"Vom kleinen Blonden nicht viel übrig"

Tim Noller
07. Januar 201412:33
Ivan Rakitic soll angeblich von Manchester United und dem FC Arsenal umworben seingetty
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Sieben Tore und acht Vorlagen in der Hinrunde - Ivan Rakitic spielte als Kapitän des FC Sevilla in der Primera Division eine herausragende Saison. Das rief bereits einige hochkarätige Interessenten auf den Plan. Rakitic spricht im Interview über seine Wandlung zum Topscorer, die Gerüchte um seine Zukunft und den Skandal um Josip Simunic, seinen Teamkollegen in der Nationalmannschaft Kroatiens.

SPOX: Herr Rakitic, wie haben Sie die Weihnachtstage verbracht?

Ivan Rakitic: Ich habe die Zeit mit meiner Frau und meiner kleinen Tochter in Spanien in Sierra Nevada verbracht, auf einem kleinen Berg. Ich hatte Lust auf ein bisschen Schnee, das ist ja in Spanien etwas schwieriger umzusetzen als in Deutschland.

SPOX: Spanien statt Urlaub in der Schweiz oder in Kroatien - ist das Land nach knapp drei Jahren schon Ihre Heimat geworden?

Rakitic: Das kann man so sagen. Ich bin hier sehr glücklich. Meine Frau kommt aus Sevilla und auch meine Tochter ist hier auf die Welt gekommen. Deshalb fühle ich mich sehr mit Spanien und speziell Sevilla verbunden.

SPOX: Sie haben sieben Tore in 15 Ligaspielen erzielt und dazu acht weitere Treffer aufgelegt. Ist möglicherweise das Familienglück ein Grund für Ihre herausragende Hinrunde?

Rakitic: Das könnte sein. Wenn zu Hause alles stimmt und man ein glückliches Privatleben führt, geht das Fußballerische auch einfacher. Meine Familie gibt mir sehr viel Kraft, aber auch Mut und Willen - und natürlich sehr viel Liebe.

SPOX: Das wird aber nicht die einzige Erklärung für Ihre beeindruckende Entwicklung sein.

Rakitic: Seit Saisonbeginn trage ich als Kapitän auch mehr Verantwortung. Zudem haben wir mit Unai Emery einen neuen Trainer bekommen, der andere Ideen einbringt. Da kommen gewisse Dinge zusammen, die alle ihren Anteil an der guten Leistung haben.

SPOX: Wie arbeitet es sich mit Emery?

Rakitic: Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu unserem Trainer. Wir reden täglich über verschiedene Themen in der Mannschaft. Ich denke, dass ich dadurch einen großen Schritt nach vorne gemacht habe. Wenn man das Vertrauen vom Trainer und Verein spürt, ist das sehr wichtig. Das möchte ich auf dem Platz zurückgeben.

SPOX: Das klingt nur noch wenig nach dem "kleinen Blonden aus der Schweiz", wie Sie sich während Ihrer Zeit auf Schalke selbst bezeichneten.

Rakitic: Vom kleinen Blonden ist ehrlich gesagt nicht mehr viel übrig. Ich habe die komplette Verantwortung für die Mannschaft. Alle Leute im Verein sind mit mir und meinem Führungsstil sehr zufrieden. Die Position im Spiel und in der Mannschaft ist komplett anders. Das hat nicht mehr viel mit früher zu tun.

SPOX: Früher waren auch nicht Manchester United und der FC Arsenal hinter Ihnen her. Sevilla will aber trotz der Gerüchte um einen Abgang mit Ihnen verlängern. Wie sehen Ihre Karriereplanungen aus?

Rakitic: So weit denke ich nicht voraus. Ich bin ein Mensch, der sich kurzfristige Ziele steckt. Die Leute wissen, dass ich hier sehr zufrieden bin. Mein Vertrag läuft noch eineinhalb Jahre, es gibt also keinen Stress. Die Fans und Verantwortlichen sehen, dass ich mich voll reinhänge. Ich lebe den Fußball hier, lebe die Stadt. Daher ist es eine große Ehre, von der Vereinsführung ein solches Signal zu erhalten. Mal sehen, was kommt.

SPOX: Würde Sie England denn reizen?

Rakitic: Im Moment reizt mich nur Sevilla. Über andere Mannschaften und Länder mache ich mir keine Gedanken.

SPOX: Erfolge, zumindest auf nationaler Ebene, scheinen mit dem FC Sevilla derzeit allerdings unmöglich. Die Dominanz der beiden Topteams ist schon seit längerer Zeit ein Problem in der Primera Division. Wie sehen Sie die Kräfteverhältnisse in Spanien?

Rakitic: Atletico Madrid zeigt in diesem Jahr, dass es möglich ist, an die Großen ranzukommen. Vor zwei Jahren waren sie noch Neunter. Ihr Kader hat sich seitdem nicht sehr verändert und dennoch sind sie an Real und Barcelona herangerückt. Deshalb denke ich, dass man mit einer guten Arbeit und mit konkreten Zielen aufschließen kann. Auch wenn es aufgrund ihrer ungeheuren Macht und Kraft im europäischen Fußball unglaublich schwer ist.

Teil II: Rakitic über Chaos auf Schalke und das WM-Aus für Simunic

SPOX: Ähnlich stellt sich die Situation in der Bundesliga dar, dort zieht der FC Bayern an der Spitze einsam seine Kreise. Glauben Sie, dass andere Klubs wieder näher an den Rekordmeister heranrücken können?

Rakitic: Ich hoffe es. Gegen Manchester City zum Beispiel haben sie ja auch verloren, obwohl schon alle davon ausgingen, dass das Team unschlagbar sei. Derzeit hat man allerdings schon das Gefühl, dass die einsam Bayern vorneweg spazieren. Trotzdem: Auch Details können Spiele entscheiden und ich hoffe, dass es alles wieder mehr zusammenrückt.

SPOX: Die Bundesliga interessiert Sie schon immer noch, oder?

Rakitic: Klar, ich schaue mir die Spiele gerne an. Schließlich habe ich mit meinen Nationalmannschaftskollegen wie Ivica Olic oder Mario Mandzukic sehr viel Kontakt. Auch mit Manuel Neuer tausche ich mich regelmäßig aus.

SPOX: Warum regiert auf Schalke so häufig das Chaos?

Rakitic: Weil die Leute den Klub leben und lieben. Das ist übrigens mit dem FC Sevilla zu vergleichen. Es ist für Außenstehende teilweise schwer nachzuvollziehen, aber alle wollen immer nur das Beste für den Verein. Ich hoffe, dass jetzt Ruhe einkehrt und sie ihre Ziele erreichen werden. Wenn man dazu fähig ist, Kevin-Prince Boateng in den Verein zu holen, zeigt das auf jeden Fall die Stärke und Macht des ganzen Vereins.

SPOX: Marko Marin und Piotr Trochowski spielen inzwischen mit Ihnen in Sevilla. Wie eng ist Ihr Draht zu den ehemaligen deutschen Nationalspielern?

Rakitic: Die beiden kenne ich ja noch aus der Bundesliga. Vor allem mit Marko bin ich gut befreundet. Wir sind oft gemeinsam unterwegs und ich versuche ihm das Leben in Sevilla einfacher zu machen.

SPOX: In Sevilla scheint er wieder zu alter Stärke zurückfinden zu können.

Rakitic: Marko ist ein Spieler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Leider ist er derzeit verletzt, aber er arbeitet hart und gut. Wir hoffen, dass wir ihn bald wieder auf dem Platz sehen, denn die Mannschaft braucht ihn.

SPOX: Zum Beispiel für die Europa League. Dort geht es Ende Februar gegen NK Maribor. Hält sich angesichts eines solchen Gegners die Vorfreude in Grenzen?

Rakitic: In Europa zu spielen und sich auf internationalem Niveau zu beweisen, ist für einen Spieler immer das Schönste. Trotzdem muss ich zugeben, dass wir in allen sechs Gruppenspielen nie die Top-Elf auf dem Platz hatten. Ich denke, das ist auch ganz normal. Dennoch möchte man sich auch in diesen Spielen beweisen und läuft motiviert auf.

SPOX: Duelle im Camp Nou oder im Estadio Bernabeu stellt man sich zumindest interessanter vor. In der Hinrunde haben Sie in beiden Fußballtempeln getroffen.

Rakitic: Das waren Tore wie alle anderen auch. Ob wir gegen Real, Barca oder Rayo Vallecano spielen, macht für mich keinen Unterschied. Die Mannschaft steht immer im Vordergrund. Ich werde weiterhin dafür arbeiten, mit dem einen oder anderen Tor und Assist zum Erfolg beizutragen.

SPOX: Den krönenden Abschluss der Saison stellt die WM in Brasilien dar. Am 12. Juni treffen mit Kroatien im Eröffnungsspiel auf Gastgeber Brasilien.

Rakitic: Einen schöneren Anfang gibt es überhaupt nicht, auch wenn natürlich Druck mit dabei ist. Wir werden uns richtig vorbereiten, haben große Ziele und möchten erst einmal die Gruppenphase überstehen. Gegen den Gastgeber wollen wir natürlich gleich unsere Stärke demonstrieren. In Kroatien wird viel über das Eröffnungsspiel gesprochen, weil es für unser Land etwas sehr Besonderes ist, auf einer solch großen Bühne zu spielen. Die Stimmung wird außergewöhnlich sein. Darauf müssen wir uns einstellen.

SPOX: Um ein Haar hätten Sie sich gar nicht für die Endrunde qualifiziert. Im Playoff-Hinspiel spielten Sie gegen Island nur remis.

Rakitic: Die Erleichterung nach dem 2:0 im Rückspiel war riesengroß. Die Ziele und WM-Träume, alles spielte eine Rolle, auch ein bisschen Angst. Aber wir waren bereit und haben am Ende auch verdient gewonnen.

SPOX: Wie muss man sich die Vorbereitung auf ein solch wichtiges Spiel vorstellen?

Rakitic: Man muss alles ausblenden und darf sich nicht zu viele Gedanken machen. Es ist extrem wichtig, sich voll auf das Spiel zu konzentrieren. Wir wussten, dass wir die bessere Mannschaft sind und haben das zum Glück auch auf dem Platz gezeigt.

SPOX: Nach dem Schlusspfiff löste Josip Simunic große Empörung aus. Ihm wird vorgeworfen, nationalistische Parolen skandiert zu haben. Die FIFA sperrte ihn für zehn Spiele. Können Sie uns den kroatischen Nationalstolz bitte etwas näherbringen?

Rakitic: Das hat überhaupt nichts mit Leuten außerhalb Kroatiens zu tun, sondern nur mit der Liebe zu Kroatien. Er weiß, dass er es nicht hätte tun sollen. Aber aus der Emotion heraus wollte er die Liebe zu seinem Heimatland ausdrücken. Er wollte einfach zeigen, dass er glücklich ist.

SPOX: Sie verstehen seine Äußerungen also nicht nationalistisch? SPOX

Rakitic: Nein, mit Nationalismus hat das nichts zu tun. Es ging nur darum, seinen Stolz zu zeigen, mit dem Team die WM-Teilnahme geschafft zu haben. Deshalb hat mich die Entscheidung geschockt. Vor allem weil man ihn nicht einmal zu einer Anhörung eingeladen hatte. Ich hoffe, dass die FIFA ihre Entscheidung noch einmal überdenkt und Josip doch noch an der WM teilnehmen darf.

SPOX: Während der WM werden Sie mit Kroatien in der gleichen Stadt wie das DFB-Team untergebracht sein. Haben Sie von den Diskussionen rund um das "Campo Bahia" etwas mitbekommen?

Rakitic: (lacht) Das habe ich gelesen, ja. Der DFB hat natürlich mehr Möglichkeiten als der kroatische Verband. Es ist doch super, wenn man sich den besten Standort auswählen kann. Zumal die Reisen zu den Stadien sehr lang sind.

Ivan Rakitic im Steckbrief