SPOX: Vor zwei Wochen waren Sie in Hamburg und haben dort Antonio Rüdiger getestet. Anfang September hatte er das erste Mal nach seinem Kreuzbandriss wieder einen Ball am Fuß. Wie geht sein Rehabilitationsprozess voran?
Dr. Helge Riepenhof: Wir trainieren mit der Nachwuchsmannschaft, weil wir so besser bestimmen können, was trainiert werden soll. Denn im Moment befinden wir uns in einer relativ schwierigen Situation mit einem Spiel alle drei Tage. Aber es klappt schon ganz gut und ich denke, dass es nicht mehr so lange dauern wird.
SPOX: Wann können wir mit seinem Comeback rechnen?
Dr. Helge Riepenhof: Sein großes Ziel ist es, gegen Italien [15. November, Anm. d. Red.] wieder für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen. Das ist die nächste Länderspielpause, aber zunächst werden wir ihn im Spiel mit unserer Nachwuchsmannschaft testen.
SPOX: Wie sieht die Planung nach so einer Verletzung aus? Entsteht die Trainingssteuerung nur mit Ihrem Einverständnis oder können Sie im Endeffekt nur Ratschläge erteilen?
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Dr. Helge Riepenhof: Das passiert schon mit unserer Absprache. Bis der Spieler wirklich wieder Return-to-Competition-Status erreicht hat, bestimmen wir schon, was und wie er trainieren soll - vor allem Dauer, Intensität und den Zeitpunkt, zu dem Gegnerkontakt hinzukommt.
SPOX: Kommt es in dieser Hinsicht öfter zum Machtkampf mit dem Trainer oder auch dem verletzten Spieler?
Dr. Helge Riepenhof: Eigentlich nicht. Gerade bei Langzeitverletzungen ist das kein Problem. Wenn man ein Vertrauensverhältnis zum Spieler hat, ist der sehr dankbar, wenn jemand sagt, wann was möglich ist. Deswegen sind solche Diagnostiktests, wie wir sie in Hamburg durchgeführt haben, so wichtig. Die Spieler haben am meisten Angst vor dem erneuten Riss oder irgendwelchen Begleitverletzungen. Das Vertrauen ist ganz essentiell.
SPOX: Wie ist Ihr Verhältnis diesbezüglich zu Luciano Spalletti? Sie arbeiten seit Januar mit ihm zusammen.
Dr. Helge Riepenhof: Ich bin mit den Trainern immer ganz gut zurechtgekommen. Es gibt natürlich auch mal Schwierigkeiten, aber unterm Strich wissen alle, dass der Job, der am wackeligsten ist, der des Trainers ist. Insofern kann man immer sehr sachlich argumentierten, selbst wenn hier und da früher sehr emotionale Typen dabei waren.
SPOX: Hat man als Arzt dennoch mal Angst um den Job, wenn ein Spieler signifikant länger als geplant ausfällt?
Dr. Helge Riepenhof: Natürlich wird ein gewisser Druck auf uns ausgeübt. Jeder Trainer will schließlich, dass die Spieler so schnell wie möglich wieder fit sind. Diesem Druck muss man standhalten. Die Medizin steht im Vordergrund. Es gibt aber auch Situationen, in denen ein großes Risiko eingegangen wird.
SPOX: Zum Beispiel?
Dr. Helge Riepenhof: Man hat es bei Sami Khedira während der WM in Brasilien gesehen. Die Ärzte haben sicher alles richtig gemacht. Ich glaube, wenn man ihn heute fragt, trotz seiner Verletzungen, die er seitdem hat, wird er sagen: 'Ich nehme die ganzen Verletzungen in Kauf, denn ich bin Weltmeister geworden'. Das muss man eben abwägen.
SPOX: Die Aufgaben des medizinischen Stabes haben sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der Frequenz der Spiele enorm in Richtung Rehabilitation verschoben. Sie sind ein Spezialist auf diesem Gebiet.
Dr. Helge Riepenhof: Spezialist ist ein großes Wort. Reha und Prävention sind meine Schwerpunkte. Am besten ist es natürlich, wenn man Verletzungen verhindern kann. Daher muss man Einfluss auf das Training nehmen können.
SPOX: Inwieweit lässt sich der Trainerstab da von Ihnen in Sachen Trainingsdauer und -intensität bremsen?
Dr. Helge Riepenhof: Wir besprechen das. Trotzdem gibt es - selbst bei guter Planung - häufig Situationen, die das Training verändern - beispielsweise ein Taktiktraining. Man gibt immer Anhaltspunkte, wie das Training für die Fitness der Spieler gut wäre, aber das kann eben nicht hundertprozentig eingehalten werden.
SPOX: Ist der Körper überhaupt gemacht für eine solche Belastungsfrequenz?
Dr. Helge Riepenhof: Ja, das kann man ruhig so machen. Das Problem daran ist nur, dass die konsequente Betreuung der Spieler bei Turnieren oder Freundschaftsspielen mit der Nationalmannschaft nicht immer im Einklang mit der des Vereins ist. Gerade bei Verletzungen ist nicht ausschlaggebend, wie hoch die Belastung ist, sondern wie hoch die Belastungsveränderung ist. Spieler brauchen einen Rhythmus. Der ist dann eben nicht immer gegeben.
SPOX: Geraten Sie dadurch auch des Öfteren mit Mannschaftsärzten aus den verschiedenen Nationalteams aneinander?
Dr. Helge Riepenhof: Das nicht, aber gelegentlich hat man natürlich unterschiedliche Vorstellungen. Was den Einsatz angeht, gibt es in der Regel keine Probleme, aber vereinzelt unterschiedliche Meinungen über die Intensität, wie sehr ein Spieler belastet werden soll. Man schlägt vor, wie diese Intensitäten aussehen sollten und hofft auf Daten über die Umsetzung. In dieser Hinsicht mangelt es manchmal an Kommunikation. Im Endeffekt ist das ja schlecht für den Spieler. Also versucht man den Spielern im Vorhinein zu erklären, worauf sie achten müssen. Aber wir haben auch hier schon wirklich frustrierende Erlebnisse gehabt, dass wir gebeten haben, verschiedene Dinge nicht zu tun und genau die wurden dann ignoriert. Dann kommt der Spieler zurück und fehlt erstmal ein paar Wochen im Verein.
SPOX: So mancher Spieler erschient - gerade bei großen Spielen - dennoch unersetzbar. Was halten Sie von Fitspritzen?
Dr. Helge Riepenhof: Das muss man individuell entscheiden. Es gibt natürlich Verletzungen, bei denen eine Spritze gegen die Schmerzen durchaus Sinn macht. Das kann beispielsweise eine Handverletzung sein. Vom klassischen Fitspritzen, also in den Muskel, halte ich nichts. Das Ergebnis ist immer das gleiche. Entweder geht der Muskel kaputt oder das Narbengewebe hypertrophiert. Das mag dann gut aussehen und alle feiern den Arzt, aber spätestens bei der nächsten Muskelverletzung zahlt man doppelt dafür. Man kann das bei großen Spielen zwar mal abwägen, zur Routine sollte es allerdings nicht gehören.
SPOX: Sie tauchten das erste Mal auf der großen Sportbühne als betreuender Arzt von Tony Martin bei der Tour de France auf. Was reizte Sie am Fußballgeschäft?
Dr. Helge Riepenhof: Es war schon immer so, dass ich beide Sportarten gemacht habe. Ich habe im Radsport angefangen zu einer Zeit, in der er noch sehr groß war in Deutschland. Man lernt definitiv die Grenzen eines Körpers kennen. Gerade bei der Tour de France ist das wirklich Höchstleistung und wenn man daraus lernt und versucht, das zum Fußball zu bringen, kann man viel bewegen.
SPOX: Der Radsport verlangt zyklische Bewegungen. Die Bewegungsmuster im Fußball sind deutlich komplexer. War das eine große Umstellung für Sie?
Dr. Helge Riepenhof: Eine große Umstellung war das nicht. Ich komme selber nicht aus dem Ausdauersport, sondern habe Tennis gespielt und Fußball war auch immer schon ein großes Thema für mich.
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