Die englische Presse sprach im Frühjahr von Moyes' Niedergang. Nach einem halben Jahr Auszeit ist der Brite auf die Fußballbühne zurückgekehrt. Dass er früher oder später wieder eine Anstellung finden würde, hat niemand bezweifelt.
Wer auf der Insel für einen der größten Vereine des Erdballs zuständig war, hat sich damit quasi Angebote auf Lebenszeit im großen Business Weltfußball gesichert. Daran ändert auch seine desaströse United-Statistik nichts. Dass ihn seine nächste Station aber nach Spanien führen würde, kam äußerst überraschend.
Ein Schotte im Baskenland - per se ein Kulturschock. Moyes trainierte und spielte bisher nur bei Klubs in Großbritannien. Mit dem Wechsel in die Primera Division betritt der 51-Jährige im wahrsten Sinne Neuland.
"Er wird sich schnell daran gewöhnen müssen, dass er nicht nach Spanien reist, sondern ins Baskenland. Real Sociedad hat Traditionen, die auf der baskischen Philosophie basieren und die Menschen dort haben ihre eigene Sprache. Sie würden niemals Spanisch sprechen", kommentierte Roberto Martinez, Moyes spanischer Nachfolger bei Everton, die Schwierigkeiten, mit denen sich sein Vorgänger nun konfrontiert sehe.
United-Last im Rucksack
Doch in San Sebastian erwartet man auch keine großartigen Sprachüberraschungen oder besonderes regionales Vorwissen. Kulturelle Identität? Die kann sich Hoffnungsträger Moyes später noch aneignen. Der Fokus liegt auf der Gegenwart, die nur durch ein Mittel greifbar wird: Punkte. Die Erwartung an Moyes ist simpel und verzwickt zugleich: Er soll das schwächelnde La Real wieder in die oberen Tabellenregionen führen, besser heute als morgen.
Warum aber ausgerechnet Moyes? Abgesehen von landestypischen Differenzen trägt Moyes' Rucksack noch die zentnerschwere United-Vorgeschichte. Ein tiefdunkler Fleck auf der ansonsten unbescholtenen Vita der Everton-Legende. Die Fans und Vereinsoberen feiern ihn trotzdem als Heilsbringer - ein Umstand, der Moyes in den ersten Tagen zu gefallen schien. Balsam für die geschundene Seele.
Die Hoffnung der Basken ruht dabei vielmehr auf dem Namen als auf Moyes jüngster Erfolgsstatistik. Die verdient - jedenfalls für die Ansprüche der Red Devils - allenfalls das Prädikat mau: Die schlechteste Premier-League-Punkteausbeute in der United-Geschichte, die erste gescheiterte Champions-League-Quali seit 1995 und die mieseste Heimbilanz seit mehr als zehn Jahren, um nur einige Fakten zu nennen. Das Moyes-Projekt in Manchester war von Beginn an ein großes Missverständnis.
Warum Moyes?
Bei den "Txuri-Urdin" (zu Deutsch: Weiß-Blaue) ist man dennoch von Moyes' Fähigkeiten überzeugt und zumindest die Vereinsfarben sind für ihn ein gutes Omen. Nimmt man seine Zeit in Everton als Maßstab, so ist das in ihn gesetzte Vertrauen berechtigt: Er baute den Verein elf Jahre lang auf und führte ihn dahin, wo er heute steht. Dass er einen Klub mit durchschnittlichen Mitteln nach vorne bringen kann, hat er also schon bewiesen.
Diese Erfolgsgeschichte soll Moyes bei La Real wiederholen. Zwar verlor der Kader im Sommer mit den Abgängen von Antoine Griezmann und Claudio Bravo an Qualität, jedoch stehen dem neuen Trainer in Carlos Vela, Sergio Canales, Esteban Granero oder Inigo Martinez weiterhin talentierte und spielstarke Akteure zur Verfügung.
Dass man an ihn glaubt, vermittelte ihm der Verein von Beginn an: "Der größte Grund, weshalb ich hier bin, war die Überzeugungsarbeit des Präsidenten. Er war so entschlossen, mich zu verpflichten und hat mich stark von dem überzeugt, was er hier macht", sagte Moyes bei seinem Amtsantritt.
Jetzt muss er aber auch liefern. Ein 15. Tabellenplatz mit nur zwei Siegen aus elf Spielen, wie ihn der geschasste Jagoba Arrasate hinterlassen hat, ist definitiv nicht der baskische Anspruch. In der letzten Saison verpasste das Team nur aufgrund der schlechteren Tordifferenz gegenüber Villarreal die Europa League. Der erfahrene Moyes wurde geholt, um die Weichen wieder gemäß der Ansprüche zu stellen.
Warum Real Sociedad?
Doch was macht die Übersee-Aufgabe für ihn so reizvoll? Moyes will mit seinem Manchester-Alptraum abschließen - und zwar so rasch wie möglich. Daher kam die Anfrage aus San Sebastian gerade recht. Nicht, dass der Coach in den letzten Wochen verzweifelt auf Jobsuche gewesen wäre, aber die Arbeit mit Sociedad eröffnet ihm die Möglichkeit, sein in Mitleidenschaft gezogenes Image wieder aufzupolieren - schneller als gedacht.
Aus diesem Grund hat Moyes über offensichtliche Ungleichheiten hinweggesehen. Das öffentliche An-den-Pranger-Stellen in Manchester hat den stolzen Schotten gekränkt. Mit stärker werdender Kritik wirkte er zusehends blasser und zurückhaltender. Am Ende seiner Amtszeit war er ein gebrochener Mann, der sich nur kleinlaut mit einem Mangel an Zeit rechtfertigte.
Zeit wird aber auch bei "Erreala" ein Faktor sein. Diese stellt man ihm (noch) nicht bereitwillig zur Verfügung. Zwar soll Moyes von Beginn an erste Wahl gewesen sein, Knackpunkt war jedoch angeblich die Vertragsdauer. Demnach wollte der Coach einen langfristigen Kontrakt, Präsident Jokin Aperribay zögerte aber zunächst noch. Letztlich einigten sich beide Seiten auf einen Vertrag bis Ende der nächsten Saison.
Ungleiches Risiko
Für beide Parteien birgt die Vertragsunterschrift ein gewisses Risiko, das für den Trainer aber bedeutend höher ist: So sehr Moyes es schaffen kann, durch ein erfolgreiches Engagement in Sociedad seine letzte Schmach ein Stück weit vergessen machen, so groß ist auch die Gefahr, sich durch ein weiteres Scheitern noch tiefer in den Schlamassel zu treiben. Dessen ist er sich bewusst und trotz des großen Drucks setzt er alles auf diese eine Karte.
Als Vorbild dienen ihm prominente Beispiele: "Einige der größten Trainer, die Großbritannien je hervorgebracht hat, waren in Spanien auch erfolgreich, zum Beispiel Sir Bobby Robson oder Terry Venables. Ich würde nie auf die Idee kommen, mich mit ihnen auf ein Level zu stellen, aber ich hoffe trotzdem, dass ich mir am Ende meiner Zeit hier beweisen konnte, dass ich erfolgreich in Spanien arbeiten kann."
Skepsis vs. Zuspruch
In England stehen viele Experten Moyes' Auslands-Engagement mit Skepsis gegenüber. Doch gerade aus seinem näheren Umfeld erfährt der Neu-Baske auch reichlich Zuspruch: "Die Fans in San Sebastian werden seine Arbeitsweise, Ehrlichkeit und Werte mögen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Zusammenarbeit von Erfolg gekrönt wird", so Roberto Martinez.
Besonderen Wert legt Moyes auf die Worte seines Freundes Sir Alex Ferguson - dem Mann, in dessen Fußstapfen er in England versunken war.
"Ich habe mit Alex gesprochen und ihm gesagt, dass sich diese Möglichkeit bei La Real aufgetan hat. Ich habe ihn auch nach seiner Meinung gefragt und er sagte, dass es eine großartige Möglichkeit für mich sei", so Moyes gegenüber der "Daily Mail". Dass er dieser Tage Rückhalt spürt, tut ihm sichtlich gut.
Der doppelte Wiederaufbau
Auch wenn Moyes beim ersten Training seiner neuen Mannschaft endlich wieder freudestrahlend in Richtung Fans und Kameras winkte, sah man ihn doch immer wieder grübelnd und in Gedanken versunken am Trainingsgelände stehen.
Dass die größte Chance seiner Karriere in einem Desaster endete, nagt verständlicherweise noch an ihm.
Dennoch widmet er sich seiner neuen Aufgabe mit großer Bestimmtheit. An deren Ende steht bestmöglich ein doppelter Wiederaufbau: der von Real Sociedad und der seines eigenen Image.
Moyes ist sich sicher: Diesen Beweis ist er der Fußballwelt und vor allem sich selbst schuldig, um eines Tages möglicherweise noch einmal die Chance bei einem von Europas Granden zu erhalten - und es dann besser zu machen.
David Moyes im Steckbrief