Juventus Turin entzieht sich langsam der Serie A. Der Ligaprimus hat sich mit intelligentem Business zurück auf den Thron Italiens geschoben und attackiert nun die europäische Spitze.
Im schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte betritt ein Mann im Januar 2017 die Bühne. Er hat sich einen Bart stehen lassen. Andrea Agnelli weiß, was angesagt ist. "Innovation bedeutet Fortschritt, ohne zu vergessen, wer man ist", sagt er in sein Mikrofon und drückt auf seiner Fernbedienung einen Knopf weiter auf der Powerpoint-Präsentation.
Ein in Schwarz und Weiß gehaltenes Video beginnt, springt von Einstellung zu Einstellung. Dampfender Boden, Meer, Vögel, eine Autobahn. Tänzerinnen sind genauso zu sehen wie ein junger Boxer. Löwen- und Herzgeräusche im Hintergrund. Der Film endet mit einem großen Auge.
Ein Logo erscheint. Ein J mit Seitenstreifen, darüber steht Juventus. Schlicht ist die weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund. Modern irgendwie. Der gemeine Fan wird es sich schnell einprägen, es ist einfach zu zeichnen und - ganz entscheidend - auf kleineren Bildschirmen besser zu erkennen.
Für mobile Nutzer: Wappen der Serie-A-Klubs 2017
Die Marke J
Die Präsentation von Agnelli findet passenderweise in Mailand statt, nicht in Turin. Der Klub entfernt sich seit Jahren von seiner Stadt und seinen Wurzeln. Die Führungsebene hat beschlossen, einen neuen Weg zu gehen. Einen modernen Weg. In Mailand findet sich die italienische Börse und die Juventus AG setzt dort ihren neuen Schwerpunkt.
In Zeiten, in denen die Serie A altbacken und unattraktiv wirkt, erhebt sich mit Juventus ein Verein aus der grauen Masse und schreitet Richtung Manchester United, FC Barcelona, Real Madrid oder FC Bayern München. Die Italiener haben ihren Klub in den letzten Jahren in neue Sphären gehoben.
Juventus will über den Fußball hinaus gehen, so lautete die Botschaft des neuen Logos. J ist die neue Marke und sie hat nur noch wenig mit den elf Spielern auf dem Platz zu tun. Sie bedeutet jetzt auch Uhren, Schmuck, Kleidung. Kooperationen werden jetzt bevorzugt - Achtung Stichwort - mit Global Brands eingegangen.
Internationaler Markt fokussiert
Global Brand. Das ist das, was für Juventus wichtig ist. Die Juventus-Homepage startet automatisch ohne Sprachenauswahl auf Englisch, weiterführend sind die Möglichkeiten Spanisch, Bahasa, Chinesisch, Japanisch und Arabisch vorhanden. Achso. Und Italienisch.
Das mag soweit nicht ungewöhnlich sein für einen Top-Klub Europas, Juventus ist aber in Breite und Tiefe der Umsetzung einigen Verein der gleichen Güteklasse weit voraus. Neun Prozent der Mitglieder kamen am 30. Juni 2016 aus dem Ausland, die eigene Website verzeichnet nur 60 Prozent ihrer Besuche aus Italien.
Für den asiatischen Markt hat Juventus einen eigenen Onlineshop ausgehoben. Dieser verkaufte in der Saison 15/16 150.000 Produkte, im Schnitt wurden mehr als 45 Euro ausgegeben. Insgesamt verkauft Juventus 2,43 Millionen Produkte, wie viele davon auf Italien entfallen, wurde im Bericht nicht genannt.
Die Paulo-Dybala-Generation
Für noch mehr internationale Aufmerksamkeit ist Juventus bemüht, auf jedem möglichen Social-Media-Kanal vertreten zu sein. Facebook, Twitter oder Youtube sind da selbstverständlich. Neue Wege wurden mit Snapchat, Linkedin oder Dugout gegangen. Über Spotify kann man die Lieblingsplaylisten der Spieler hören.
Für mobile Nutzer: Vergleich der Social-Media-Follower 2015 zu 2016
Mitglieder gewinnen, binden und allgemein das Interesse an Juventus erhöhen - alles Ziele, die der Klub in den letzten Jahren mit Erfolg abgeschlossen hat. So werden beispielsweise verschiedene Mitgliedschaften angeboten, die zu unterschiedlichen Preisen verschiedene Leistungen beinhalten.
Die Aufspaltung der Zielgruppen wird hier sehr deutlich. Juventus bietet zwar im Willkommenspaket der J1897-Mitgliedschaft ein Einstecktuch, letztlich orientiert sich der Klub aber in die Richtung einer anderen Generation. Die Paulo-Dybala-Generation, wenn man denn so will.
Kleines Stadion, hohe Auslastung
Juventus versucht in diesem Bereich einen gewissen Edelmut in Einklang zu bringen mit jungen Fans, die jeden Monat über FIFA 17 den Juventus-MVP bestimmen und die Bottleflip-Challenges der Stars verfolgen. Der Kontrast aus Routinier Gianluigi Buffon und Freigeist Dybala als wichtigste Werbefiguren ist hier Gradmesser für die Marketing-Abteilung.
Bislang funktioniert es bestens. Juventus hat den mit Abstand besten Zuschauerschnitt Italiens und kann national wie international immer mehr Anhänger versammeln. Das ist sicherlich nicht unabhängig vom sportlichen Erfolg, dieser und die wirtschaftlichen Aspekte des Klubs gehen aber Hand in Hand.
Die Zuschauerzahlen in Italien: Auslastung und Kapazitäten
Das J-Stadium wurde im November 2011 mit vergleichsweise wenig Plätzen eröffnet. 41.507 Zuschauer passen hinein, sorgen dann aber auch für die gewollte Atmosphäre. Die Spielstätte sieht immer gut gefüllt aus und vermittelt damit den Eindruck hoher Nachfrage.
MMV - Museum, Medical, Village
Doch das neue Stadion war nur ein Schritt auf dem Weg zur Erneuerung der Infrastruktur. Das J-Museum wurde im Oktober 2015 eröffnet und verbuchte seitdem weit über 700.000 Besucher, die mehr als zehn Millionen Euro investierten. Erweitert wurde das Portfolio um eine exklusive Führung und eine Stadttour.
Das J-Medical direkt am Stadion bietet jedem Patienten mit ausreichend finanziellem Hintergrund verschiedene Gesundheitstests, Programme und Behandlungen. Es wird in Zusammenarbeit mit der Santa Clara Group betrieben und erstreckt sich mittlerweile über 3500 Quadratmeter.
Neu hinzukommen wird im laufenden Kalenderjahr das J-Village. Juventus plant auf einem riesigen Gelände neben dem Trainingszentrum und vier Kunstrasenplätzen auch ein Media Center, ein Hotel, eine internationale Schule sowie einen weiteren Shop.
Für mobile Nutzer: Video zum geplanten J-Village
Verluste werden zu Gewinnen
Dieses Quartett ist an der europäischen Spitze anzusiedeln. Kaum ein anderer Klub kann derzeit auf eine ähnliche Struktur zurückgreifen. Hier wird die Basis gelegt für erfolgreiche Jahre in der Zukunft, so die Hoffnung.
Tatsächlich schlägt der Renovierungsprozess in diesen Jahr langsam von Verlust in Gewinn um. 2011 ging Juventus noch mit einem Minus von 95 Millionen Euro aus der Saison, der letzte Jahresabschluss brachte einen Gewinn von 4,1 Millionen Euro aus der Saison 15/16 hervor.
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Die Einnahmen haben stärker zugenommen als die laufenden Kosten der Juventus AG, der Verein scheint insgesamt auf einem sehr guten Weg zu sein. Neue Rundfunk- und Sponsorenverträge haben den italienischen Rekordmeister der nationalen Konkurrenz entfliehen lassen.
Standortnachteil Italien?
Bliebe da aber - speziell im Hinblick auf das Rückspiel gegen den FC Porto in der Champions Leage (Di., 20.45 Uhr im LIVETICKER) - noch der Blick auf die internationale Konkurrenz. Und hier offenbart sich eine "große Lücke", so Agnelli. Standortnachteil Italien? Nicht nur, sicherlich aber auch.
Juventus hat noch immer Rückstand in der Vermarktung, die ausgesuchten Konkurrenten verbuchen deutlich mehr Einnahmen über Sponsorenverträge und Rechteverkäufe. Die Serie A hält den Klub durchaus zurück - wenige Zuschauer bedeuten auch wenige potenzielle Kunden für die Unternehmen aus der Wirtschaft.
Das kleine Stadion von Juventus bedeutet zudem geringere Einnahmen aus den Spieltagserlösen. Hier zeichnet sich zudem ein neuer Trend ab, der den Verantwortlichen nicht gefallen wird: Die Erlöse aus Ticketverkäufen gingen von 2015 auf 2016 um fast acht Prozent zurück.
Für mobile Nutzer: Einnahmenverteilung Juventus Turins 2015/16
Nationale Konkurrenz schwächelt
Immerhin gab Agnelli an, durch das Erreichen des Finales der Champions League vor kurzer Zeit einen enormen Sprung gemacht zu haben. Juventus hat sich damit ein Stück weit wieder etabliert in der Spitze und dürfte bei einem erneuten Erreichen des Viertelfinals auch langsam für Sponsoren interessanter werden.
Abzuwarten bleibt weiterhin eine Entwicklung in Italien. Viele der Vereine laufen den internationalen Standards hinterher, wie jüngste Geschehnisse bei AC oder Inter Mailand unterstreichen. Juventus ist diesen Konkurrenten derzeit weit, weit voraus und hat auch international interessante Ansätze zu bieten.
Letztlich muss es aber vorerst über die Champions League gehen. Erst mit der Zeit wird Italien wohl zu Juventus aufschließen können und damit auch den Konkurrenten erneut auf ein neues Level heben. Die Bianconeri gehen also nicht nur sportlich voran - wie der Marketing-Chef sagen würde: Black and White and more.
Juventus Turin im Überblick