Die Geschichte des Fußball-Profis, der sich über die Jahre veränderte und am Höhepunkt seiner positiven Entwicklung eine bemerkenswerte Haltung an den Tag legt, wiederholt sich immer wieder mal. Bastian Schweinsteiger war nie ein Problemfall, dessen manchmal zu lockere Art rief Uli Hoeneß aber immer wieder mal auf den Plan. Heute ist Schweinsteiger der Leader des besten deutschen Klubs und der Nationalmannschaft.
Diego, der vor Jahren aus der Kabine des VfL Wolfsburg flüchtete, weil er im Abstiegsfinale nicht spielen durfte, ist längst geläutert und ein wichtiger Mann des Volkswagen-Klubs. Und natürlich darf Jermaine Jones in der Aufzählung nicht fehlen, der sich als Youngster einige Fehltritt erlaubte, sich in Internetforen mit Fans stritt und heute zu den Wortführern und Kapitänen des FC Schalke 04 zählt.
Doch keine dieser Wandlungen ist so eklatant wie die von Kevin-Prince Boateng. Der Mann, der sich einst selbst zum "Prinzen von Berlin" kürte, in aller Regelmäßigkeit negativ auffiel, eines nachts Autospiegel in Berlin demolierte und 2010 Michael Ballacks Karriere kaputt grätschte und damit die ARD zu einem "Brennpunkt" nötigte, hat in seiner jüngsten Vita nun ganz andere Kapitel stehen.
Internationale Anerkennung
Da ist die Rede vor den Vereinten Nationen über Rassismus, wo er sehr ehrliche und beeindruckende Worte fand und sich international große Anerkennung verdiente. Da sind soziale Hilfsprojekte und Werbekampagnen, denen Boateng als Vorbildsfigur dient. Und selbst das "SZ Magazin" lichtete Boateng kürzlich in der erlauchten Foto-Serie "Sagen sie jetzt nichts" ab.
Wem das nicht genügt: Kevin-Prince Boateng ist heute als 26-Jähriger einer der besten Mittelfeldspieler Europas.
Boateng hat sich seinen neuen Status in der Gesellschaft vor allem auf sportlicher Ebene erarbeitet. Er sieht, in der Eigenschaft als Berliner, der sich überall anpassen kann, in sich ein Chamäleon. Ein Chamäleon, das sich inzwischen in Gebieten aufhält, das es schöner erscheinen lässt als anderswo.
Milan will ihn nicht hergeben
Inzwischen könnte Boateng fast für jeden Klub der Welt spielen, wenn er denn wollte. Das weiß auch der AC Mailand, der den Prinzen von Milano nicht ziehen lassen will. "Es hat keiner angefragt und er will auch nicht weg", sagt Milan-Boss Adriano Galliani knorrig. Und auch wenn jemand fragen würde, würden sie ihn nicht gehen lassen - zumindest nicht für wenig Geld.
Der Audi Cup 2013 auf Facebook
Ganz so ausgeschlossen scheint ein Wechsel aber nicht. Angesprochen auf seinen Halbbruder Kevin sagte Jerome Boateng jüngst: "Natürlich weiß ich mehr, aber ich sag' es nicht." Monaco, Chelsea, Galatasaray, Roma und viele andere sind interessiert: Boateng müsste nur "ja" sagen, um anderswo zu spielen.
Es ist ein Werdegang, den ihm nicht jeder zugetraut hätte, aber Boatengs Lern- und Entwicklungsfähigkeit zu verdanken ist. "Man muss Ecken und Kanten haben, das bringt dich nach vorne", sagt er. "So bin ich halt, warum sollte ich mich verstellen. Die Tiefen haben mir geholfen und mich stärker gemacht. Ich bin danach immer wieder aufgestanden. Ich bin auch den Tiefen dankbar."
Der Dank an Paul Hart
Ein Riesenfußballer war Boateng immer, ob als technisch versierter Außenbahnspieler für Hertha BSC, ob als Stürmer für Deutschlands Jugend-Nationalmannschaften oder später als kreativer, zentraler Mittelfeldspieler beim FC Portsmouth, wo ihn Trainer Paul Hart auf diese Position beorderte und somit eine wichtige Rolle in Boatengs Karriere einnahm.
"Ein Trainer kann einen Spieler nicht ändern, aber es gibt Leute wie Hart, die etwas in mir gesehen haben, was andere nicht gesehen haben und mir Vertrauen schenkten", sagte Boateng vor geraumer Zeit in einem Interview mit dem Magazin "11 Freunde", "Paul Hart ist ein Fußballer, der hat einfach gesagt: 'Spiel, Junge, mach was du willst! Nur bitte keine Rote Karte.'"
Damals musste man ihm das noch sagen: Boateng flog in seiner Profikarriere schon sechs Mal vom Platz. In Portsmouth reifte Boateng aber zu einem Leader, wie er es schon einst in den Jugendmannschaften bei Hertha BSC war: "Nicht weil ich gesagt habe, ich sei der Anführer, es war einfach so. Die Spieler schauen auf mich."
Pirlos Späßchen
So ist es auch bei Milan, wo er auf Anhieb anerkannt wurde. Boateng bewegte sich im Kreis der Führungsspieler um Andrea Pirlo, der sich immer wieder mal einen Spaß mit Boateng erlaubt. Der Klub schenkte ihm nach sehr guten Leistungen nicht nur eine Festanstellung, sondern zu Beginn der vergangenen Saison auch die Nummer 10, die nach Clarence Seedorfs Abschied frei wurde.
"Natürlich hatte ich Respekt vor den großen Namen, aber mir war klar, dass ich eine Chance habe, mich durchzusetzen. Wie, das wusste ich zwar nicht, aber irgendwie würde es schon klappen", sagt Boateng.
Es klappt seither wie geschmiert. Auf 37 Pflichtspiele kam er in der vergangenen Saison - so viele wie noch nie in seiner Karriere. Trainer Max Allegri setzt auf die Dynamik, aber auch auf die überaus gute Spielübersicht seines Antreibers. Dessen Entwicklung scheint längst nicht abgeschlossen.
Kevin-Prince Boateng im Steckbrief