Die Grenze ist nur der Himmel

Von Andreas Inama
Luciano Vietto besiegelte im Dezember 2014 Atleticos erste Heimniederlage nach 18 Monaten
© getty

Erst aussortiert, dann ein Superstar: Luciano Vietto hat schon einiges in seiner noch jungen Karriere erlebt. Nach einer beeindruckenden Saison bei Villareal wechselte er diesen Sommer zu Atletico Madrid. Dort trifft er auf den Mann, der ihn einst unverhofft in das kalte Wasser des Profifußballs warf.

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Atletico Madrid hatte zuhause schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht verloren. 18 Monate waren es mittlerweile am 14. Dezember 2014. Diego Simeone hatte das Vicente Calderon zu einer Festung umfunktioniert.

Villareal war an jenem Abend zu Gast. Das gelbe U-Boot hatte seit drei Spielen keinen Punkt mehr abgegeben, diese Serie sollte statistisch gesehen an diesem Tag aber enden. Doch in der 84. Minute kehrte Stille im Abteil der Colchoneros ein.

Ein 20-jähriger Argentinier bekommt in der 84. Minute etwa 30 Meter vor dem Tor den Ball von Moi Gomez. Im Lauf nimmt er die Kugel an, lässt kurz einen gewissen Diego Godin mit einem Haken alt aussehen und schiebt zum 0:1 ein. Für Atletico endet eine Serie, bei Villareal geht ein neuer Stern auf.

Simeones liebste Niederlage

Simeone ging gefasst mit der Niederlage um - es schien, als ob er sich sogar sehr gern damit abfand. Zwar verlor Atletico an jenem Dezember-Tag wichtigen Boden zur Spitze, doch El Cholo konnte dank des Siegtorschützen Positives abgewinnen. "Ich freue mich so sehr für ihn, er konnte nun endlich sein Talent beweisen", sagte er in der Pressekonferenz.

"Er" heißt Luciano Vietto, mittlerweile 21 Jahre alt und nun am Hofe Simeones unter Vertrag. Atletico sicherte sich die Dienste des Calderon-Schrecks und vereint damit den Youngster mit der Person, die an ihn geglaubt und seine Karriere gerettet hat, bevor sie überhaupt gestartet war.

Viettos personal Jesus

Vietto wechselte mit 15 Jahren von seiner Heimatstadt Balenearia zu Estudiantes de la Plata. In zwei Jahren wusste er zwar immer wieder bei der Jugend zu überzeugen, doch wurde dem jungen Talent keine Perspektive aufgezeigt - im Gegenteil, 2010 wurde er aussortiert.

Die große Profikarriere schien schon zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Im Probetraining bei Rosario Central fiel er durch, ein Klub, der sich seiner annimmt, war nicht in Sicht. Schließlich heuerte er bei der Jugend von Racing Club in Avellaneda an, die Mannschaft, die Diego Milito und Lisandro Lopez hervorgebracht hatte.

"Er ist ein beeindruckender Spieler. Vietto ist einer der Besten, die Racing seit langer, langer Zeit hervorbringen wird", prognostizierte El Principe 2014 bei seiner Rückkehr nach Argentinien. Und so muss es wohl auch Diego Simeone schon 2011 gesehen haben, als er das Traineramt in Avellaneda übernahm.

"Er ist schnell, bewegt sich intelligent und schießt beidfüßig", schwärmte Simeone wenige Wochen, bevor er dem damals 17-Jährigen zu seinem Profidebüt verhalf. Vietto war dank seines persönlichen Heilsbringers im Profifußball angekommen und wusste auch, wem er dafür Tribut zollen musste: "Ich werde Simeone bis ans Ende meines Lebens dankbar sein."

Agüero? "Wenn auch nur halb so gut!"

In der Tat ist Vietto schon erstaunlich komplett als Fußballer, besonders in Anbetracht dessen, dass man bei Estudiantes gar keinen Nutzen in ihm sah.

Vietto bewegt sich außerordentlich gut auf dem Feld, schafft Räume für sich selbst und seine Mitspieler und ist im letzten Drittel des Feldes überall anzufinden. Durch seine geringe Körpergröße von nur 1,73 m - und damit seinem tiefen Körperschwerpunkt - ist er sehr flink und nur schwer ohne Foul vom Ball zu trennen.

"Er hat intelligente Laufwege, ist taktisch auf der Höhe, hat eine feine Technik, ist hingebungsvoll und ein großartiger Teamplayer", beschrieb ihn Michael Yokhin, Fußball-Experte bei ESPN.

Doch eines hebt den Argentinier von seinen gleichaltrigen Stürmerkollegen besonders ab: seine Abgeklärtheit und Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor. Schon früh in seiner ersten Saison in Europa kamen daher Vergleiche mit Sergio Agüero auf. "Ich wünschte, ich wär nur halb so gut wie Kun Agüero. Es ist ein Traum, irgendwann auf dem gleichen Niveau wie er zu sein", zeigte sich Vietto demütig.

Die Marktwert-Explosion

Den Schritt nach Europa wagte der kleine Edeltechniker letzten Sommer. Obwohl er nur fünf Tore in 35 Spielen für Racing Club erzielte, waren angeblich Mannschaften aus ganz Europa scharf auf Vietto. Daher kam es eher überraschend, dass Villareal 2014 den Zuschlag bekam.

2012 noch als ewiges Talent abgekartet und mit einem Marktwert von gerade einmal 50.000 Euro wechselte er letzten Sommer für 8,5 Millionen nach Spanien. Und das Geld, dass Präsident Fernando Roig investierte, sollte jeden Cent wert sein.

In 32 Spielen erzielte Vietto zwölf Tore in der Primera Division, davon fünf als Joker. Alle 126 Minuten klingelte es im gegnerischen Tor, ein Wert, den in Spanien nur Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Neymar und Antoine Griezmann übertrafen. In der Europa League überzeugte er in acht Partien mit sechs Toren.

Dies brachte klarerweise Europas Elite auf den Plan: Barcelona, Madrid, London oder Liverpool, Vietto konnte sich seine nächste Station nach Belieben aussuchen.

Simeone eine Herzensanglegenheit

Die Interessenten hatten aber schon, bevor es Vietto selbst wusste, verloren: Ehe das Transferfenster aufging, schien der Weg für ihn vorbestimmt. "Womöglich werden Simeone und ich irgendwann wieder vereint sein. Er ist ein sehr fähiger Trainer", schwärmte Vietto gegenüber der argentinischen Zeitung OLÉ bereits im April.

Und so sollte es auch kommen. Sein alter Förderer lockte ihn zu Atletico, Vietto schlug die Möglichkeit aus, mit Ronaldo oder Messi auf dem Platz zu stehen und folgte seinem Herzen. "Er kennt mich seit meiner Kindheit. Er ist der Trainer, der das Beste in mir hervorbringen kann", begründete Vietto nach seiner Vorstellung seinen Wechsel.

20 Millionen Euro ließen sich die Colchoneros die Dienste Viettos bis 2020 kosten. Ein weiterer Zuwachs seines Marktwerts, der seit 2012 um unglaubliche 39.900 Prozent gestiegen ist. Doch nicht nur seinem Marktwert scheinen keine Grenzen gesetzt - auch ihm als Spieler scheint nach oben alles offen. Oder um es in den Worten von Yokhin zu fassen: "Wenn Vietto so weiter macht, ist seine einzige Grenze der Himmel."

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