Viele Kameras, großes Gedränge und ein Blitzlichtgewitter. Auf der anderen Seite ein Stuhl, ein Tisch, ein Mann. Der Abschied von Iker Casillas aus Madrid hätte nicht weniger königlich sein können. San Iker wurde alleine gelassen mit seinen Tränen, alleine mit einer Meute von Journalisten.
Fragen ließ er gar nicht erst zu. Casillas, in seiner Karriere immer ein bescheidener Profi gewesen, wusste ganz genau, worum sie sich gedreht hätten. Ob er nicht rausgeekelt worden wäre aus dem Verein, gegangen worden, anstatt die Entscheidung über seinen Abgang selbst zu fällen.
Er wollte, ganz der Gentleman, kein schlechtes Wort über den Klub seines Lebens verlieren. Nach 25 Jahren im Trikot der Blancos ist Schluss. Fortan ist das Wappen auf der Brust blau und gehört dem FC Porto. Eine großartige Entscheidung für die Fans aus Portugal, eine starke Verpflichtung von Kumpel Julen Lopetegui.
"Respekt, Kameradschaft, Menschlichkeit"
Die Dragoes bekommen einen Mann, wie er kaum erfahrener sein könnte. Einen Profi auf höchstem Niveau, der sich schnell einleben wird in Mannschaft und Stadt. "Die Entscheidung für Porto fiel aufgrund der Perspektiven, die sie mir aufzeigten. Der Präsident, der Trainer, die ganze Mannschaft", erklärte Casillas.
Die Zukunft liegt für ihn knapp 560 Kilometer entfernt, die Vergangenheit wird er dennoch nie hinter sich lassen. Zu lange hat der Kapitän alles erlebt in der spanischen Hauptstadt. "Wir haben gelacht, geweint, gewonnen, verloren. Dieser Klub hat mich als Person geformt, mir beim Erwachsenwerden geholfen, mit Werten wie Respekt, Kameradschaft und vor allem Menschlichkeit."
Man möchte Casillas nicht unterstellen, dass er diese drei Worte in seiner wohl durchdachten und ruhig vorgetragenen Rede betont, das hat ein Mann wie er nicht nötig. Und doch kann man sich gerade daran aufhängen.
Medien nicht unschuldig
Hätte nicht aus Respekt eine Verabschiedung geplant sein müssen? Hätte nicht aus Kameradschaft jemand neben ihm sitzen müssen? Wäre es nicht aus Menschlichkeit nötig gewesen, dass Präsident Florentino Perez einen Blumenstrauß überreicht?
Natürlich hätte das sein können, wenn nicht sogar müssen. Die Formalitäten hat Reals Führung vermissen lassen. Eines Klubs wie Madrid eigentlich nicht würdig. Doch da stehen sie nur in einer langen Reihe derer, die nicht ganz unschuldig sein dürften am unrühmlichen Abgang einer Legende.
Da sind auf der einen Seite die Medien - egal ob aus Madrid oder Barcelona - die keine Gelegenheit ausließen, ihre Auflage auf Kosten des Torhüters zu verbessern. Interne Informationen habe er an seine Freundin und Journalistin Sara Carbonero weitergegeben, mit Verbündeten im Team rebelliert und gezielt Trainer wie Spieler geschwächt.
Die Stadt Madrid versagt
Dann stehen da die Fans. Die Fans, die ihren eigenen Torhüter in ihrem eigenen Stadion auspfiffen. Die Fans, die bei der Vorstellung von Neuzugang Danilo nicht dessen Namen, sondern den von David de Gea skandierten. Casillas hat das alles mit einer beeindruckenden Ruhe weggesteckt.
Selbst die Spekulationen über finanzielle Forderungen in realitätsfernen Dimensionen an Real Madrid während der letzten Tage hinterlassen nicht mehr als kleine Kratzer am Image des 34-Jährigen. Die Blumen zum Schluss haben gefehlt, das ohne Frage. Das mag man Real, vielleicht sogar der Stadt Madrid, vorwerfen.
Was man ihnen nur schwer vorwerfen kann, ist die Entscheidung, Casillas abzugeben. Zwei Jahre Vertrag hätte er noch gehabt, bei einem Jahresgehalt von sieben Millionen netto - in Spanien rund 28 Millionen Euro brutto für die restliche Laufzeit. Viel Geld für einen Mann, dessen Leistungen spätestens seit der WM 2014 nicht immer über jeden Zweifel erhaben gewesen sind.
Mitspieler beweisen Stil
Verlustaversion nennt sich der psychologische Begriff dafür. Das menschliche Gehirn erinnert sich eher an Verluste, als an Gewinne. Dabei wird der Ersatz, ob es nun de Gea oder doch Kiko Casilla von RCD Espanyol wird, rein sportlich ein guter werden. Perez hat den Schlussstrich auf seine Art und Weise gezogen.
Es ist sein Job, das wirtschaftlich attraktivste für seinen Verein zu tun. So hat sich der Fußball nun mal entwickelt, für Romantik bleibt nur wenig bis gar kein Platz. Der Real-Präsident entscheidet sich immer für die Kosten-Nutzen-Optimierung und durch dieses Raster ist Casillas gefallen.
Die menschliche Wärme muss er sich an anderer Stelle holen. James Rodriguez bedankte sich bei "einer Legende", Sergio Ramos bei einem "grandiosen Kapitän." Die Mannschaft verabschiedete sich so, wie es Casillas verdient. Sie vermittelten das Gefühl: Wir hätten uns neben dich gesetzt, hätten wir gekonnt.
Doch so blieb Casillas alleine mit der längsten Minute seiner Karriere: "Das vorzulesen dauert 30 Sekunden, aber es fühlte sich an wie eine Stunde."
Iker Casillas im Steckbrief