Die Farce nahm ihren Höhepunkt während der Fragestunde. Florentino Perez hatte soeben in einem emotionslos abgelesenen Monolog die Entlassung von Carlo Ancelotti bekanntgegeben. Woran es dem Trainer denn gefehlt hätte, wollte ein Journalist wissen. Perez' Antwort: "Ich weiß es nicht." Nach zwei Jahren sei es schlicht der natürliche Anspruch, einen neuen Impuls zu geben.
Der Präsident eines Weltvereins weiß nicht, weshalb er seinen Trainer entlässt. Obwohl er "über das gesamte Jahr alles aus jeder Perspektive analysiert" habe. Ohne einen sachlichen Grund zu nennen, sägt Perez Ancelotti ab. Womöglich auch, weil sich für diese Entscheidung kaum gute Gründe finden lassen.
Umstände der Entlassung absurd
Klar, da war die titellose Saison. Das CL-Aus gegen Juve, der frühe Knockout in der Copa del Rey gegen Atletico. Ein Verein wie Real Madrid definiert sich über Ruhm, Glanz und Titel. Das Erreichen von Titeln ist die Hauptaufgabe des Trainers, eine Saison ohne Trophäen ein schwerer Rückschlag. Dennoch: Die Umstände, unter denen Ancelotti vor die Tür gesetzt wurde, lassen die Entscheidung absurd erscheinen.
Real flog gegen das womöglich beste Juventus seit 20 Jahren raus, in der Copa scheiterte Madrid am Meistertaktiker Diego Simeone, der letztes Jahr Barca und Chelsea zur Verzweiflung gebracht hatte. Dazu plagten Ancelotti personelle Probleme: Fast die gesamte Saison musste er auf Luka Modric verzichten, der vergangene Saison in der finalen Phase eine tragende Rolle spielte.
Oder Gareth Bale, der gleich mehrere Formtiefs durchlief. Bale, der diese Saison in wichtigen Spielen oft abtauchte. Der gegen kein Team aus den Top 8 der Primera Division traf und in der Königsklasse lediglich gegen Rasgrad (4:0) und Basel (5:1) netzte. Der jedoch niemals zur Disposition stehen darf, weil er einst 91 Millionen Euro gekostet hat.
Ancelotti: erfolgreich, angesehen, ehrlich
Ebenso irrelevant wie die Hürden der titellosen Saison scheinen für Perez Ancelottis Verdienste aus dem Vorjahr zu sein. Der Italiener hatte es nach zwölf Jahren und zehn verbrannten Trainern als erster Real-Coach geschafft, den beinahe hysterisch herbeigesehnten zehnten CL-Titel zu holen. La Decima - der Madridismo war am Ziel seiner Träume. Hinzu kam der Copa-Sieg im Finale gegen Barca.
Erarbeitet durch spektakulären Fußball, den schönsten, den Real Madrid seit Del Bosque jemals spielte. Zum Ende des Jahres stellte Ancelotti mit sagenhaften 22 Siegen am Stück einen neuen Rekord auf.
Doch Ancelotti war nicht nur sportlich erfolgreich. Er folgte auf Mourinho, der in menschlicher Hinsicht verbrannte Erde hinterlassen hatte. Mou hatte Stars gegeneinander ausgespielt und sich mit seinem autoritären Führungsstil am Ende selbst obsolet gemacht.
Ancelotti hat es vollbracht, die menschlichen Zerwürfnisse der Mourinho-Ära zu beseitigen. Er war in der Mannschaft hochangesehen, weil er Spieler fair und aufrichtig behandelte. Vor und nach der Entlassung demonstrierten die Real-Stars via Twitter ihre Rückendeckung für ihren Coach.
Beispielloser Aktionismus
All das spielt für Perez keine Rolle. Für ihn zählt nur das Dogma des ununterbrochenen Titelgewinnens. Eine Saison ohne Trophäen ist in seiner Welt inakzeptabel, für Weitsicht und Geduld bleibt in diesem Schema kein Platz. Perez lebt in einem Luftschluss, das er einst selbst erbaut hat. In das er bisher zehn Trainer hereinbat und wieder verabschiedete. Und in dem er mittlerweile selbst gefangen zu sein scheint.
Anders ist es nicht zu erklären, dass er Ancelotti trotz historischer Verdienste und vielversprechender Perspektive absägte. Vielmehr zeugt die Demission des La-Decima-Trainers von beispiellosem Aktionismus. Dass Perez selbst eine rationale Begründung fehlt, beweist vor allem eines: Er ist längst selbst ein Getriebener seines eigens erschaffenen, weltfremden Dogmas.
Carlo Ancelotti im Steckbrief