Rund um das Stadio Giuseppe Meazza schlug die Neuigkeit ein wie eine Bombe. Endlich Licht am Ende des Tunnels. Ein Star von internationalem Format hatte sich im San Siro angekündigt, ein Spieler, der von niemandem Geringeren als der gefühlt besten Mannschaft der Welt gekommen war. Der Transfer von Xherdan Shaqiri vom FC Bayern München zu Inter wurde am 8. Januar bekannt gegeben und sorgte sogleich für Aufbruchsstimmung im schwarzblauen Lager.
Und der Schweizer Kraftwürfel wusste auf Anhieb zu überzeugen. Seinen festen Platz in den frustrierten Herzen der Tifosi holte er sich am 26. Februar im Sechzehntelfinale der Europa League, als er gegen Celtic Glasgow in der vierten Minute zur Führung traf und beim Torjubel wie ein Dschinn posierte: "Dieser Torjubel soll zeigen, wieso ich hier hergekommen bin: Ich bin hier, um Wünsche zu erfüllen."
Identifikationsfigur in spe
Viel wurde diskutiert, wieso Shaqiri den Weg nach Mailand gewählt hatte. Inter stand in der Liga zwar nicht weit weg von den Europacup-Plätzen, doch wusste man bei den Nerazzurri, dass die Mission Champions League ein mehr als ambitioniertes Ziel war. Und die Europa League sollte für einen Mann des Kalibers Shaqiri eigentlich zu wenig sein.
Doch der Schweizer war vom Projekt Inter überzeugt, auch weil ihm eine zentrale Rolle beim "langsamen" Wiederaufbau des komatösen Fußballriesen zugesichert und er dafür zur Identifikationsfigur in spe hochstilisiert worden war. "Mancini hat mir viel Spielzeit versprochen und mir seine Philiosophie und die des Klubs nahegelegt. Er will Inter wieder zu altem Ruhm verhelfen und deshalb bin ich hier."
Das Versprechen hat Mancini aber nicht lange gehalten. Nachdem Shaqiri anfangs voll eingeschlagen hatte, wurden seine Leistungen - aber auch die der ganzen Mannschaft - überschaubar. Die Champions League war schon frühzeitig kein Thema mehr, der finale Ansturm auf die Europa-League-Plätze kam zu spät.
Still in den Hintergrund
Deshalb musste etwas geändert werden. Während Lukas Podolski, der zweite Transfer-Coup der Mailänder, schon früh aus dem Fokus des Trainers verschwunden war, grenzte Mancini auch Shaqiris Einsatzzeiten sehr stark ein.
In den letzten neun Pflichtspielen kam Popeye, wie sie ihn in Italien wegen seiner Physiognomie nennen, nur auf 135 Einsatzminuten, 78 davon allein im Spiel gegen Juventus. Drei Mal schmorte er die ganze Spielzeit über auf der Bank, in der letzten Meisterschaftspartie gegen Empoli war er gar nicht im Kader.
Opfer der italienischen Sportkultur
Was die Gründe dafür waren, darüber ist man sich in Italien einig. Wenn ein Spieler wie Shaqiri nicht spielt, dann muss es daran liegen, dass der Trainer nicht mit ihm klar kommt, so die Universal-Theorie im Stiefelstaat. Doch Shaqiri dementierte Gerüchte, die in diese Richtung gingen. "Ich habe ein gutes Verhältnis zu Mancini. Er ist ein großer Trainer mit viel Erfahrung. Außerdem gefällt mir seine Spielweise und ich war sein Wunschspieler. Ich glaube, wir werden in der nächsten Saison viel erreichen", erklärte er im Interview mit der Gazzetta dello Sport.
Auch Mancini bediente sich des rosafarbenen Blattes, um die Wogen zu glätten: "Wir wollen immer, dass alles schnell geht. Doch manchmal braucht ein neuer Spieler ein bisschen Zeit bis er sich an die etwas andere Spielweise gewöhnt hat."
Die momentanen Diskussionen über einen vorzeitigen Wechsel und die Bereitschaft der Mailänder zu verhandeln, befeuern die Spekulationen jedoch weiter. Inter will Shaqiri laut Medienberichten abgeben, nur dieser selbst scheint sich noch zu zieren. Also doch der Trainer?
Oder liegt es an etwas anderem, viel tiefer verwurzelt in der Seele des Vereins und besonders in der italienischen Sportkultur?
Inters Talente-Verschleiß
Der Abstieg der Serie A begann eigentlich mit dem Weltmeistertitel der Italiener 2006. Jürgen Klinsmann hatte mit Deutschland einen neuen Trend salonfähig gemacht, auf junge Spieler zu setzen und diese sehr früh an große Aufgaben heranzuführen. Eine Philosophie, die fast in ganz Europa Einzug hielt, und die von den Spaniern und eben den Deutschen perfekt umgesetzt wurde und in den Weltmeistertiteln 2010 und 2014 gipfelte.
Italien widersetzte sich diesem Trend. Selten glaubt man bei den größeren Klubs an die Eigengewächse, noch seltener werden sie zu Leistungsträgern geformt. Der italienische Fußball lässt sich nicht gerne auf Experimente ein. Lieber holt man sich vermeintlich gestandene Spieler aus dem Ausland. Inter ist in diesem Zusammenhang ein Vorzeigemodell.
Vielversprechende Talente wie Mattia Destro oder Federico Bonazzoli wurden einfach abgegeben, um Spieler zu holen, die zwar internationalem Format entsprachen, aber nur selten umsetzen konnten, was man von ihnen erwartete. Zwar konnten die im Destro-Transfer mit eingeschlossenen Diego Milito und Tiago Motta der Mannschaft helfen, doch begrenzte sich deren großer Einfluss lediglich auf eineinhalb Jahre.
Pirlo als Paradebeispiel
Bekanntestes Beispiel dürfte aber der Transfer von Andrea Pirlo zum AC Milan sein: Pirlo wurde als Jahrhundert-Talent gefeiert, war 22 Jahre alt und auf dem richtigen Weg, ein Star zu werden. Doch das reichte Inter nicht. Es gab keine Zeit, einen Spieler aufzubauen, einen Star reifen zu lassen. Man transferierte "Trilli" zum AC Mailand.
Es kreisen zahlreiche Geschichten um den Transfer des Strategen zum Stadt-Rivalen der Nerazzurri. Es wird immer wieder davon gesprochen, dass man Pirlo dazu verwenden wollte, einen schon profilierten Spieler für weniger Bares nach Appiano Gentile zu holen. Sicher belegt ist, dass Pirlo damals doch für Geld wechselte und Milan 18 Millionen für ihn hinblätterte. Carlo Ancelotti fehlte schließlich bei den Rossoneri jemand vor der Abwehr, Notlösung Pirlo sprang ein und der Rest ist Geschichte.
Inter, das "Flop"-Sprungbrett
Wenn schon eigene Spieler keine Zeit bekommen, wieso sollte dieses Privileg nun jemandem zustehen, der schon beim großen FC Bayern unter Vertrag war? Shaqiri ist ein Opfer der italienischen Mentalität: Auf Erfolg wird nicht langsam hingearbeitet, er wird in kürzester Zeit erzwungen. Und wenn das Werkzeug nicht richtig funktioniert, wird nicht nach den Ursachen gesucht, es wird einfach ersetzt. Man könnte noch unzählige andere Spieler in der Geschichte der großen Drei aufzählen, auf die man diese Karriereschablone legen könnte.
Xherdan Shaqiri scheint das gleiche Schicksal zu treffen. Mancini hat das Vertrauen in ihn - und andere vermeintliche Perspektiv-Transfers wie Mateo Kovacic und Davide Santon - schon nach wenigen Monaten verloren, da sie angeblich seinen Fußball nicht umsetzen könnten und Inter eigentlich den Meistertitel gewinnen müsste. Dabei zählt er lieber auf Spieler, die viel Geld kosten und einen größeren Namen haben.
Schaut man sich die Karriereverläufe von Andrea Pirlo, Roberto Carlos und gegenwärtig Philippe Coutinho an, so möchte man Shaqiri einen Wechsel fast schon nahelegen und ihm wünschen, dass er abgegeben wird. Das in ihm schlummernde Potenzial scheint bei einem überambitionierten Klub wie Inter verschenkt zu sein. Shaqiri will Wünsche erfüllen. Er sollte dorthin gehen, wo ihm dieser Wunsch wohlwollend gewährt wird.
Xherdan Shaqiri im Steckbrief