Endlich ist der große Tag gekommen. Yuko Sato wird ihrem großen Idol erstmals seit sieben Jahren wieder ganz nah sein. Mit spürbarer Vorfreude wartet sie in der Schlange vor dem Eingang des Estadio Municipal de Riazor, drückt dem Ordner ihre Eintrittskarte in die Hand, als sie an der Reihe ist.
Dann hat sie es geschafft. 21.000 Kilometer von der Heimat entfernt erklimmt die 54-Jährige Japanerin die Stufen der veralteten Heimstätte von Deportivo La Coruna und setzt sich auf einen der mit blau-weißen Streifen überzogenen Schalensitze.
Es ist der 21. November 2009. An diesem 11. Spieltag der Primera Division empfängt Depor die negative Überraschung der noch jungen Saison - Atletico Madrid. Sato jedoch ist nur wegen einer Person hier: Juan Carlos Valeron.
Der mittlerweile 34-jährige Filigrantechniker hat es ihr bei der WM 2002 angetan. "Ich bin ein großer Fan von ihm und schaue mir seither so viele Spiele wie möglich im Fernsehen an", sagt Sato mit leuchtenden Augen.
Jugend übernimmt Verantwortung
Valeron kommt zwar erst in der 76. Minute beim Stand von 1:1 in die Partie. Dennoch ist Sato hellauf begeistert. Denn zu ihrem Glück siegen die Galizier durch ein Elfmetertor in der fünften Minute der Nachspielzeit noch mit 2:1.
Die zwei Punkte sichert jedoch keiner der Routiniers wie Valeron, Kapitän Manuel Pablo oder Abräumer Juan Rodriguez. Nein, der erst 23-Jährige Andres Guardado schreitet zur Tat und verwandelt eiskalt. Ein Treffer mit Symbolcharakter für das Depor des Jahres 2009.
Denn der königliche Klub hat sich neu erfunden. Mit Erfolg. Wurden zwischen der Meistersaison 1999/2000 und dem Erreichen des Champions-League-Halbfinales fünf Jahre später fertige Stars wie Roy Makaay, Diego Tristan oder Albert Luque für viel Geld verpflichtet, bauen die Galizier heute vorrangig auf die Jugend.
Etat um 35 Millionen gesenkt
Konsolidierung heißt das Zauberwort. Denn mit den Triumphen zur Jahrtausendwende wurden Begehrlichkeiten geweckt - und Schulden angehäuft. Zeitweise betrugen die Verbindlichkeiten mehr als 130 Millionen Euro.
Doch dann schritt der seit mittlerweile 21 Jahren amtierende Präsident Augusto Cesar Lendoiro ein. "Es ist Zeit für ein anderes Depor", sagte der allmächtige Boss und ließ Taten folgen. In den vergangenen vier Jahren verzeichnete der Verein auf dem Transfermarkt ein dickes Plus von rund 33 Millionen Euro, der Etat wurde von 80 auf 45 Millionen nahezu halbiert.
Mitverantwortlich für den neuen Weg zeichnet Sportdirektor Ricardo Moar. Der 56-Jährige war in derselben Funktion zwei Jahre bei Hannover 96 tätig, kehrte im August 2004 zu seinem Heimatverein zurück. Und sah sich einer Mammut-Aufgabe gegenüber.
Wie der VfB Stuttgart...
Wie sollte man Fans und Experten erklären, dass nach den erfolgreichsten Jahren der Vereinsgeschichte ein Mittelfeldplatz schon als Erfolg zu verbuchen war? Dass die Erlöse durch Spielerverkäufe nicht in Zugänge von internationaler Klasse reinvestiert werden?
Die fetten Jahre in La Coruna waren vorbei - von einem Tag auf den anderen. "Wir hatten kein Geld für Neueinkäufe, also haben wir Spieler aus den Nachwuchsmannschaften ins Team eingebaut", sagt Moar im Gespräch mit SPOX. Er vergleicht die Situation mit der des VfB Stuttgart 2002 - als die Schwaben zu ihrem Glück gezwungen wurden.
Es war die Geburtsstunde der Jungen Wilden. Kevin Kuranyi, Andreas Hinkel, Alexander Hleb und Timo Hildebrand heißen bei Deportivo Filipe, Guardado, Adrian oder Lassad. Sie sind das Tafelsilber des Vereins.
Überragende linke Seite
Der als Sohn polnischer Einwanderer in Brasilien geborene Filipe hat bereits das Interesse von Milan, Juve und den großen Konkurrenten aus der Primera Division geweckt. Doch Depor will seinen Rohdiamanten weiter schleifen.
Wie auch Guardado, der immerhin stolze sieben Millionen Euro gekostet hat, als er 2007 aus Mexiko kam. Auf ihn soll der FC Barcelona ein Auge geworfen haben. Das Duo bildet auf der linken Seite eines der stärksten Paare der spanischen Liga. Bei vielen anderen Klubs die große Problemzone, ist der linke Flügel in La Coruna das Prunkstück.
Für Moar sind aber nicht nur die "Super-Talente" Grund für den Aufschwung. Er unterstreicht die "richtige Mischung aus Jung und Alt": "Unsere älteren Spieler haben richtig Lust auf Fußball. So wie es damals in Hannover bei Fredi Bobic auch war."
Kein Baby-Depor mehr
Einzig Manuel Pablo und Valeron sind übrig geblieben aus der Zeit von Super-Depor. Als der Verein die 200.000-Einwohnerstadt La Coruna auf der ganzen Welt bekannt machte.
Als Deportivo die Gegner im Estadio Municipal de Riazor teilweise schwindelig spielte. Als man Stammgast in den internationalen Wettbewerben war.
Doch der Name Super-Depor verblich mehr und mehr hinter der unansehnlichen Spielweise. Die Verjüngungskur tat ihr Übriges. Zwischenzeitlich wurde der Verein gar als Baby-Depor abgekanzelt.
2005 ging Erfolgscoach Javier Irureta. Er wollte sich mit Mittelfeldplätzen nicht zufrieden geben. Nachfolger Joaquin Caparros hielt es nur zwei Jahre auf dem Trainerstuhl aus.
Irureta-Fan auf der Bank
Und auch Miguel Angel Lotina stand im Januar 2008 kurz vor der Entlassung. Der Baske, ein bekennender Fan von Irureta, setzt auf eine massive Defensivreihe. Eine Maßnahme, die der Mannschaft verlorene Sicherheit verleiht.
Nach den Plätzen acht, acht, 13, neun und sieben in den vergangenen fünf Jahren ist in diesem Jahr weitaus mehr drin. So frohlockt Moar angesichts von Platz fünf nach zwölf Runden: "Die Champions League wird sicher schwierig, aber die Europa League ist drin."
Dass Fortuna in den vergangenen Wochen häufig mit den Galiziern im Bunde war, wissen aber auch Trainer und Spieler. Nach dem 1:0 bei Racing Santander am Sonntag sprach Lotina von "einem Quäntchen Glück". Bereits zum fünften Mal genügte Depor in dieser Saison ein Tor, um drei Punkte einzufahren.
Kampf statt spielerischer Klasse
So schrieb auch "Marca" passend: "Depors Spiel ist keine Ballade."
Und Lotina beteuert: "Unser Erfolgsgeheimnis ist unser solides Spiel. Wir kämpfen um jeden Ball. Wenn wir versuchen würden, spielerisch mit den besten Mannschaften mitzuhalten, hätten wir keine Chance."
Mit diesen Mitteln haben sie im Oktober auch den FC Sevilla bezwungen. Nur eine Woche nach deren grandiosem Sieg über Real Madrid. Der erste Vorgeschmack auf bessere Zeiten?
Valeron fügt sich
In Galicien jedoch ist noch nichts zu spüren von großer Aufbruchstimmung. Auch das ist ein Verdienst von Moar. "Wir haben unsere Ziele enorm heruntergeschraubt und unsere Fans verstehen das. Die Menschen in La Coruna bleiben ruhig, weil sie einfach froh sind, dass wir in der ersten Liga spielen", betont er und ergänzt: "Die Erstligazugehörigkeit ist schon ein kleines Wunder."
An diesem arbeitet auch Valeron gern mit. Doch in den vergangenen Monaten hat sich "der Zauberer von Arguineguin" immer mehr zum Teilzeitarbeiter entwickelt. Er stört sich aber nicht an seiner neuen Rolle: "Wir spielen im Moment sehr physisch. Das liegt anderen Spielern wahrscheinlich besser als mir."
Er beobachtete die Spiele der vergangenen Jahre wegen diverser Verletzungen zumeist von der Tribüne aus. Jetzt ist er einfach nur froh, wieder auf dem Platz stehen und seinem Verein helfen zu dürfen. Und seine Fans auf der ganzen Welt glücklich zu machen.