7. Juni 2016, Evian: Es sollte der bislang schlimmste Tag in der Karriere des Antonio Rüdiger werden. Im ersten öffentlichen der deutschen Nationalmannschaft bleibt der Innenverteidiger nach einem Zweikampf mit Thomas Müller minutenlang liegen und kann den Platz anschließend nur mit Hilfe verlassen.
Kreuzbandriss im rechten Knie lautete die Schockdiagnose. EM-Aus und wohl kein Einsatz mehr im Jahr 2016 - da waren sich eigentlich alle Experten einig.
26. Oktober 2016, Sassuolo: Es sollte der schönste Tag in der Karriere des Antonio Rüdiger werden. Bereits nach vier Monaten feierte er sein Comeback auf dem Fußballplatz. Beim 3:1-Sieg des AS Rom wurde er in der 79. Minute für Stephan El Shaarawy eingewechselt.
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"Das Gefühl war im Grunde noch schöner als bei meinem ersten Spiel überhaupt für die Roma letztes Jahr", beschrieb Rüdiger das Comeback im Nachhinein.
Schnäppchen für die Roma
All das ereignete sich etwa ein Jahr nachdem der gebürtige Berliner das Schwabenland verließ, um seine erste Auslandserfahrung zu machen. Dass er dabei in Rom landete, war nicht nur dem altbekannten Sprichwort, sondern auch einer Leihe mit Kaufoption - und nicht wie zwischenzeitlich vermutet einer Kaufpflicht - geschuldet.
Vier Millionen Euro für eine einjährige Leihe, weitere neun für eine feste Verpflichtung im Sommer 2016: Ein Deal mit dem sowohl der chronisch klamme VfB Stuttgart als auch die Roma gut leben konnten.
Klar, Rüdiger war Stammspieler bei einem kriselnden Bundesliga-Verein - aber dort keineswegs unumstritten. Von daher war die Höhe der Summe zu diesem Zeitpunkt nachvollziehbar. Im Nachhinein erscheint sie jedoch eher als Witz, denn nicht nur die Entwicklung des Abwehrspielers im folgenden Jahr, sondern auch die prallen Geldbeutel der Premier-League-Klubs lassen einen anderen Preis zu.
Abschied kein Thema
Um die 25 Millionen Euro soll der FC Chelsea daher auch im Sommer für den 23-Jährigen geboten haben. Antonio Conte gab schon vor Amtsantritt bei den Blues sein Interesse an Rüdiger bekannt. Die Roma hoffte in der Folge auf ein hübsches Sümmchen, Chelsea auf einen vergleichsweise günstigen Transfer. Doch dann kam der unheilvolle Tag von Evian.
"Dass ein Abschied aus Rom angeblich schon kurz bevorstand, wurde nur so in der Presse geschrieben. Ich habe jederzeit gesagt, dass ich mich hier wohlfühle", sagte Rüdiger dann im August und zerstreute alle Mutmaßungen: "Arsenal, Paris, Chelsea, Borussia Dortmund und noch viele andere wurden in den Medien gehandelt."
Rasante Entwicklung
Dass sich Rüdiger einmal in diese Preisklasse spielen würde, war einst nicht wirklich abzusehen. Während heutzutage schon Siebenjährige in die Nachwuchsleistungszentren Europas gelotst werden, verbrachte Rüdiger nahezu seine komplette Jugend bei Amateurklubs in Berlin. Tasmania Berlin dürfte dabei noch am ehesten ein Begriff sein.
2008, im Alter von 15 Jahren, folgte der Sprung in die Jugend von Borussia Dortmund. Zweieinhalb Jahre und 42 Einsätze in der Junioren-Bundesliga später der entscheidende Schritt in Rüdigers Karriere: der Wechsel ins Schwabenland.
Von da an ging es rapide bergauf. Mit Beginn der neuen Saison feierte Rüdiger sein Profidebüt beim VfB II in der 3. Liga, zur Rückrunde spielte er erstmals Bundesliga. Keine vier Jahre waren seit dem Wechsel in die Nachwuchsabteilung des BVB ins Land gezogen.
Stärken gepaart mit Risiko
66 Partien absolvierte Rüdiger für die Stuttgarter. Zahlreiche starke Auftritte spülten ihn durch die U-Nationalmannschaften bis in den Dunstkreis von Joachim Löw.
Trotz seiner resoluten Zweikampfführung, gutem Stellungsspiel und der dank einer Größe von 1,90 Metern nicht zu unterschätzenden Lufthoheit begleiteten auch immer ein wenig Zweifel Rüdigers Spiel. Er war kein Fels in der Brandung, nicht fehlerfrei, ging manches Mal zu hohes Risiko und agierte bisweilen hitzköpfig.
Sprich: Es fehlt ihm schlichtweg an der nötigen Konstanz.
Mehr Zu-Null-Spiele mit Rüdiger
Das war auch in seinem ersten Jahr in der ewigen Stadt zu beobachten, wenngleich er auf Anhieb zum unumstrittenen Stammspieler reifte. 37 Partien bestritt er für die Roma, 36 von Beginn an. Es hätte daher überrascht, wenn die Römer tatsächlich an einem Verkauf Rüdigers interessiert gewesen wären.
Zumal sich Rüdigers Comeback in der aktuellen Saison absolut sehen lassen kann: Lediglich viereinhalb Monate nach dem Kreuzbandriss stand er wieder von Beginn an auf dem Platz - und verhalf seinem Team auf Anhieb zu größerer Stabilität in der Defensive. Ohne Rüdiger spielte die Roma in nur zwei von zehn Serie-A-Spielen zu Null, mit Rüdiger waren es vier aus sechs Partien.
Was jedoch weiterhin durchschimmerte, wenn auch sicherlich der langen Verletzungspause geschuldet, war die Inkonstanz. Mal gewinnt Rüdiger fast 90 Prozent seiner direkten Duelle, mal ist es nur ein Drittel davon.
Lulic beleidigt Rüdiger
Trainer Luciano Spalletti verschob den Deutschen jedoch immer wieder nach Belieben: Nach zwei Einsätzen als Linksverteidiger durfte er auf seiner angestammten Position in der Innenverteidiger ran, nur um anschließend plötzlich auf der rechten Defensivposition zu helfen.
Es ist nicht einfach, auf diese Weise nach langer Abstinenz wieder ein Gefühl für Mitspieler und Abläufe zu bekommen. Dennoch erledigte Rüdiger seine Aufgaben grundsolide und scheint aus dem Abwehrverbund der Römer nicht wegzudenken zu sein. Er ist der Mann für die unangenehmen Aufgaben, er zermürbt seinen Gegner regelrecht.
Bestes Beispiel sind die Beleidigungen von Lazios Senad Lulic nach dem Derby della Capitale Anfang Dezember. Grund dafür war ein Zweikampf in der zweiten Hälfte: Rüdiger verfolgte Lulic bis kurz vor den Lazio-Strafraum, ließ nicht locker und spielte schließlich Foul. Lulics Reaktion war die eines Entnervten.
Auch M'Baye Niang konnte im Spitzenspiel gegen Milan nicht an sich halten. Im Duell gegen Rüdiger sah er kein Land, nahezu jeder Zweikampf ging an den Deutschen. Durch seine Beharrlichkeit schien sich Rüdiger im Kopf seines Gegenspielers festzusetzen - und prompt verschoss Niang einen nicht unwichtigen Elfmeter...
Wird die Serie A wieder spannend?
17. Dezember 2016, Turin: Für den AS Rom steht mit dem Auswärtskracher beim Serienmeister Juventus das dritte Topspiel in Folge auf dem Programm. Es ist das wichtigste Spiel der bisherigen Saison. Gewinnen die Giallorossi, verkürzt sich der Rückstand auf nur noch einen Punkt und macht die Serie A wieder spannend. Verliert die Roma, ist Juve allen Verfolgern auf mindestens sieben Punkte enteilt - eine kleine Vorentscheidung im Titelrennen.
Auch für Antonio Rüdiger geht es am Samstag um einiges. Denn mit jedem guten Spiel dürfte es für die Roma schwerer werden, Interessenten für Rüdiger abzubloken. Bei Chelseas Conte soll die Begierde bereits direkt nach Rüdigers Comeback neu entflammt sein. Auch der FC Bayern soll seine Fühler schon ausgestreckt haben.
Antonio Rüdiger im Steckbrief