Schon immer war der Balkan ein Schmelztiegel verschiedenster Völker und Religionen. Über Jahrhunderte verschoben sich Grenzen, wechselte die politische Ordnung. Zuletzt durch den Zerfall der Republik Jugoslawien, der blutige Kämpfe und tiefe Gräben zwischen den streitenden Volksgruppen zur Folge hatte.
Die ausbrechenden Konflikte Anfang der 1990er machten innerhalb von kürzester Zeit aus Nachbarn erbitterte Feinde, zwangen tausende Menschen zur Flucht und verwüsteten ganze Landstriche.
In dieser dramatischen Epoche wuchs auf dem Balkan eine Generation junger Fußballer auf, die nicht mehr gemeinsam ein einheitliches Jugendsystem durchlaufen sollte, aber dennoch in der Tradition des berühmten jugoslawischen Fußballs erzogen wurde. Drei von ihnen sollen Inter nun zurück zu alten Erfolgen führen, wobei ihre Vergangenheit von den Konflikten wesentlich beeinflusst wurde.
Spielen entlang der Konfliktlinien
Die Karriere von des Ex-Wolfsburgers Ivan Perisic startete in der Akademie von Traditionsklub Hajduk im südkroatischen Split, wo der Außenstürmer am 2. Februar 1989 geboren wurde: Die Garnisonstadt war ein taktisch wichtiges Ziel im Kroatienkrieg, der 1991 ausbrach und dem weitestgehend katholisch geprägten Kroatien endgültig die gewünschte Unabhängigkeit bringen sollte.
Der Verein ist eines der Aushängeschilder des kroatischen Fußballs und hat einen stark nationalistischen Hintergrund. Gleichzeitig genießt man im Kosovo und in Albanien einen großen Rückhalt.
Internationale Bekanntheit erlangte der Klub aus politischer Sicht, als Hajduk-Fans am 26. September 1990, nur einen Monat vor der kroatischen Unabhängigkeit, beim Spiel gegen das serbische Partizan eine jugoslawische Flagge verbrannten und damit gewalttätige Ausschreitungen provozierten, die im Abbruch der Partie mündeten.
Ljajic und religiöse Spannungen
Der neue Sturmkollege von Perisic, Adem Ljajic, der dieses Jahr von der Roma ausgeliehen wurde, kam zwar 29. September 1991 im heutigen Serbien zur Welt. Seine Eltern sind jedoch Bosniaken. Eine muslimische Minderheit, die im südlichen Novi Pazar ihr kulturelles Zentrum hat.
Dort wurde der Außenstürmer geboren und scheint wohl auch deshalb ein zwiespältiges Verhältnis zu seinem serbischen Heimatland zu haben, dessen Vorgängerstaat im Bosnienkrieg und besonders im Massaker von Srebrenica brutal gegen die Bosniaken vorging, die mit Bosnien-Herzegowina ihrerseits einen autonomen Staat errichten wollten.
Mihjailovic erzürnt
So wurde Ljajic, immerhin langjähriger Spieler bei Partizan Belgrad, im Mai 2012 aus dem Kader der serbischen Nationalmannschaft gestrichen. Er hatte sich dem aufgesetzten Vertragswerk von Nationaltrainer Sinisa Mihjailovic widersetzt und das Singen der Nationalhymne verweigert.
Der damalige Coach war außer sich und erklärte: "Ich bin sehr traurig über den Vorfall. Wir haben darüber gesprochen, aber er wollte mir seine Beweggründe nicht erklären, jedoch deutete er an, dass es aus religiösen Gründen sei."
Zwar versuchte Ljajics Vater die Wogen im Nachhinein wieder zu glätten, doch erst Neu-Trainer Ljubinko Drulovic begnadetete den neuen Interisti und erklärte, dass kein Spieler gezwungen sei, die Hymne zu singen, solange er auf dem Feld alles gibt.
Jovetic hat keine Lust auf Trennung
Stevan Jovetics nationaler Hintergrund ist die letzte Episode der staatlichen Zerstückelung auf dem Balkan. Zwischen 2002 und 2006 war Serbien & Montenegro das letzte Überbleibsel des Staatenbündnisses, löste sich aber nach einer hauchdünnen Entscheidung im montenegrinischen Referendum auf, obwohl beide Staaten vom serbisch-orthodoxen Glauben geprägt sind.
Der Montenegriner Jovetic, der in der Hauptstadt Podgorica am 2. November 1989 geboren wurde, aber bereits mit 13 Jahren zu Partizan wechselte, war kein großer Fan dieser Entscheidung.
Nicht nur, weil er seitdem bei Länderspielen ohne seinen langjährigen Freund und Weggefährden Adem Ljajic auskommen muss: "Für mich sind Serbien und Montenegro eins. Es wäre fantastisch, wenn wir wieder in einem Nationalteam zusammengefasst wären."
Die Brasilianer Europas
Doch selbst in getrennten Farben wird das Erbe der 'Brasilianer Europas', wie die jugoslawischen Kicker einst von der Presse getauft wurden, in den 'neuen' Staaten bewahrt. Das spiegelt sich etwa bei der laufenden Qualifikation zur EURO 2016 wider. Mit Montenegro, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Slowenien haben vier Länder des früheren Staatenbunds Chancen auf ein Frankreich-Ticket.
Besonders Offensivspieler vom Balkan zeichnen sich traditionell durch ihr hohes technisches Können aus und haben durch ihre Flexibilität in allen vier europäischen Top-Ligen ihre Spuren hinterlassen.
Diese Qualitäten zeichnet auch das neue Inter-Trio aus, womit die sie in einer Reihe mit den ehemaligen Größen Dejan Savicevic, Pedrag Mijatovic, Dragan Stojkovic, Zvonimir Boban oder Davor Suker stehen - den letzten Exportschlagern, die noch eine gesamtjugoslawische Ausbildung am runden Leder erhielten.
Inter im Aufwind
Die jungen Erben dieser Legenden sollen nun bei Inter für Furore sorgen und allen politischen Differenzen zum Trotz, die in der Vergangenheit zwischen ihren Völkern standen, durch Sport eine friedliche Botschaft verbreiten. Dazu gesellen sich noch vier weitere Kollegen vom Balkan und das funktioniert bei Blau-Schwarz bisher äußert erfolgreich.
Der Meister von 2010 grüßte bis zum heftigen Dämpfer bei der Fiorentina mit einer blütenweißen Weste von Platz eins der Tabelle und verzeichnete bereits einen Derby-Sieg. Lediglich die Offensive geizt noch ein wenig mit Treffern (sechs Spiele/sieben Tore).
Startet die Reise gegen Genua?
Dabei könnte das neugeformte Offensiv-Trio behilflich sein, das bisher noch nicht gemeinsam aufs Feld durfte, da Mauro Icardi, einer der übrig gebliebenen Argentinier im Team, ebenfalls Stammplatzansprüche stellt. In der italienischen Presse wird allerdings verstärkt darüber spekuliert, wann Jovetic endlich zusammen mit seinen zwei Balkan-Kollegen auf die Serie A TIM losgelassen wird.
Vielleicht ist es gegen Sampdoria Genua endlich soweit. Besonders Ljajic freut sich auf gemeinsame Auftritte des Trios: "Ich spiele unheimlich gerne mit Jovetic zusammen, er ist wie ein Bruder für mich. Es ist einer der Kollegen, mit denen ich mich blind verstehe und Perisic hat bereits in der Bundesliga sein Können gezeigt. Auch wenn Juve die letzten Jahre die Liga dominiert hat, wir wollen hier viel erreichen."