Antonio Rüdiger ist nach seinem Kreuzbandriss im Juni wieder im Teamtraining. Mitverantwortlich für seine relativ schnelle Rückkehr ist Dr. Helge Riepenhof. Der Mannschaftsarzt der Roma spricht im SPOX-Interview über englische Wochen, Doping und anstrengende Gespräche mit Francesco Totti.
SPOX: Vor zwei Wochen waren Sie in Hamburg und haben dort Antonio Rüdiger getestet. Anfang September hatte er das erste Mal nach seinem Kreuzbandriss wieder einen Ball am Fuß. Wie geht sein Rehabilitationsprozess voran?
Dr. Helge Riepenhof: Wir trainieren mit der Nachwuchsmannschaft, weil wir so besser bestimmen können, was trainiert werden soll. Denn im Moment befinden wir uns in einer relativ schwierigen Situation mit einem Spiel alle drei Tage. Aber es klappt schon ganz gut und ich denke, dass es nicht mehr so lange dauern wird.
SPOX: Wann können wir mit seinem Comeback rechnen?
Dr. Helge Riepenhof: Sein großes Ziel ist es, gegen Italien [15. November, Anm. d. Red.] wieder für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen. Das ist die nächste Länderspielpause, aber zunächst werden wir ihn im Spiel mit unserer Nachwuchsmannschaft testen.
SPOX: Wie sieht die Planung nach so einer Verletzung aus? Entsteht die Trainingssteuerung nur mit Ihrem Einverständnis oder können Sie im Endeffekt nur Ratschläge erteilen?
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Dr. Helge Riepenhof: Das passiert schon mit unserer Absprache. Bis der Spieler wirklich wieder Return-to-Competition-Status erreicht hat, bestimmen wir schon, was und wie er trainieren soll - vor allem Dauer, Intensität und den Zeitpunkt, zu dem Gegnerkontakt hinzukommt.
SPOX: Kommt es in dieser Hinsicht öfter zum Machtkampf mit dem Trainer oder auch dem verletzten Spieler?
Dr. Helge Riepenhof: Eigentlich nicht. Gerade bei Langzeitverletzungen ist das kein Problem. Wenn man ein Vertrauensverhältnis zum Spieler hat, ist der sehr dankbar, wenn jemand sagt, wann was möglich ist. Deswegen sind solche Diagnostiktests, wie wir sie in Hamburg durchgeführt haben, so wichtig. Die Spieler haben am meisten Angst vor dem erneuten Riss oder irgendwelchen Begleitverletzungen. Das Vertrauen ist ganz essentiell.
SPOX: Wie ist Ihr Verhältnis diesbezüglich zu Luciano Spalletti? Sie arbeiten seit Januar mit ihm zusammen.
Dr. Helge Riepenhof: Ich bin mit den Trainern immer ganz gut zurechtgekommen. Es gibt natürlich auch mal Schwierigkeiten, aber unterm Strich wissen alle, dass der Job, der am wackeligsten ist, der des Trainers ist. Insofern kann man immer sehr sachlich argumentierten, selbst wenn hier und da früher sehr emotionale Typen dabei waren.
SPOX: Hat man als Arzt dennoch mal Angst um den Job, wenn ein Spieler signifikant länger als geplant ausfällt?
Dr. Helge Riepenhof: Natürlich wird ein gewisser Druck auf uns ausgeübt. Jeder Trainer will schließlich, dass die Spieler so schnell wie möglich wieder fit sind. Diesem Druck muss man standhalten. Die Medizin steht im Vordergrund. Es gibt aber auch Situationen, in denen ein großes Risiko eingegangen wird.
SPOX: Zum Beispiel?
Dr. Helge Riepenhof: Man hat es bei Sami Khedira während der WM in Brasilien gesehen. Die Ärzte haben sicher alles richtig gemacht. Ich glaube, wenn man ihn heute fragt, trotz seiner Verletzungen, die er seitdem hat, wird er sagen: 'Ich nehme die ganzen Verletzungen in Kauf, denn ich bin Weltmeister geworden'. Das muss man eben abwägen.
SPOX: Die Aufgaben des medizinischen Stabes haben sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der Frequenz der Spiele enorm in Richtung Rehabilitation verschoben. Sie sind ein Spezialist auf diesem Gebiet.
Dr. Helge Riepenhof: Spezialist ist ein großes Wort. Reha und Prävention sind meine Schwerpunkte. Am besten ist es natürlich, wenn man Verletzungen verhindern kann. Daher muss man Einfluss auf das Training nehmen können.
SPOX: Inwieweit lässt sich der Trainerstab da von Ihnen in Sachen Trainingsdauer und -intensität bremsen?
Dr. Helge Riepenhof: Wir besprechen das. Trotzdem gibt es - selbst bei guter Planung - häufig Situationen, die das Training verändern - beispielsweise ein Taktiktraining. Man gibt immer Anhaltspunkte, wie das Training für die Fitness der Spieler gut wäre, aber das kann eben nicht hundertprozentig eingehalten werden.
SPOX: Ist der Körper überhaupt gemacht für eine solche Belastungsfrequenz?
Dr. Helge Riepenhof: Ja, das kann man ruhig so machen. Das Problem daran ist nur, dass die konsequente Betreuung der Spieler bei Turnieren oder Freundschaftsspielen mit der Nationalmannschaft nicht immer im Einklang mit der des Vereins ist. Gerade bei Verletzungen ist nicht ausschlaggebend, wie hoch die Belastung ist, sondern wie hoch die Belastungsveränderung ist. Spieler brauchen einen Rhythmus. Der ist dann eben nicht immer gegeben.
SPOX: Geraten Sie dadurch auch des Öfteren mit Mannschaftsärzten aus den verschiedenen Nationalteams aneinander?
Dr. Helge Riepenhof: Das nicht, aber gelegentlich hat man natürlich unterschiedliche Vorstellungen. Was den Einsatz angeht, gibt es in der Regel keine Probleme, aber vereinzelt unterschiedliche Meinungen über die Intensität, wie sehr ein Spieler belastet werden soll. Man schlägt vor, wie diese Intensitäten aussehen sollten und hofft auf Daten über die Umsetzung. In dieser Hinsicht mangelt es manchmal an Kommunikation. Im Endeffekt ist das ja schlecht für den Spieler. Also versucht man den Spielern im Vorhinein zu erklären, worauf sie achten müssen. Aber wir haben auch hier schon wirklich frustrierende Erlebnisse gehabt, dass wir gebeten haben, verschiedene Dinge nicht zu tun und genau die wurden dann ignoriert. Dann kommt der Spieler zurück und fehlt erstmal ein paar Wochen im Verein.
SPOX: So mancher Spieler erschient - gerade bei großen Spielen - dennoch unersetzbar. Was halten Sie von Fitspritzen?
Dr. Helge Riepenhof: Das muss man individuell entscheiden. Es gibt natürlich Verletzungen, bei denen eine Spritze gegen die Schmerzen durchaus Sinn macht. Das kann beispielsweise eine Handverletzung sein. Vom klassischen Fitspritzen, also in den Muskel, halte ich nichts. Das Ergebnis ist immer das gleiche. Entweder geht der Muskel kaputt oder das Narbengewebe hypertrophiert. Das mag dann gut aussehen und alle feiern den Arzt, aber spätestens bei der nächsten Muskelverletzung zahlt man doppelt dafür. Man kann das bei großen Spielen zwar mal abwägen, zur Routine sollte es allerdings nicht gehören.
SPOX: Sie tauchten das erste Mal auf der großen Sportbühne als betreuender Arzt von Tony Martin bei der Tour de France auf. Was reizte Sie am Fußballgeschäft?
Dr. Helge Riepenhof: Es war schon immer so, dass ich beide Sportarten gemacht habe. Ich habe im Radsport angefangen zu einer Zeit, in der er noch sehr groß war in Deutschland. Man lernt definitiv die Grenzen eines Körpers kennen. Gerade bei der Tour de France ist das wirklich Höchstleistung und wenn man daraus lernt und versucht, das zum Fußball zu bringen, kann man viel bewegen.
SPOX: Der Radsport verlangt zyklische Bewegungen. Die Bewegungsmuster im Fußball sind deutlich komplexer. War das eine große Umstellung für Sie?
Dr. Helge Riepenhof: Eine große Umstellung war das nicht. Ich komme selber nicht aus dem Ausdauersport, sondern habe Tennis gespielt und Fußball war auch immer schon ein großes Thema für mich.
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SPOX: Welche Rolle spielt das Thema Doping in Ihrer Radsport-Vergangenheit?
Dr. Helge Riepenhof: Es gab bestimmt ganz schlimme Jahre, aber der Radsport hat sich gewandelt. Ich glaube das T-Mobile-Team war damals der Impuls, den Radsport zu verändern. Beim Umwälzen sind viele gedopte Fahrer aufgeflogen. In anderen Sportarten wurde das nicht so konsequent umgesetzt. So wurde der Radsport schneller saubergemacht. Damit behaupte ich nicht, dass kein Radfahrer gedopt ist, der Radsport hat jedoch im Vergleich zu anderen Sportarten den größten Schritt nach vorne gemacht. Der Sport ist lange nicht mehr so wie er es in den 90er Jahren noch war.
SPOX: Würden Sie sagen, dass das Thema Doping im Fußball genauso präsent ist, nur die Kontrollen etwas zu fahrlässig, zu inkonsequent durchgeführt werden?
Dr. Helge Riepenhof: Das Thema Doping ist in allen Sportarten präsent. Den Satz würde ich dennoch nicht unterschreiben. Die Kontrollen im Fußball sind lediglich anders. Beim Radsport wird sicher häufiger kontrolliert als im Fußball. Ein Radsportler hätte aber auch ganz andere Dopinginteressen. Natürlich ist in jeder Sportart eine Leistungssteigerung durch Doping möglich - von Golf bis zum Zumba. Im Fußball macht es aufgrund der Leistungsfaktoren aber weniger Sinn.
SPOX: Ist das Kontrollsystem im Fußball aufgrund dieser Annahme vielleicht etwas zu locker?
Dr. Helge Riepenhof: Es funktioniert immer besser. Vor allem, weil die UEFA nun auch anfängt, mit den nationalen Anti-Doping-Agenturen zu arbeiten. Man sieht in allen Sportarten eine positive Entwicklung, nicht, weil mehr getestet wird, sondern weil die Organisationen hinter den Tests endlich zusammenarbeiten und spezifischer kontrollieren. Auch in Italien funktioniert das langsam, aber mittlerweile auch ganz gut.
SPOX: Stichwort Italien. Sie arbeiteten vor Ihrem Engagement beim AS Rom bereits von 2012 bis 2014 als Head of Sports Medicine and Science beim englischen Zweitligisten Brighton & Hove Albion. Wieso zog es Sie schon damals ins Ausland?
Dr. Helge Riepenhof: Das liegt auch ein bisschen an den Strukturen in Deutschland. In der Bundesliga haben die Vereine keinen festangestellten Arzt oder zumindest eine Kooperation, die es dem Arzt ermöglicht, jeden Tag vor Ort zu arbeiten. Das funktioniert auch, ist allerdings ein Anspruch, den Vereine außerhalb von Deutschland nicht unbedingt haben, in Spanien, England und Italien schon mal ganz und gar nicht. Ich bevorzuge dieses Modell. Denn in einer Praxis zu arbeiten und nebenher im Verein funktioniert nur bedingt. Das kommt für mich nicht in Frage.
SPOX: Wie kamen Sie zur AS Rom?
Dr. Helge Riepenhof: Wir haben in England einen ganz guten Job gemacht. Ich habe dann Kreuzbanduntersuchungen durchgeführt, gerade was Return-to-Play und Return-to-Competition betrifft, und während der Zeit gab es immer wieder Einzelfälle hier in Rom, zu denen ein paar Mal nach meiner Meinung gefragt wurde. Durch den Konditions- und Rehatrainer Darcy Norman, der auch schon bei der US-Nationalmannschaft und beim FC Bayern München tätig war und mit dem ich schon zuvor zusammengearbeitet habe, kam dann der Verein auf mich zu.
SPOX: Nun ist die AS Rom ein Verein mit einer großen Historie. Welche Rolle spielt der sportliche Erfolg Ihres Teams für Sie?
Dr. Helge Riepenhof: Eine große. Wir wollen auf jeden Fall in der Champions League spielen, haben es leider aber nicht geschafft. Wir sind gegen Porto in der Qualifikation gescheitert, das ärgert einen schon. Mein großes Interesse war eben nach den Jahren in Brighton für eine Mannschaft zu arbeiten, die international auf höchstem Niveau spielt. Denn es macht die ärztliche Mitarbeit reizvoll und effektiv, wenn die Spieler wirklich jeden dritten Tag spielen müssen. Und Champions League macht man natürlich lieber als Europa League.
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SPOX: Wäre das Ausbleiben von Erfolg oder Titeln mittelfristig ein Grund für Sie, Rom zu verlassen?
Dr. Helge Riepenhof: Das Ausbleiben des Erfolgs eher nicht. Die Projekte sind das Spannende, wenn der Klub etwas verändern und vorantreiben möchte. Das ist für mich ein Grund hierzubleiben. Ehe dieser Modernisierungsprozess nicht abgeschlossen ist, werde ich den Verein nicht verlassen - egal wie erfolgreich die Mannschaft ist.
SPOX: Einer, der nicht mehr vom Klub wegzudenken ist, wurde vor kurzem 40 Jahre alt: Francesco Totti. Im Interview anlässlich seines Geburtstages sagte er, dass der wichtigste Grund für seine Fitness die Leidenschaft zum Sport sei - eine sehr romantische Antwort. Welche Faktoren machen Totti Ihrer Meinung nach zur Ausnahme?
Dr. Helge Riepenhof: Auch mit geringerer Laufleistung und weniger intensivem Körperkontakt kann er die Spiele bestimmen. Er hat ein unglaublich gutes Auge dafür, wo es sich lohnt, in den Zweikampf zu gehen. Er ist einfach extrem intelligent. Mittlerweile dosieren wir seine Einsatzzeiten ganz gut, was bei älteren Spielern manchmal nicht ganz einfach ist. Es läuft gut, er spielt regelmäßig, regeneriert gut und hat ein gutes Gefühl, wann er wie intensiv trainieren kann. Das kombiniert mit seiner Qualität hilft ihm dabei, sehr fit und hoffentlich verletzungsfrei zu bleiben.
SPOX: Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, als Sie Totti das erste Mal auf Ihrer Liege hatten?
Dr. Helge Riepenhof: Nichts Besonderes. Es ist nur schwer, ihn zu verstehen. Wir versuchen ja italienisch zu sprechen und er ist als Römer mit seinem Dialekt schon ausgesprochen schwer zu verstehen. Dementsprechend waren meine Gedanken eher: 'Was hat er jetzt gesagt?'
SPOX: Er erfährt als Klub-Ikone keine Sonderbehandlung?
Dr. Helge Riepenhof: Er ist der Kapitän, natürlich hört man ihm zu, dennoch ist er einer von vielen. Er ist ein Teil der Gruppe und integriert sich auch sehr gut. Aber im Grunde wird jeder gleichbehandelt. Da ist es egal, ob das ein Totti ist oder ein 20-jähriger Nachwuchsspieler.
SPOX: Die Ernährung eines Athleten spielt in Ihren Überlegungen zur Leistungssteigerung eine wichtige Rolle. Totti erzählte einem Facebook-Fan, dass ihn seine Mutter als Kind mit Gnocchi und Lasagne verwöhnt hat. Ist es schwer, dem klischee-beladenen Genuss-Italiener das Bewusstsein für richtige Ernährung nahezubringen?
Dr. Helge Riepenhof: (lacht) Ja, es ist schwer. Aber es ist gar nicht so schlimm, dass sie ihr eigenes Essen mögen. Pasta ist ja gar nicht verkehrt. Auch mit den richtigen Mengen klappt das schon ganz gut. Die größte Veränderung ist das Frühstück. Das klassische italienische Frühstück ist ja ein Espresso im Stehen und ein Croissant oder Ähnliches. Wir haben natürlich das Schweizer-Deutsche Frühstück hier eingeführt und mittlerweile finden das alle super.
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