Das Bernabeu hat schon viele zu Tränen gerührt. Sei es aufgrund eines verlorenen Spieles oder aus purer Freude über einen Erfolg. Egal ob Fan oder Spieler, mancher wurde Opfer seiner Emotionen. Dass ein Trainer Tränen vergießt, hat man dagegen im Stadion des weißen Balletts noch nicht oft zu Gesicht bekommen.
Ein Traum wurde wahr im Leben von Rafael Benitez Maudes, der nach einigen einleitenden Worten von Präsident Florentino Perez nach vorne gebeten wurde: "Uns verstärkt ein Mann, der den Fußball atmet, für Professionalität steht und seit seiner Geburt Madridista ist."
Als der 55-Jährige, neuer Anführer im Hause Madrid, das Mikro übernahm, rann ihm eine Träne über die Wange. Ein sympathischer Auftritt war es, den der Spanier hinlegte. Hier ein Scherz, dort ein Augenzwinkern und dabei strahlte er über das ganze Gesicht. Er ist nach Hause gekommen, das spürte man deutlich an diesem Tag.
"Diese Krone, dieses Trikot"
Bei aller Emotionalität war aber auch dem Rückkehrer klar, worum es geht: "Hier in Madrid sind die Anforderungen hoch und nichts ist jemals genug." Die Königlichen haben mit der Entscheidung, Benitez an die Seitenlinie zu berufen einiges auf sich genommen.
Auf der einen Seite steht da ein brillanter Taktiker, der zahlreiche Erfolge mit unterschiedlichsten Klubs vorzuweisen hat. Ein Mann, "der besser weiß, als jeder andere, was es bedeutet, diese Krone und dieses Trikot zu tragen", wie Perez feststellte.
Auf der anderen Seite steht da der spanische Kellner, als der er im Feindeslager gerne betitelt wird, ein Pragmatiker, dem es bisweilen etwas am offensiven Mut mangelt. Große Innovationen, haltloses Spektakel oder mutige Experimente muss man nicht erwarten von Benitez. Erfolg dagegen auf jeden Fall.
Der Kredit stimmt nicht
Es wird eine Gratwanderung werden für Klub und Trainer in den ersten Monaten dieser Saison. Keine Mannschaft dieser Welt kann sich in dieser kurzen Zeit auf einen neuen Trainer und dessen Vorstellungen einstellen, schon gar nicht bei einer zerfahrenen Vorbereitung mit mehr Marketingterminen als Trainingseinheiten, wie sie Madrid absolvierte.
Es gilt einerseits das Zusammenspiel zu entwickeln, die passenden Dynamiken zwischen Einzelspielern in Benitez' bevorzugtem Spielsystem zu finden und in aller Ruhe daran zu arbeiten. Die wichtigen Spiele - die finden im Mai statt, erklärte der Neu-Trainer erst kürzlich.
Andererseits müssen auch die ungeduldigen Fans befriedigt werden. Viel Kredit hat Benitez nicht mitgebracht, trotz aller Real-Vergangenheit. Dafür passt er nicht genug in das Idealbild eines Trainers in Madrid. Er kann jede Menge, er weiß jede Menge, aber die galaktische Ausstrahlung geht dann doch ab.
Ein 0:0 als Vorbote
Das mag so lange kein Problem sein, wie es keine Probleme gibt. Die Vorbereitung verlief ruhig, das Transferfenster wurde ungewohnt still genutzt. Das torlose Unentschieden zum Saisonauftakt gegen Sporting Gijon allerdings legte offen, wie schnell es gehen kann. Die Presse stellte ohne Umschweife alles in Frage, was Benitez noch im Begriff ist aufzubauen.
Gareth Bale in der Mitte? Isco über den Flügel? Ronaldo würde sich nicht einfinden in das System Benitez, meinte die Marca. Als krampfhaft bezeichnete die AS alle Versuche der Madrilenen, ein Tor zu erzielen. Und überhaupt: Hat sich Ronaldo schon mit Benitez überworfen, nachdem dieser den Portugiesen öffentlich nicht als besten Spieler der Welt adeln wollte?
Der Abgang von Fabio Coentrao kam nicht überall positiv an, schon gar nicht mit der Aussicht, dass kein neuer Linksverteidiger komme. Auch mit der Torwartbesetzung ist mancher noch nicht ganz zufrieden, David de Gea wäre eben doch ein wenig königlicher als Kiko Casilla.
Kovacic ergänzt das Mittelfeld
Dabei hat Real doch vieles richtig gemacht in dieser Transferphase. Der Trainer stand früh fest, die ersten Neuzugänge ebenfalls. Danilo ist die richtige Konkurrenz für Dani Carvajal, die Rückkehrer Lucas Vazquez und Casemiro verstärken den Kader in der Breite, ohne ihn aufzublähen, werden sie doch auch mit weniger Einsätzen zufrieden sein.
Mit Mateo Kovacic kam ein Mann, der große Bedeutung einnehmen kann. Als einer der besten Dribbler aus dem zentralen Mittelfeld heraus wird sich der Kroate öfter auf der Acht wiederfinden. Nicht unbedingt die gleiche Position, wie er sie bei Inter übernahm, mit Toni Kroos und Luka Modric zusammen allerdings eine perfekte Ergänzung.
Real Madrid wird die Gestaltung des Spiels in den meisten Fällen übernehmen müssen. Dann kann der Neuzugang aus Mailand essenziell dazu beitragen, Lücken zu finden und zu nutzen. Dies verkörpert er auf andere Weise, als es seine Kollegen im Mittelfeld tun. Gegen Gijon traute er sich sichtlich noch nicht viel zu, das wird sich ändern.
Moderation von Perez gefragt
Denn Kovacic braucht genauso Zeit wie das gesamte Projekt Real Madrid 2015/2016. Der Kaderumbau ist auf den zweiten Blick merklich größer, als man es eigentlich vermutet. Dazu kommt ein neuer Trainer, der den Ruf eines Defensivstrategen mit sich bringt und trotz mehrmaliger Beteuerung, offensiv, mit Kurzpassspiel und hoher Rückeroberung in der gegnerischen Hälfte spielen zu wollen, schon nach einem 0:0 im Auftaktspiel in die Kritik gerät.
Die Ansätze aus der offensiv nahezu freibeweglichen 4-2-2-2-Grundordnung sind da, wenn auch bis jetzt noch wenig Gefahr über Gruppendynamik entsteht, sondern vielmehr über Einzelaktionen und die Stärke im Eins gegen Eins von Spielern wie Ronaldo oder Isco. "Uns hat das finale Element gefehlt. Wir waren beweglich, aber die Räume haben wir nicht genutzt. Ich werde noch vieles optimieren müssen, aber bin optimistisch."
Der Haufen an Arbeit ist also noch groß, die Zeit dafür klein. Die Führungsebene Real Madrids wird gefragt sein, sich zwischen Team und Öffentlichkeit zu stellen, beziehungsweise geschickt zu moderieren.
Genauso gut könnte alles schon wieder hinfällig sein, wenn Real Madrid am Wochenende Real Betis (Sa., 22.30 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE) schlägt. Und mit der nächsten Niederlage wieder aufkochen. Das ist Spanien. Das ist Real Madrid.
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