Es ist der 4. September 1994. Ein 17-jähriger Italiener erzielt gegen Foggia Calcio sein erstes Tor im Roma-Trikot. Das römische Publikum durfte an diesem Tag zwar keinen Sieg feiern, doch es wurde Zeuge der Geburtsstunde einer Legende: Francesco Totti hieß der junge Mann, der damals seinen ersten Treffer für die Giallorossi bejubelte.
298 weitere folgten, Vereinsrekord inklusive. Dann setzte Roms Rekordspieler genau 21 Jahre und 16 Tage nach seinem Tordebüt den nächsten Meilenstein seiner Karriere: Gegen Sassuolo erzielte der Capitano seinen 300. Treffer im weinroten Dress.
Dieser Meilenstein soll aber nur das schönste Mosaik-Teil einer großartigen Saison werden: Die Roma strebt den Meistertitel an. Mit Totti, dem einzig Verbliebenen aus der letzten Meistermannschaft von 2001.
Torspektakel in Rom
Wie Totti steht auch der AS Rom für viele Tore. In der Liga hat die Roma den besten Angriff, 27 Tore stehen nach zwölf Spielen bereits auf dem Konto. Selbst Tabellenführer Florenz hat drei Treffer weniger.
Egal, wie der Gegner heißt: Die Roma dominiert und ist immer torgefährlich. Die Hauptstädter überzeugen mit attraktivem Offensiv-Fußball. Sogar bei der 0:1-Niederlage in Mailand zeigten die Römer phasenweise Einbahnstraßenfußball.
Der Mann, der dafür verantwortlich ist, heißt Rudi Garcia. Der Franzose ist seit Sommer 2013 Chef-Trainer in der ewigen Stadt. Der 51-Jährige folgte auf Luis Enrique, der das internationale Geschäft verpasst hatte.
Enrique legte die Basis, Garcia vollendet sie
Trotz der schwachen Saison hinterließ Enrique einen wichtigen Grundstein: Ein gutes, funktionierendes System. Im 4-3-3 spielten die Giallorossi schon unter dem Spanier mutig nach vorne, erzielten genauso viele Tore wie Meister Juventus. Das Problem war die Defensive: 56 Gegentore waren deutlich zu viele - selbst Absteiger Palermo hatte weniger.
Garcia übernahm und schraubte an den richtigen Stellen: Das System behielt der Franzose bei, ist in der taktischen Ausrichtung aber variabler: Das 4-3-3 ist nur noch auf dem Papier eines. Ist die Roma im Ballbesitz, verschieben die Außenverteidiger nach vorne, dafür lässt sich der Sechser zurückfallen. Es entsteht ein 3-4-3 mit extrem gefährlichen Außenbahnen als stärkste Waffe.
Hat der Gegner den Ball, ziehen sich die Außenverteidiger zurück auf ihre ursprüngliche Position, der Sechser sichert den Raum zwischen Abwehr und zentralem Mittelfeld und schließt Lücken. Anders als unter Enrique müssen auch die Flügelstürmer nach hinten arbeiten: Es entsteht ein 4-1-4-1, die Offensive unterbindet das Aufbauspiel des Gegners mit frühem Pressing. Auch eine Fünferkette gehört zum Repertoire, der Sechser rückt dazu in die Abwehr.
Resultat: 2013 kassierte die Roma in den ersten zehn Spielen nur einen einzigen Gegentreffer und ging immer als Sieger vom Feld. Zwei Gegentore gab es erst am 16. Spieltag. Insgesamt kassierte man nur 25 Gegentore, im Jahr darauf 31 - nur Juventus ließ jeweils weniger Tore zu.
Rudi Garcia: Roms Guardiola
"Das Geheimnis ist der systematische Spielaufbau von hinten, dann kommen technisch starke Mittelfeldspieler, die das Spiel weiterführen", schwärmte Pep Guardiola über die Spielweise des AS Rom unter Garcia. Durch das aufgezeigte Spielsystem werden Vergleiche mit jenem laut: Auch Guardiola lässt oft zwischen Dreier- und Viererkette variieren, die Flügelstürmer sollen bei Ballverlust früh pressen. Das Umschaltspiel sucht jeweils ihresgleichen.
Wie bei dem Spanier übernimmt auch bei Garcia das zentrale Mittelfeld die entscheidende Rolle: Urgestein Daniele de Rossi organisiert die Defensive der Römer, Miralem Pjanic diktiert den Spielrythmus und ist wohl der Hauptgrund für das Aufblühen der Römer: Überragendes Passspiel, Ballkontrolle, Schusstechnik, dazu stark in der Defensive - Pjanic hat alles, was einen Weltklasse-Spieler auszeichnet. Zudem glänzt der begehrte Bosnier als exzellenter Standardspezialist.
In zwei Jahren zur perfekten Elf
Um die beiden Chefs im Mittelfeld herum baute Garcia eine Spitzentruppe auf: Im Sommer kam Lucas Digne, der sich auf der linken Außenverteidigerposition durchsetzte, während Capitan Futuro Alessandro Florenzi die rechte Seite unermüdlich beackert. Mit Konstantinos Manolas und Antonio Rüdiger wurde das Abwehrzentrum verstärkt.
Von Liga-Konkurrent Cagliari kam Radja Nainggolan, aus Holland Kevin Strootman - beide ergänzen jeweils neben Pjanic und de Rossi, der auch in die Innenverteidigung weichen kann, das Dreigespann im Mittelfeld perfekt. Bleibt die Roma in ihrer Grundordnung rotiert vor allem das Trio: Meistens bleiben zwei zur Absicherung im Zentrum, während sich der Dritte in die Offensive einschaltet.
Auf den Flügelpositionen setzt Garcia auf technisch starke Tempo-Dribbler: Von Arsenal kam Gervinho, der in Rom wieder Weltklasse-Form erreichte, von Chelsea kam Mohamed Salah, der in Florenz sein Potenzial offenbarte und nun mit seiner Schnelligkeit, Technik und starkem Torabschluss in Rom glänzt.
Dazu wurde mit Edin Dzeko im Sommer ein Stürmer geholt, der alles mitbringt, um das Erbe von Francesco Totti anzutreten. Dafür hätte Garcia kaum einen passenderen Stürmer finden können, auch wenn Dzeko die 300-Tore-Marke freilich nie erreichen wird.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Garcia hat den Fußball in Rom nach seinen Vorstellungen geformt und nahe an die Perfektion gebracht. Spätestens seit den Sommertransfers hat der Franzose das ideale Spielermaterial, um seine Philosophie perfekt umzusetzen.
Dazu schwächelt Abonnement-Meister Juventus Turin, hinter dem man zuletzt zwei Mal in Folge nur Vizemeister wurde. Wenn es jetzt nicht mit der ersten Meisterschaft seit 2001 klappt, wann dann? Allerdings verfällt die Roma in ein altes Laster: Mit 13 Gegentoren hat man deutlich mehr als Inter Mailand (7).
Im Derby della Capitale aber stand die Null zuletzt wieder und die Meister-Ambitionen der Giallorossi sind durch das 2:0 gegen Lazio weiter gewachsen: "Ich will hier den Meistertitel holen", erklärte Rüdiger bei seiner Vorstellung. Der Bundesliga-Import fehlte anfangs mit Knieproblemen, zählte in den letzten Spielen aber zu den festen Stützen. Jetzt will sich der Ex-Stuttgarter in den Fokus von Jogi Löw spielen. "Ich will mit guten Leistungen wieder auf mich aufmerksam machen und mich für die Nationalmannschaft empfehlen." Ein Meistertitel im Bewerbungsschreiben könnte helfen.
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