Pablo Escobar und Falcaos Schatten

Von Adrian Bohrdt
James Rodriguez wird bei Real Madrid die Nummer zehn erhalten
© getty

Spätestens bei der WM in Brasilien ging sein Stern auf, James Rodriguez begeisterte die Fußball-Welt und wurde Torschützenkönig. Jetzt geht es für den erstaunlich reifen Youngster, der trotz seiner steilen Karriere nie abgehoben ist, zu Real Madrid. Es ist die Geschichte eines schüchternen, stotternden Jungen, der über einen ehemaligen Partner von Pablo Escobar auf die große Fußball-Bühne kam.

Cookie-Einstellungen

Rückblick, Januar 2004: Bei der Pony Futbal Championship, einem seit 1985 im Kolumbien jährlich ausgetragenen und renommierten Fußballturnier für die U-13-Klassen, ging der Stern des elfjährigen James Rodriguez auf.

Das Turnier genießt in Kolumbien höchste Anerkennung, über 30.000 kommen im Schnitt ins Stadion, es wird landesweit übertragen und die Scouts und Talentspäher treten sich gegenseitig auf die Füße.

Als Torschützenkönig und Spieler des Turniers weckte Rodriguez dadurch logischerweise Begehrlichkeiten - und zwar nicht von irgendwem. Gustavo Adolfo Upegui Lopez, der einst Beziehungen zum berüchtigten Drogenbaron Pablo Escobar unterhielt und in den späten 90er Jahren wegen Kidnapping und der Organisation paramilitärischer Gruppen für 21 Monate ins Gefängnis musste, wollte den Knirps unbedingt verpflichten.

"James kann nicht verlieren"

Sein Stiefvater Juan Carlos Restrepo hatte Rodriguez ursprünglich als Fünfjährigen zum Fußball mitgenommen. Da der kleine James von den japanischen Fußball-Cartoons begeistert war, wollte er unbedingt selbst spielen und schon damals konnte er es nicht ertragen zu verlieren.

"Der Junge hat jedes Spiel so gespielt, als wäre es das letzte seines Lebens", blickte sein damaliger Trainer Armando Calderon zurück und James' Mutter Pilar Rubio fügte hinzu: "James kann nicht verlieren. Nicht mal auf der Playstation."

Auf Lopez' nachhaltiges Werben hin folgte schließlich der erste große Wechsel in der Karriere des schüchternen Youngsters, der als Kind leicht stotterte und stets eher zurückhaltend war. Es ging nach dem Jugendturnier zum FC Envigado, dessen Präsident und Anteilseigner der einstige Escobar-Geschäftspartner mittlerweile war.

Der Klub konnte mit einer herausragenden Nachwuchsabteilung punkten, doch für den ehrgeizigen Rodriguez war das nicht genug: Er nahm sich zusätzlich bezahlte Extrastunden bei dem anerkannten Trainer Omar Suarez, im Alter von nur 15 debütierte er schließlich als Profi.

Internationaler Durchbruch in Argentinien

Mit 17 dann machte Rodriguez erstmals international auf sich aufmerksam. Der Offensivmann wechselte zu Atletico Banfield nach Buenos Aires und führte den Klub prompt zum ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte. "James war ein elementarer Bestandteil unseres Teams, das den Titel gewann und danach groß in der Copa Libertadores aufspielte", erinnerte sich sein früherer Coach im Süden von Buenos Aires, Julio Falcioni.

Schon mit 17 sei er ein Spieler mit "großer Technik und einer guten Physis" gewesen, "dank der er mit den Profis mithalten konnte. Und er reagierte immer auf die taktischen Anweisungen."

Rodriguez wurde zum jüngsten Ausländer aller Zeiten in Argentiniens Eliteklasse und eroberte das fußballbegeisterte Land im Sturm.

Falcioni war bereits damals sicher: "Er wird mit Kolumbiens Nationalmannschaft etwas ganz Besonderes vollbringen." Er sollte Recht behalten.

Schüchtern, bodenständig - Familienvater

Obwohl er zu dem Zeitpunkt längst ein Star in Südamerika war, und stets zu den am meisten beobachteten Spielern seines Landes gehört hatte, blieb Rodriguez zumindest zu einem gewissen Grad der schüchterne Junge aus dem kolumbianisch-venezolanischen Grenzgebiet.

Er war nach wie vor ein zurückhaltender Spieler, der abseits des Platzes gerne im Hintergrund blieb und sich Stabilität wünschte.

Fast folgerichtig heiratete James bereits als 19-Jähriger seine Freundin Daniela Ospina. Die Schwester von Kolumbiens Nationalkeeper David Ospina, eine gute Volleyballerin, hatte er bei einem Sportevent während seiner Zeit in Buenos Aires kennen gelernt. Zunächst führten sie eine Fernbeziehung, mittlerweile haben sie eine einjährige Tochter, der Rodriguez jedes Tor mit seinem Jubel widmet.

Darüber hinaus ist er seit Jahren sozial überaus engagiert, hat mehrere Stiftungen und übernimmt Verantwortung. Eine Einschätzung, die Kolumbiens Trainer Jose Pekerman während der WM auch fußballerisch bestätigte: "Man erwartet von solchen jungen Spielern gute Technik, aber er ist auch enorm darin gewachsen, Verantwortung zu übernehmen. Es ist erstaunlich, dass ein Spieler seines Alters kein Problem damit hat, diese Rolle einzunehmen."

Der 23-Jährige hat dabei, wenn auch ungewollt, wertvolle Lektionen von seinem Vater gelernt. Auch Wilson James Rodriguez war einst ein vielversprechendes Talent und spielte in den 80ern in Kolumbiens Junioren-Nationalmannschaft. Doch auch wegen seiner permanenten Probleme mit dem Alkohol konnte er seine Begabungen nie voll entfalten. Als James drei Jahre alt war, verließ er die Familie.

Falcaos Schatten

Trotz seines zurückhaltenden Wesens hielt es Rodriguez letztlich aber auch in Argentinien nicht lange. Im Sommer 2010 wagte er, gut ein Jahr nach seinem Wechsel nach Buenos Aires, den Sprung über den großen Teich.

Gut sieben Millionen Euro überwies der FC Porto für den damals 18-Jährigen, der seine steile Karriere nach kurzen Anlaufschwierigkeiten auch in Europa weiter vorantrieb - und gleichzeitig das Leben neben dem Platz nie vernachlässigte: In Porto lernte Rodriguez Englisch und machte seinen Abschluss in Anlagentechnik. Darüber hinaus kaufte er vor Ort ein Restaurant, das er bis heute betreibt.

Sportlich brauchte er ein halbes Jahr, ehe er sich in der Startelf festgespielt hatte. Doch dann folgten drei portugiesische Meistertitel, der Pokalsieg sowie der Triumph in der Europa League 2011. Hier begann ein Kapitel in seiner Karriere, das sich bis heute durchzieht: Das Einspringen für Superstar Radamel Falcao. Der Stürmer verließ Porto 2011, Rodriguez scheute sich nicht, in die Fußstapfen seines Landsmannes zu treten.

Der spielstarke und für sein Alter ungewöhnlich reife Offensivmann hatte sich einmal mehr in die Notizblöcke der Konkurrenz gespielt, und so folgte im vergangenen Sommer der Wechsel nach Monaco - für 45 Millionen Euro. Auch hier traf er wieder auf Falcao, und auch hier musste er den Stürmer nach kurzer Zeit infolge dessen Kreuzbandrisses ersetzen. Mit Erfolg: Kein Spieler in der Ligue 1 bereitete in der Vorsaison mehr Tore vor als Rodriguez.

Schwieriger Start ins Nationalteam

Komplettiert wurde der Rodriguez-Falcao-Hattrick dann bei der WM, als der Youngster erneut für den Leader einspringen musste. Dabei hatte der 23-Jährige zunächst einen schweren Stand bei den Los Cafeteros: Zwar gelang Rodriguez nach der U-20-WM 2011 der Sprung in die Nationalmannschaft und das Debüt verlief durchaus nach Maß, in La Paz bereitete er gegen Bolivien den Siegtreffer vor.

Doch in den folgenden Monaten spielte er zunächst keine größere Rolle mehr. Der schüchterne James schien noch Probleme mit dem Druck der Landesauswahl zu haben und hatte seinen Platz noch nicht richtig gefunden.

Der Umschwung erfolgte schließlich unter Pekerman. Rodriguez durfte als Spielmacher ran und plötzlich explodierte Kolumbiens ganze Offensive. In Brasilien ersetzte er Falcao dann erneut mit Bravour, wurde völlig unerwartet Torschützenkönig und erzielte gegen Uruguay den schönsten Treffer des Turniers.

Zu Real "mit verbundenen Augen"

Damit hat Rodriguez erneut ein Turnier genutzt, um sich in den Fokus größerer Klubs zu spielen. Dieses Mal in den des wohl größten Klubs überhaupt: Sein Wechsel zu Real Madrid ist perfekt, er wird die legendäre Nummer 10 erhalten und bis 2020 für die Königlichen zaubern.

Mit einer kolportierten Ablösesumme von 80 Millionen Euro, die bei entsprechenden Extras, etwas wenn James Weltfußballer werden sollte, noch anwachsen würde, ist er nach Cristiano Ronaldo, Gareth Bale und Neymar der teuerste Spieler der Welt.

"Zu Real würde ich auch mit verbundenen Augen gehen", hatte er jüngst angekündigt und sprach stets von seinem "Traum-Verein". Dem sympathischen Kolumbianer nimmt man die Aussage, die bei Vereinswechseln heutzutage nur zu gerne als Floskel verwendet wird, ab. Es scheint, als hätte die Reise, die einst bei einem kolumbianischen Kinderturnier begann, ihr vorläufiges Ziel erreicht.

James Rodriguez im Steckbrief

Artikel und Videos zum Thema