Flucht aus dem Zwielicht

Von Daniel Reimann
Sandro Rosell (M.) ist als Präsident des FC Barcelona zurückgetreten
© getty

Falsche Zahlen und wirre Klauseln: Unregelmäßigkeiten beim Neymar-Deal kosteten Barcelonas Präsident Sandro Rosell zuerst die Sprache, dann den Kopf. Es ist nicht das erste Mal, dass Rosell im Zwielicht steht. Besonders seine Verbindungen zu einem dubiosen Ex-Funktionär sind seit Jahren umstritten.

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"Der FC Barcelona hat heute dem zentralen Ermittlungsgericht von Madrid eine eidesstattliche Erklärung vorgelegt. Darin wird gefordert, die von einem Klubmitglied vorgebrachte Klage, welche den Transfer von Neymar da Silva Santos Junior betrifft, nicht zuzulassen. Die eingereichte Erklärung fordert, die Klage abzuweisen, da es keinerlei illegale Handlungen bei den ursprünglich darin beschriebenen Vorgängen gab."

Mit diesen Worten wehrte sich der FC Barcelona in einem offiziellen Statement gegen die Klage von Klubmitglied Jordi Cases. Der hatte die Causa Neymar vor Gericht gebracht. Diverse Unregelmäßigkeiten in den Verträgen ließen den Verdacht der Veruntreuung und falscher Angaben aufkommen.

Barcelona zerstreute all diese Vorwürfe am 13. Januar in jener Mitteilung. Zehn Tage später trat Präsident Sandro Rosell zurück. Er selbst hatte den Neymar-Deal einst eingefädelt und höchstpersönlich im Juni 2013 zu Ende gebracht.

Sein Rücktritt nährt den Verdacht, dass es rund um Neymars Verpflichtung tatsächlich (gesetzeswidrige) Unregelmäßigkeiten geben könnte. Wer diese ergründen will, muss sich mit einem wirren Geflecht aus Verträgen und Vereinbarungen, Zugeständnissen und Zahlungen auseinandersetzen.

Neymar: 95 statt 57 Millionen?

Der zuletzt populär gewordene Vorwurf, Neymar habe anstelle der offiziell verkündeten 57,1 Millionen Euro deutlich mehr gekostet, bildet dabei den zentralen Ansatzpunkt. Laut der spanischen Tageszeitung "El Mundo" belaufen sich die Kosten für Neymar auf insgesamt rund 95 Millionen Euro.

Die offiziellen Zahlen sind schnell erklärt: 40 Millionen Euro gingen an die Agentur N&N, die die Transferrechte an Neymar besaß. N&N steht - wenig überraschend - für Neymar senior & Neymar junior. Jene 40 Millionen Euro gingen quasi als Handgeld direkt in die Tasche der Familie Neymar.

Darüber hinaus kassierte sein damaliger Klub, der FC Santos, eine Ablöse in Höhe von 17,1 Millionen Euro. So weit, so gut. Doch die von "El Mundo" veröffentlichten Zahlen gehen weit darüber hinaus.

Handgelder und Provisionen

Demnach seien noch zahlreiche zusätzliche Vereinbarungen vertraglich festgehalten worden, die Barcelona eine ordentliche Stange Geld kosteten. Angefangen bei einem 10 Millionen Euro starken Handgeld, das die Neymars schon 2011 erhielten, damit sich das Supertalent bloß nicht eines Tages gegen Barca entscheidet.

Eine nette Geste, die einer Art mündlichem Vorvertrag gleichkommt. Für Barcelona ein wichtiger Trumpf im Kampf um Neymar, hatten doch auch Real Madrid, Manchester City und der FC Bayern bis zuletzt ebenfalls ihre Finger im Spiel.

Auch Neymar Senior profitierte vom Deal seines Sohnes offenbar deutlich stärker als bisher angenommen. Neben einer Provision von schlanken 8,5 Millionen Euro streicht er offenbar jährlich einen fünfprozentigen Anteil von Neymars Gehalt zusätzlich ein. Bei einem geschätzten Salär von 54 Millionen Euro bis 2018 blieben Papa Neymar immerhin insgesamt 2,7 Millionen.

Weiterhin sicherte sich Barca Kaufoptionen für drei Santos-Talente (7,9 Millionen) und gestand dem FC Santos zwei Freundschaftsspiele im Wert von je 4,5 Millionen Euro zu.

Geheimhaltungsklausel zu Extrazahlungen

Insgesamt belaufen sich die von "El Mundo" enthüllten und von Barcelona verschwiegenen Zusatzzahlungen auf 38,1 Millionen Euro. Macht insgesamt gut 95 Millionen Euro - und Neymar hätte plötzlich den ebenso beeindruckenden wie fragwürdigen Titel des teuersten Spielers der Welt.

Darüber hinaus könnte Neymar in Wahrheit auch der bestbezahlte Spieler bei Barcelona sein. In seinem Vertrag seien umfangreiche Bonuszahlungen festgelegt, die beim Erreichen kollektiver oder individueller Ziele fällig würden. Laut "Cadena Ser" winken Neymar alleine für die Champions-League-Qualifikation mit Barca 637.500 Euro, die Wahl zum Weltfußballer würde ihm 425.000 Euro einbringen. Insgesamt könnte Neymar so angeblich bis zu 18 Millionen Euro im Jahr verdienen.

Dass diese Details erst jetzt ans Licht kommen, mag auf den ersten Blick überraschen. Doch laut "El Mundo" wurde im Vertrag zu den Extrazahlungen auch eine Geheimhaltungsklausel festgehalten. Darin heißt es: "Die Existenz dieses Vertrags und alle seine Bedingungen sind streng vertraulich und dürfen nicht ohne Zustimmung der anderen Partei offengelegt werden."

Angesichts des laufenden Verfahrens sah sich der FC Barcelona jedoch gezwungen, sämtliche in Zusammenhang mit dem Neymar-Deal relevanten Dokumente dem Ermittlungsgericht vorzulegen. Dass es so weit kam, liegt an Vereinsmitglied Jordi Cases.

Trotz Klage: "Alles sauber und legal"

Der bemängelte fehlende Transparenz bei den Geldflüssen in der Causa Neymar. Dass nun die Vermutung aufkommt, Rosell könne Gelder veruntreut haben, wollte Cases mit seiner Klage ursprünglich gar nicht bewirken: "Ich werfe Rosell nicht vor, Geld in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben", betonte er. Er wolle nur, dass den Mitgliedern die Wahrheit eröffnet werde.

"Wenn der Klub mir gesagt hätte, dass die Zahlungen notwendig waren, weil die Neymar-Verpflichtung sonst gescheitert wäre, hätte ich mich damit zufrieden gegeben" so Cases weiter. Es hätte so einfach sein können...

Doch es gab ja eine Verschwiegenheitsklausel. Also schwieg Rosell. So lange, dass er nun ein Verfahren am Hals hat, das ihn den Kopf kostete. Ausgerechnet wegen seines Königstransfers Neymar. "Alles ist absolut sauber und absolut legal", hatte er selbst geschworen. Bereitwillig händigte er dem Gericht die Dokumente aus, "denn wir haben nichts zu verstecken."

Rosell nicht zum ersten Mal im Zwielicht

Dabei wäre es nicht das erste Mal, dass Rosell ins Zwielicht rückt. Begonnen bei vergleichbar "kleineren" Angelegenheiten, wie dem umstrittenen Qatar-Deal oder seinen Beziehungen zu den Boixos Nois, einer größtenteils rechtsradikalen Hooligangruppe von Barcelona.

Diese wurde einst von Rosells ehemaligem Jugendfreund und heutigem Lieblingsfeind, Ex-Barca-Vize Joan Laporta, aus dem Stadion verbannt. Rosell hingegen hatte sich im Zuge einer Umgestaltung der Kurve dafür eingesetzt, den Boixos Nois wieder Zugang zum Stadion zu gewähren. Als seine Agitation bekannt wurde, ruderte er aufgrund des starken Gegenwindes zurück.

Weitaus umstrittener und vor allem dubioser dürfte seine Rolle in einem Betrugsfall sein, weswegen er im Frühjahr vergangenen Jahres in Brasilien angeklagt wurde. Bei der Ausrichtung eines Testspiels zwischen Brasilien und Portugal anno 2008 soll sich Rosell öffentliche Gelder selbst in die Tasche gesteckt haben.

Acht Jahre Knast gefordert

Seine eigene Marketingagentur "Ailanto" organisierte die Ausrichtung der Partie anlässlich der Neueröffnung der Bezerrao-Arena in Brasilia. Diese Agentur deklarierte den finanziellen Aufwand angeblich deutlich höher, als er tatsächlich war. Großzügig beteiligte sich der Distrikt Brasilia mit neun Millionen brasilianischen Reals, was etwa 3,8 Millionen Euro entspricht.

Der damalige Gouverneur von Brasilia, Jose Roberto Arruda, sitzt längst wegen Korruption im Knast. Und im Fall Rosell forderte die örtliche Staatsanwaltschaft eine achtjährige Gefängnisstrafe. Das Verfahren dauert bis heute an.

Noch pikanter in jenem Fall ist jedoch die Verwicklung einer bestimmten Person: Damals soll auch ein gewisser Ricardo Teixeira mitgewirkt haben. Teixeira gilt als Rosells zentrale Bezugsperson in Brasilien, beide verbindet eine enge Freundschaft.

Verbindungen zu dubiosem Ex-Funktionär

Doch Teixeira war nicht nur jahrelang Mitglied im Exekutivkomitee der FIFA und Präsident des brasilianischen Verbandes. Teixeira war und ist vor allem Protagonist zahlreicher Verfahren in Sachen Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung.

Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene bereicherte er sich jahrelang ungehindert auf Verbandskosten. 2011 gab er gar ein Interview, in dem er seine Unantastbarkeit mit den Worten, er könne "jede Untat begehen, die ich will", unterstrich.

Doch damit überschätzte sich Teixeira. Mittlerweile wird selbst in seinem Heimatland gegen ihn ermittelt. Teixeira habe Schmiergelder in Millionenhöhe vom berüchtigten Sportrechtehändler ISL kassiert.

Der 66-Jährige ließ ausrichten, er rechne nicht mit einer Verurteilung. Vorsichtshalber setzte er sich aber - auf Anraten von Rosell - ins Steuerparadies Andorra ab, da das Fürstentum kein Auslieferungsabkommen mit Brasilien geschlossen hat. Allerdings wurde sein dortiges Visum nicht verlängert. Teixeira muss sich für den Fall einer Verurteilung einen neuen sicheren Hafen suchen.

"Wir klären das vor Gericht"

Für seine Verbindungen zu Teixeira wurde Rosell schon häufiger kritisiert, doch gesetzeswidrige Handlungen wurden ihm nie nachgewiesen. Auch seine Geschäfte finanzieller Natur in Brasilien rückten schon manches Mal ins Zwielicht. Die Gerüchte um Geheimzahlungen des brasilianischen Verbandes an von Rosell geleitete Unternehmen wurden ihm jedoch nie gefährlich.

"Ich weiß nicht, ob ich etwas erklären soll, was ich in meinem Privatleben getan habe, bevor ich Präsident von Barcelona wurde", wehrte sich Rosell. Und überhaupt: "Wer auch immer mich anzeigen oder anklagen will, kann das tun. Wir klären das dann vor Gericht."

Dort ist er nun tatsächlich gelandet. Doch nicht als Privatmann. Sondern als Barcelonas Präsident a.D.

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