"Es ist eine Schande, dass ich wohl nicht auf ihn zurückgreifen kann. Ich mag ihn sehr. Er ist stark im Zweikampf und beherrscht das Aufbauspiel. Genau das brauchen wir hier bei Real. Ich hätte ihn gerne in der ersten Mannschaft gesehen."
Der Spieler, dem Jose Mourinho im August 2010 nachtrauerte, heißt David Mateos. Das Eigengewächs von Real Madrid stand unmittelbar vor einem Vertragsabschluss bei Racing Santander auf Leihbasis.
Die Lobeshymne des neuen Real-Trainers veranlasste Mateos allerdings, Santander im letzten Moment abzusagen und seine Chance unter Mourinho zu suchen. Der Klub stattete den gelernten Innenverteidiger mit einem Profivertrag aus und Mourinho berief ihn für das erste Ligaspiel gegen Mallorca in den 18-Mann-Kader.
Gespielt hat Mateos nicht. In den Wochen danach stand er auch nicht mehr im Kader. Immerhin durfte er am 23. November 2010 gegen Ajax Amsterdam acht Minuten Champions-League-Luft schnuppern.
ManUnited und PSG wollten Varane
Weil Mourinho aber praktisch keine Verwendung für ihn fand, ließ sich Mateos im Winter zu AEK Athen ausleihen. Im Sommer kehrte er zurück nach Madrid. "Ich werde versuchen, Herrn Mourinho davon zu überzeugen, dass er mich braucht", sagte Mateos selbstbewusst.
Herr Mourinho wurde allerdings derweil von Zinedine Zidane bearbeitet, einen 18-jährigen Innenverteidiger aus Frankreich zu verpflichten: Raphael Varane. Am 27. Juni unterschrieb Varane einen Sechsjahresvertrag bei Real. Der RC Lens bekam zehn Millionen Euro Ablöse. Auch Manchester United und das aufstrebende Paris St. Germain hatten sich intensiv um Varane bemüht.
Mateos ließ sich erneut ausleihen, diesmal nach Saragossa. "Scheinbar will man mich hier nicht", sagte er zum Abschied leicht verbittert. Nacho, der andere hochtalentierte Innenverteidiger aus Reals cantera, der sämtliche Jugendnationalmannschaften Spaniens durchlief, blieb in Madrid und ackert eifrig in der zweiten Mannschaft.
Reals jüngster ausländischer Torschütze
Die "Marca" schlug sich auf die Seite der Eigengewächse. Der ganze Varane-Deal sei ein einzigartiger Affront gegenüber dem Nachwuchs von Real, schrieb die Sportzeitung. "Warum sieht sich Mourinho nicht mal im eigenen Stall um? Es ist nicht nachvollziehbar, dass er nicht einmal zwei Plätze frei hat für die eigenen Talente."
Und überhaupt: Wie kann man für einen 18-Jährigen nur so viel Geld ausgeben, der noch nicht mal ein Offensivspieler ist?
Doch die zehn Millionen Euro sind offenbar gut angelegt. Am Tag vor dem Spiel in Santander meldete sich Stammspieler Pepe mit einer Oberschenkelverletzung ab. Mourinho stellte Varane neben Ricardo Carvalho auf. Raul Albiol, etatmäßige Nummer drei unter Reals Innenverteidigern, blieb nur ein Platz auf der Ersatzbank.
Varane spielte fehlerlos und gehörte auch in den nächsten beiden Spielen zur Stammelf. Beim 6:2 gegen Rayo Vallecano erzielte er sein erstes Tor für Real und stellte gleich einen neuen Klubrekord auf. Mit 18 Jahren und 158 Tagen ist Varane jüngster ausländischer Torschütze der Königlichen.
Außergewöhnliches Talent
Drei Pflichtspiele über die volle Distanz absolvierte Varane für Real und kam dabei ohne ein einziges Foul aus. "Ich wache jeden Morgen auf und denke: 'Wieder ein schöner Traum.' Dabei ist das alles Realität. Vor zwölf Monaten spielte ich noch in der Jugend von Lens und jetzt spiele ich im ausverkauften Bernabeu für Real Madrid. Unfassbar und unvergesslich!", schwärmte Varane nach seinem Debüt.
Für Frankreichs U-21-Nationaltrainer Erik Mombaerts ist Varanes Aufstieg keineswegs verwunderlich: "Er durchlebt den ganz normalen Werdegang eines Wunderkindes. Und er ist eins. Sein Talent ist außergewöhnlich. Natürlich braucht man in so einem Alter auch Glück, aber man muss erst mal mit dem Druck fertig werden, als 18-Jähriger im Bernabeu keinen Fehler zu machen."
Carvalho lobt Varane als "großartigen Verteidiger, der schon eine enorme Sicherheit ausstrahlt." Ein starkes Kopfballspiel, Schnelligkeit und eine gut ausgebildete Technik machen aus Varane einen kompletten Abwehrspieler.
"In Frankreich wird in der Jugendarbeit viel Wert auf die Defensive gelegt. Wir haben Weltstars wie Didier Deschamps, Lilian Thuram oder Marcel Desailly ausgebildet. Raphael könnte der nächste werden. Vielleicht ist er sogar etwas besser als Desailly", sagt Mombaerts.
Mourinho verlangt einfache Dinge
Die Eingewöhnungszeit in Madrid verlief für Varane dank einiger Landsleute problemlos. "Zidane hat mich nach Madrid gelockt und hilft mir, mich hier zurechtzufinden. Ich unternehme viel mit Karim Benzema und Lass Diarra. Ich profitiere vor allem von ihrer Erfahrung. Ich habe ja als 18-Jähriger noch gar keine Ahnung vom Leben. Madrid und vor allem Real ist schon eine andere Welt. Ich war schon nervös, als ich zum ersten Mal auf dem Madrider Flughafen gelandet bin", sagt Varane mit angenehmer Bescheidenheit.
Seine Familie ist, so oft es geht, bei ihm. Sein Vater stammt aus Martinique und ist auch sein Berater, mit seinem Bruder Anthony spielt Varane gerne Playstation.
In der täglichen Arbeit profitiert Varane nach eigener Aussage von den "hochprofessionellen Methoden", die Mourinho im Training anwendet.
"Er weiß genau, was mir noch fehlt. Wir machen keine verrückten Dinge im Training. Das einzige, worum Mourinho mich bittet, ist keine Fehler zu machen und permanent voll konzentriert zu sein. Er fordert mich auf, die einfachen Dinge richtig zu machen und auf dieser Basis meine Qualitäten zu verbessern."
Parallele zu Davide Santon
Auch wenn Varane beim 4:0 bei Espanyol Barcelona erstmal wieder auf der Bank saß, hat er gute Aussichten, langfristig zum Stammpersonal zu gehören. Als Trainer von Inter Mailand warf Mourinho den ebenfalls 18-jährigen Davide Santon ins kalte Wasser und vertraute ihm bedingungslos.
"Wenn ein 18-Jähriger bereits ein Mann ist, ist es für einen Trainer leicht, auf ihn zu setzen. Außerhalb des Platzes ist Davide unauffällig, auf dem Grün das genaue Gegenteil", urteilte Mourinho damals über Santon.
Über Varane sagt Mourinho: "Er ist enorm fit und hat bis jetzt überzeugt. Er war in den ersten Spielen so gut, dass es für ihn schwer werden wird, sich noch zu steigern. Allerdings muss er noch an seinem taktischen Verständnis arbeiten."
(Noch) kein Interesse an der Nationalelf
Frankreichs Nationalcoach Laurent Blanc zog in Erwägung, Varane für die letzten EM-Quali-Spiele der Equipe Tricolore gegen Albanien (3:0) und Bosnien-Herzegowina (1:1) zu nominieren. Die Nationalmannschaft ist für Varane aber noch weit weg.
"Ich mache mir keine Gedanken über die Nationalelf. Das interessiert mich im Augenblick nicht. Ich konzentriere mich auf das, was jetzt passiert. Wenn ich einberufen werden würde, wäre das eine tolle Sache. Aber ich bin nicht besessen, für Frankreich zu spielen. Ich möchte mich erst mal im Verein stabilisieren", so Varane.
Auf Reals größten Spieler aller Zeiten kann er jedenfalls zählen. Ehrenpräsident Alfredo di Stefano sagt über Varane: "Wenn Raphael genug Spielpraxis bekommt und im Rhythmus bleibt, wird er Real Madrid noch viel Freude bereiten."
Real Madrid: Kader, Termine, Ergebnisse