund seiner Körperlänge von 1,78 Metern und eher schmächtigen Statur bestreitet er gerade mal nur wenige Luftzweikämpfe pro 90 Minuten und verliert über drei Viertel dieser Duelle. Viel interessanter sind Baloguns Werte am Boden: Mit über acht erhaltenen Vorwärtspässen sowie mehr als fünf Ballkontakten im gegnerischen Strafraum pro 90 Minuten gehört er in den Top 5-Ligen zu den besten 20 Prozent aller Stürmer.
Die Werte beeindrucken noch deutlich mehr angesichts der bereits thematisierten Spielweise von Stade Reims, das in dieser Saison einen durchschnittlichen Ballbesitzanteil von unter 50 Prozent verzeichnet. Jedoch passt Balogun auf seine Weise sogar ganz gut zur direkten und vornehmlich schnörkellosen Vorgehensweise von "Les rouges et blancs".
Denn während er als Ziel- sowie Abschlussspieler zufriedenstellend funktioniert, ist seine eigene Beteiligung an der Gestaltung von Spielzügen mangelhaft. Im Schnitt versucht Balogun etwas mehr als 15 Pässe pro 90 Minuten mit einer Erfolgsquote von lediglich knapp über 60 Prozent. Er konzentriert sich deshalb vor allem auf Abschlüsse aus einer durchschnittlichen Distanz von rund 14 Metern.
FC Arsenal: Hat Balogun eine Zukunft in London?
Es mag fast befremdlich wirken, wenn ein vergleichsweise kleiner Mittelstürmer kein mitspielender Neuner ist, sondern den schnellen Schuss versucht. Aber Tore sind die harte Währung im Fußball, die aus analytischen Gesichtspunkten auch mit dem Faktor Glück verbunden sind, aber bei Managern und Sportdirektoren weiterhin große Augen verursachen.
Zunächst wird es im Sommer zurück zu Arsenal gehen, denn eine Kaufoption existiert nicht. Ob Arteta Balogun daraufhin in die erste Mannschaft integriert, bleibt fraglich. Baloguns herausragende Form in Reims hat für Arsenal ein Dilemma kreiert: Gabriel Jesus und Eddie Nketiah sind vor ihm in der Rangordnung, weshalb es unwahrscheinlich ist, dass er 2023/24 regelmäßige Einsatzzeiten bei Arsenal erhält. Daher ist es am wahrscheinlichsten, dass er erneut verliehen wird, dieses Mal vielleicht an einen Premier-League-Klub.
Natürlich müsste Balogun mit dieser Entscheidung, ein drittes Jahr in Folge verliehen zu werden, einverstanden sein. Bislang haben sich Arsenal und der Stürmer dem Vernehmen nach noch nicht zusammengesetzt und die kommende Saison diskutiert. Ein Verkauf wäre ebenso eine Option, denn Baloguns Vertrag endet 2025 und sein Marktwert sollte aufgrund der aktuellen Leistungen signifikant anwachsen, aber eigentlich würde Arsenal das Eigengewächs nur ungern abgeben.
Folarin Balogun: England, USA oder Nigeria
Neben der Frage seiner Zukunft auf Klubebene existieren auch mögliche Weggabelungen auf seinem internationalen Karriereweg. Aktuell spielt Balogun für Englands U21, ist aber vor vier Jahren auch viermal für die U18-Nationalmannschaft der USA aufgelaufen. Seine beiden Elternteile kommen aus Nigeria, was Balogun für dieses Land ebenso die Spielberechtigung ermöglichen würde. In der Vergangenheit konnte sich in ähnlich gelagerten Fällen des Öfteren der US-Verband durchsetzen, weil dieser in der Regel engen Kontakt zu potenziellen Nationalspielern hält.
Davon hat beispielsweise Union-Berlin-Stürmer Jordan Pefok berichtet, der schließlich den USA den Vorzug gab, obwohl er dort nur kurz nach seiner Geburt lebte und lediglich Französisch spricht. Balogun beherrscht selbstverständlich die englische Sprache - zwei Jahre nach seiner Geburt in New York City übersiedelte seine Familie nach London.
Während Balogun weiterhin für Stade Reims auf Torejagd geht, stehen wegweisende Entscheidungen an. Dass er viele Optionen hat, ist allein schon Zeugnis seines Talents und seiner zuletzt gezeigten Leistungen.