Wenn's läuft, dann läuft's - eine herrliche Redewendung. Inhaltlich völlig überflüssig, aber doch extrem ausdrucksstark.
Für Dries Mertens ist sie das Motto der Saison. Oder zumindest der letzten vier Monate.
Seit Dezember knipst Neapels Stürmerstar in der Serie A quasi unaufhörlich. Er knipst. Und knipst. Und knipst. Oft auch mehrfach.
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Viererpack gegen Turin
Das Highlight der vergangenen Monate war das 5:3 gegen den FC Turin am 17. Spieltag. Mertens schnürte einen Viererpack, inklusive Hattrick binnen neun Minuten. Eine Woche zuvor: drei Tore gegen Cagliari.
Auf herausragende 17 Treffer kommt Mertens in seinen letzten 13 Ligaspielen. Damit ist er in Europas Top-5-Ligen natürlich die Nummer eins. Lionel Messi, Robert Lewandowski (beide 14), Luis Suarez (13), Harry Kane (12) und selbst Cristiano Ronaldo (11) kommen im gleichen Zeitraum an diese Quote nicht ran. Es läuft halt bei Dries Mertens.
Zu klein für Anderlecht
Das war aber nicht immer so. Mertens zündete im Profifußball erst spät.
Der 29-Jährige hat einen beschwerlichen Weg hinter sich. Einen Weg voller Stolpersteine und Rückschläge, voller zerstörter Träume. Trotzdem kam er am Ziel an.
Sein Hauptproblem war lange Zeit seine Größe. Gerade einmal 1,69 Meter misst der flinke Angreifer, der ursprünglich der Jugendabteilung des RSC Anderlecht entstammt. Doch dort sahen sie keine Zukunft für den damals 16-Jährigen. Mertens sei zu klein und körperlich nicht robust genug, hieß es.
Hinderliches Denken im belgischen Verband
Es zog ihn nach Gent - zu diesem Zeitpunkt das vermeintlich geringere Übel. Was Mertens aber an großen Entwicklungssprüngen hinderte, waren nicht die Vereine selbst, sondern das Gesamtdenken im belgischen Fußball.
Große, kräftige, testosterongeladene Spieler waren zu der Zeit die Maxime. Wenn überhaupt. Denn die Nachwuchsarbeit der belgischen Klubs war, freundlich ausgedrückt, sehr zurückhaltend.
Sportliches Exil als Wegbereiter
Weder in Gent, noch während seiner Leihe zum unterklassigen Team von Eendracht Aalst wurde dem Angreifer die Aufmerksamkeit zuteil, die ihm ob seiner Fähigkeiten zustand.
"Ich habe nie einen anderen Spieler gesehen, der über so eine Technik und eine solche Spielintelligenz verfügt. Ich musste ihm nichts beibringen, er hat von selbst gelernt. Meine erste Reaktion war, unseren Manager Michel Louwagie anzurufen und ihm zu sagen, dass ich einen Goldjungen entdeckt habe", erzählte Etienne De Wispelaere, Mertens' Jugendtrainer in Gent, später.
Im Weg stand alledem damals aber Gents Cheftrainer Georges Leekens. Unter seiner Führung hatten die Jungen im Team kaum eine Chance. Leekens setzte auf Erfahrung, Mertens fiel dem zum Opfer.
Mit 19 Jahren nervte ihn die Stagnation gewaltig. Sportliches Exil fand er bei AGOVV Apeldoorn - einem niederländischen Zweitligisten. Es war ein fast schon verzweifelter Schritt. Letztlich aber startete Mertens deshalb doch noch eine verspätete Europakarriere.
"Belgien sollte von den Niederlanden lernen"
"Der physische Fußball in Belgien passte nicht zu mir. Der technisch versierte in den Niederlanden dagegen umso besser. Dort ist die Tür für junge Menschen immer offen", sagte Mertens, nachdem er über das Kapitänsamt in Apeldoorn im Jahr 2009 erst in Utrecht und zwei Jahre später bei der PSV Eindhoven landete: "Die Einstellung in Belgien ändert sich hoffentlich. Wir sollten vom niederländischen Beispiel lernen. Die beste Ausbildung nützt nichts, wenn man der Jugend keine Chance gibt."
Ironischerweise hatte ausgerechnet der RSC Anderlecht zu dieser Zeit versucht, sein verlorenes Kind zu repatriieren. Wenig verwunderlich ohne Erfolg.
Plötzlich Superstar
Erst im Alter von 24 Jahren explodierte Mertens. Neun Millionen Euro überwies Napoli schließlich im Jahr 2013 nach Eindhoven. Eine überragende Geldanlage, wie sich herausstellte - in dieser Saison ganz besonders.
Der Abgang von Torjäger Gonzalo Higuain und der zwischenzeitliche Ausfall von Arkadiusz Milik spülten den etatmäßigen Linksaußen Mertens ins Sturmzentrum des SSC.
Die neue Rolle schmeckt dem 29-Jährigen überraschend gut. 25 Pflichtspieltreffer hat er in dieser Spielzeit schon erzielt, dazu elf Vorlagen gegeben.
Mertens ist zum Star aufgestiegen und wird in Neapel an jeder Ecke erkannt. Seine Bodenständigkeit aber hat er behalten: "Er ist viel selbstloser als Higuain. Er regt sich nie über die Fehler der anderen auf, nur über seine eigenen", lobte Napoli-Präsident Aurelio De Laurentiis.
United-Interesse vs. Vertragsverlängerung
Dass bei so einer Torquote auch andere Klubs aufmerksam werden, ist normal. Im Fall Mertens soll das vor allem Manchester United sein, sollte Antoine Griezmann - derzeit Wunschkandidat Nummer eins der Red Devils - nicht ins Old Trafford gelockt werden können.
So ist Mertens, dessen Vertrag bei den Italienern 2018 ausläuft, in einer Luxussituation: Mehrere Klubs zerren sich um ihn, allen voran Napoli, das den Kontrakt lieber heute als morgen verlängern würde. Die Entscheidungsgewalt aber liegt beim Spieler. Endlich, muss man im Fall Mertens sagen.
Denn der darf sich die nächste Station seiner außergewöhnlichen Laufbahn diesmal selbst aussuchen - im Wissen, dass es so oder so ein Topklub sein wird.
Wenn's läuft, dann läuft's.
Dries Mertens im Steckbrief