Dass es Diego nicht verlernt hat, merkten die Atletico-Fans schon nach einer Viertelstunde.
Exakt 16 Minuten nach seiner Einwechslung in seinem ersten Primera-Division-Spiel beim FC Valencia (0:1) wurde das Mestalla Zeuge eines Kabinettstückchens, das in Spanien normalerweise mit einem stolzen "Olé" bedacht wird - wenn es nicht gerade ein Spieler des Auswärtsteams vorführt.
Diego hatte im Mittelfeld den Ball mit der Sohle des rechten Fußes zu sich gezogen und den Bruchteil einer Sekunde gewartet, bis sich Jordi Alba und Mehmet Topal mit Gebrüll auf ihn stürzen. Dann ließ er den Ball mit der Sohle durch die Beine von Alba gleiten und startete links um die verdutzten Gegenspieler dem Spielgerät hinterher. Olé.
Am Tag nach dem Spiel schrieb die Madrider Sporttageszeitung "AS" bereits: "Diego hat gezeigt, dass er Atleticos Nummer 10 sein kann."
Ein Tor für den Steppke
Ein paar Tage später stand Diego beim Europa-League-Auftakt gegen Celtic Glasgow gleich in der Startelf. Nach 20 Sekunden gab er seinen ersten Torschuss im Estadio Jose Calderon ab, nach 84 Minuten wurde er von ihm mit stehenden Ovationen verabschiedet.
Dazwischen lag ein ungefährdetes 2:0, mit Diego als Vorbereiter des ersten und Schützen des zweiten Tores. "Das Tor widme ich meinem sieben Monate alten Sohn", sagte Diego hinterher stolz. "Er saß heute mit einem Atletico-Trikot neben seiner Mutter und hat sich das Spiel angeschaut."
Es gab in den letzten dreieinhalb Monaten Momente, da hätte Diego wohl nicht mehr mit der baldigen Rückkehr in ein Fußballstadion in tragender Rolle geglaubt. Wolfsburg beharrte lange auf monetären Forderungen, Atletico pokerte bis zuletzt um den Brasilianer, eine Spielzeit auf der Tribüne stand im Raum. Am Ende klappte es doch, ein Leihgeschäft bis zum Ende der Saison stellte alle drei Seiten zufrieden.
"Ich weiß, was ich kann"
Als seine letzte Chance will Diego seinen Aufenthalt in Madrid aber nicht begreifen. "Ich denke, dass ich meine Qualitäten schon bei anderen Klubs gezeigt habe", sagt der 26-Jährige im Gespräch mit SPOX. Nur das letzte Jahr sei unterdurchschnittlich gewesen - sowohl seine individuelle Leistung als auch die Teamleistung des VfL Wolfsburg.
Über den Disput mit Felix Magath und seine Flucht vor dem letzten Saisonspiel mag Diego nicht mehr sprechen. Für ihn ist das Thema erledigt, für Magath sowieso. "Ich habe immer Vertrauen in mein Potenzial gehabt, ich weiß, was ich kann. Jetzt, mit ein bisschen Abstand und vor allem Ruhe, hier bei Atletico, kann ich wieder mein Bestes geben", sagt er.
Dass sich Atletico derweil im Umbruch befindet, ist nicht die schlechteste Voraussetzung für Diego. Sergio "Kun" Agüero und Diego Forlan sind weg, die neuen Offensiv-Stars heißen Radamel Falcao, Arda Turan - und eben Diego. "Wir haben jetzt neue Idole", sagte Klubpräsident Enrique Cerezo dieser Tage zufrieden und kündigte bereits die "Ära Falcao" an.
Verheißungsvolle Harmonie mit Falcao
Der Stürmer, von Porto gekommen, erzielte wie Diego gegen Celtic seinen ersten Treffer für Atletico - und legte in der Liga gleich mit fünf Treffern in zwei Spielen nach. Gegen die Schotten spielten sich Diego und Falcao 17-mal den Ball zu und offenbarten dabei ein Gefühl füreinander, das auch Trainer Gregorio Manzano zu gefallen scheint.
"Er vertraut meinen Fähigkeiten, ich wiederum spüre sein Vertrauen", sagt Diego zu SPOX. Er kam für Atletico bisher im 4-3-3 sowohl auf den offensiven Außen als auch als Spielgestalter im Mittelfeld zum Einsatz. "Er gibt mir mehr und mehr Freiheiten auf dem Platz und ich denke, dass ich mich so von Spiel zu Spiel steigern kann. Generell kann alles eigentlich nur besser werden."
Er selbst präferiert bekanntlich eine Position nahe am Strafraum, mit Tuchfühlung zu den Stürmern. "Das ist auch das, was der Trainer von mir erwartet."
Ausfall gegen Barcelona?
Während Falcao seine gute Form in den letzten Spielen konservieren konnte, musste Diego allerdings nach dem Celtic-Spiel kleinere Brötchen backen.
Beim 4:0-Heimsieg gegen Racing Santander zwickte plötzlich der rechte Oberschenkel, Diego blieb zur Halbzeit draußen und verpasste das 4:0 gegen Sporting Gijon unter der Woche. Für das Spitzenspiel am Wochenende beim FC Barcelona gilt er wegen der Zerrung als fraglich. Diego wird aber auf jeden Fall mit nach Katalonien reisen.
Dennoch: Insgesamt hätte der Start für den Brasilianer in Madrid kaum besser laufen können. Seine Eskapaden aus Deutschland sind auf der iberischen Halbinsel sowieso eher Kinkerlitzchen im Vergleich zu den Dingen, die sich dort andere Profis leisten.
"Mein erster Eindruck könnte besser gar nicht sein", meint Diego. "Ich fühle mich wohl, es wird nicht lange dauern, bis ich mich angepasst habe."
Saisonziel: einen Titel gewinnen
Seine Zielsetzung mit Atletico ist klar: Diego will sich persönlich in der spanischen Liga beweisen, sein Image aufpolieren - und um Titel mitspielen. "Wir werden darum kämpfen, bei den Besten der Besten mitzuspielen und - warum nicht - auf einen Titel spekulieren. Atletico ist eine große Nummer in Spanien und sollte deswegen auch hohe Ziele anvisieren."
Für das Spiel beim FC Barcelona haben sich die Colchoneros deshalb viel vorgenommen. "Wir fahren immer nach Barcelona, um zu gewinnen", meinte Präsident Cerezo dieser Tage vollmundig. Und: "Barca weiß, das wir im Camp Nou oft unsere Bestleistung abgerufen haben."
Mittelfeldspieler Gabi sieht das ähnlich. "Barca ist eine offensivstarke Truppe", sagte er am Donnerstag, "aber wir wollen so viele Ballverluste wie möglich provozieren, auf Augenhöhe mitspielen und sie mit unseren Waffen schlagen." Es scheint fast so, als habe Diego das richtige Team gewählt.
Der Kader von Atletico Madrid