Jose Mourinho ist am Sonntagabend schon vor dem Anpfiff im San Siro ausgebuht worden - was aber nicht weiter verwunderlich war. Schließlich spielte seine Roma im Giuseppe Meazza gegen die AC Mailand - und nicht gegen Mourinhos geliebtes Inter, mit dem der Portugiese seit dem Triple-Triumph der Nerazzurri im Jahr 2010 eine herzliche und unzertrennliche Verbindung pflegt. Es war klar, dass die Milanisti ihren Unmut lautstark kundtun würden, sobald Mous Gesicht auf der Stadion-Leinwand erscheint.
Bemerkenswert war jedoch die Stimmung, die Mourinhos Mannschaft nach dem Spiel, das mit einem 3:1 der Gastgeber endete, von den eigenen Fans entgegenschlug. Als sich die Spieler der Roma bei den 4.000 mitgereisten Anhängern bedanken wollten, wurden sie offen angefeindet und auf unzweideutige Weise aufgefordert, endlich einmal zu zeigen, dass sie echte Männer sind. "Wir sind ganz unten", gab Roma-Stürmer Andrea Belotti hinterher zu.
Mourinho war bei diesem unschönen Schlagabtausch zwischen Fans und Team nicht dabei, da er aufgrund einer Sperre wegen Beleidigung der Offiziellen erneut nicht auf der Bank Platz nehmen durfte und stattdessen gezwungen war, das Spiel von der Tribüne aus zu verfolgen. Aber auch er blieb von der Kritik nicht verschont. Zum ersten Mal, seit er 2021 das Kommando bei der Roma übernommen hatte, begannen einige Fans, Mourinhos Methoden in Frage zu stellen.
Ein frustrierter Fan schrieb im Internet: "Mourinho hat uns noch mehr ruiniert als Monchi" - was angesichts der desaströsen Amtszeit des Spaniers als Sportdirektor eine heftige Anschuldigung war. Aber die Online-Attacken waren ein Zeichen für einen deutlichen Stimmungsumschwung und deuteten letztlich bereits das Ende von Mourinhos Amtszeit in Rom an.
José Mourinho bei der AS Rom: Aus Mou-Anhängern wurden Mou-Zweifler
'The Special One' wurde bei seiner Ankunft in Rom wie ein Gott begrüßt und von den leidgeprüften Anhängern des Vereins schon als Retter gefeiert. Das unermessliche Vertrauen der Fans wurde am Ende von Mourinhos erster Saison im Stadio Olimpico mit dem ersten europäischen Titel in der Conference League belohnt.
Mourinho war ihr Messias und die Giallorossi hingen an seinen Lippen. Wenn er die Schiedsrichter verbal angriff, taten sie es auch. Natürlich gab es auch einige Bedenken hinsichtlich des Spielstils (oder besser: hinsichtlich des Fehlens eines Spielstils) und einige kritische Stimmen - vor allem die des ehemaligen Roma-Stürmers Antonio Cassano -, aber lange Zeit wurden diese einfach von Romas neuem Kulthelden und seinen treuen Anhängern übertönt.
In den letzten sechs Monaten wurden jedoch einige, die Mourinho zunächst blind gefolgt waren, zu Zweiflern, da die Roma sich als weiterer Klub entpuppte, bei dem Mourinho in seiner dritten Saison große Probleme bekam.
In der Tat wurde schon früh in der Saison 2023/24 klar, dass bei der Roma nicht alles in bester Ordnung war, vor allem nicht hinter den Kulissen.
AS Rom unter José Mourinho "in einer schweren Krise"
Nach der Niederlage am Sonntag im San Siro ist die Roma in der Serie A auf den neunten Platz abgerutscht, nachdem sie nur eines der letzten sechs Ligaspiele gewonnen hat. Letzte Woche schied sie außerdem in der Coppa Italia ausgerechnet gegen Erzrivale Lazio aus.
Wie die Gazzetta dello Sport am Montag schrieb, befand sich der Verein "in einer schweren Krise", und die Frage, die von Journalisten, Fans und angeblich sogar von Mourinho selbst gestellt wurde, war, ob der zweifache Champions-League-Sieger auf der Trainerbank immer noch der richtige Mann sei, um die Roma aus dieser Krise zu führen.
Schon vor der Reise nach Mailand gab es das Gerücht, dass die amerikanischen Eigentümer der Roma, die Friedkin-Gruppe, erwägen, Mourinho zu entlassen und ihn durch die Vereinslegende Daniele De Rossi zu ersetzen, zumindest auf Interimsbasis. Nach dem Spiel wurde auch behauptet, Mourinho habe seinen Spielern gesagt, dass er bereit sei, zurückzutreten, da er das Gefühl habe, dass das Team seine Anweisungen nicht mehr befolge.
José Mourinho und eine "anstrengende" Team-Sitzung
Mourinho hatte vor dem Spiel in Mailand zugegeben, dass er nach der Derbyniederlage in der Coppa eine "anstrengende" Team-Sitzung abgehalten hatte und dass "einige Spieler" dabei besonders heftig kritisiert worden waren. Obwohl Mourinho der Meinung war, dass einige Spieler nicht genug investieren, weigerte er sich, sie beim Namen zu nennen, vor allem, weil er im Allgemeinen mit dem Einsatz der seiner Meinung nach leicht überforderten Mannschaft zufrieden war.
Und das war für Mourinho der Kern des Problems: Er glaubte einfach nicht, dass er über genügend Mittel verfügte, um um einen Platz unter den ersten Vier in der Serie A zu kämpfen.
Er wies wiederholt auf die Verletzungsprobleme seiner Mannschaft hin, insbesondere auf die von Paulo Dybala, und räumte ein, dass die Roma ohne den Argentinier einfach nicht dieselbe Mannschaft wie mit ihm sei.
AS Rom: Verletzungen können nicht weggezaubert werden
Natürlich kann man argumentieren, dass es ohnehin eine Katastrophe ist, wenn man sich so sehr auf einen verletzungsanfälligen Spieler verlässt, aber Romas mangelnde Kader-Tiefe erlaubte es Mourinho, ein bei ihm sehr beliebtes Thema aufzugreifen, das er immer wieder anspricht, wenn er für sein Scheitern oder seine Schwierigkeiten, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, kritisiert wird - nämlich dass er ein Opfer seines eigenen Erfolgs ist.
"Wir sind vier Punkte von unserem Ziel entfernt (Champions League), von dem jeder sagen würde, dass für jeden anderen außer uns unmöglich zu erreichen wäre", argumentierte er letzte Woche. "Wenn man sich das Potenzial der Mannschaften anschaut, die eigentlich unter den ersten Vier landen sollten, kann man sie nicht mit uns vergleichen."
"Aber das ist die Roma, mit den unglaublichsten Fans, die ich je gesehen habe, und mit einem Trainer, von dem die Leute denken, er hieße José 'Harry Potter' Mourinho und nicht José Mourinho Felix, dessen Name sofort Erwartungen und Ansprüche weckt."
José Mourinho bei der AS Rom: Die schlimme Punktebilanz
Mourinho hatte zweifellos Recht, als er sagte, dass die Roma von Verletzungen schwer getroffen wurde - in Mailand fehlten neun Spieler -, aber es ist auch nicht so, dass alle Konkurrenten im Kampf um einen Platz unter den ersten Vier die ganze Saison über ihre beste Elf aufstellen konnten.
Der Trainer hat auch argumentiert, dass die Roma durch die Anforderungen des Financial Fair Player (FFP) eingeschränkt wird - und das ist auch richtig. Wie er letzte Woche erneut betonte, sind die Giallorossi nicht in der Lage, so viel Geld für Spieler auszugeben wie Manchester City oder Chelsea.
Aber auch hier gilt, dass andere Mannschaften und Trainer in der Serie A mit viel weniger Geld weitaus besser zurechtkommen als die Roma. So haben die Fiorentina, Lazio, Bologna und Atalanta allesamt mehr Punkte auf dem Konto als der Verein mit dem drittteuersten Kader der Liga.
Wenn Mourinho also behauptet, dass er bei der Roma mehr als erwartet erreicht hat, ist das nicht einmal die halbe Wahrheit. Eher das Gegenteil: Nach 20 Spielen in der Serie A hat die Roma die wenigsten Punkte seit der Saison 2002/03 (27).
Die Friedkin-Gruppe lag also durchaus damit richtig, ihn zu entlassen. Dass sie dies angesichts der prekären finanziellen Lage des Klubs jetzt getan hat, ist zwar eine kleine Überraschung. Aber es ist bezeichnend, dass die Eigentümer öffentlich erklärten, sie seien der Meinung, dass "ein sofortiger Wechsel" "im besten Interesse des Klubs" sei. Sie wollten den Niedergang der Roma stoppen.
AS Rom unter José Mourinho: "Tiefer können wir nicht mehr sinken"
Mourinho sollte natürlich nicht allein für die Krise der Roma verantwortlich gemacht werden. Tiago Pinto verlässt den Klub nächsten Monat und nur wenige Fans werden es bedauern, dass der Sportdirektor geht, da es in seinen drei Jahren bei der Roma mehr Flops als Treffer auf dem Transfermarkt gegeben hat. Selbst seine größten Coups - die Verpflichtungen von Dybala und Romelu Lukaku - werden nun neu betrachtet, da der argentinische Angreifer wie erwähnt sehr verletzungsanfällig ist, und der belgische Stürmer in wichtigen Spielen meist unsichtbar bleibt.
Auch Mourinhos Bitte um mehr Unterstützung durch den Verein, insbesondere im Umgang mit der Presse, blieb bei seinem Arbeitgeber ungehört. Er fühlte sich lange Zeit überfordert, als ob er drei oder vier Jobs auf einmal machen würde.
In der breiten Öffentlichkeit ist das Mitgefühl für Mourinho derzeit allerdings eher gering. Erstens war der Fußball der Mannschaft in der Regel schrecklich, die Ergebnisse miserabel und das Verhalten des Trainers und seiner Mitarbeiter an der Seitenlinie durchweg beschämend. Viele haben sich zu Recht gefragt, warum Mourinho so viel Zeit und Energie darauf verwendet hat, gegen Offizielle und gegnerische Teams zu kämpfen. Er hätte das alles besser nutzen können, um das Beste aus seiner Mannschaft herauszuholen, die ideenlos und ohne Selbstvertrauen spielte. "Tiefer können wir nicht mehr sinken", sagte Belotti am Sonntagabend DAZN.
Vor etwas mehr als einem Monat entrollten die Fans im Stadio Olimpico ein Banner, auf dem sie Mourinho als "Romanista fürs Leben" bezeichneten. Mourinho wird beim Hauptstadtklub also immer willkommen sein. Doch selbst einige von Mourinhos treuesten Fans begannen nun, ihr Vertrauen in "The Special One" in Frage zu stellen. Und das führte zwangsläufig zu seinem inzwischen notwendigen Abgang.