Es gibt einfachere Jobs als den des Real-Trainers. Wenn es gut läuft, sind es die Stars, die die Mannschaft zum Erfolg treiben. Wenn es schlecht läuft, ist es der Trainer, der die Stars nicht richtig einstellt. Benitez hat diese Herausforderung angenommen, ungeachtet des heißen Stuhls, auf dem er in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren, sitzen wird.
Bevor überhaupt ein einziges Training absolviert war, wurden bereits die ersten Stimmen laut. Gegen den Trainer, seine Figur, seine Unköniglichkeit, wenn man so will. Mancher grub allerdings tiefer. Benitez sei einer für die torlosen Unentschieden, einer für die stabile Defensive, dem das allerwichtigste die Null auf der richtigen Seite der Anzeige ist.
Das ist nicht grundlegend falsch, wird dem Ex-Trainer des SSC Neapel aber in keiner Weise gerecht. "Ich mag keine 0:0s", sah er sich früh gezwungen klarzustellen. "Ich weiß, was die Fans wollen: Guten Fußball und Siege. Zu wissen, dass alle Spieler das Maximum gegeben haben. Wir werden angreifen und gut spielen."
Oberstes Ziel: Ronaldo und Bale
Fünf Tage später stand die Null auf der Anzeigetafel. Auf beiden Seiten. Real Madrid spielte 0:0 bei Aufsteiger Sporting Gijon. Der Fauxpas wurde mit dem 5:0 über Real Betis schnell korrigiert - vor dem Duell mit Europa-Aspirant Espanyol Barcelona richten sich dennoch alle Augen auf die Herangehensweise des als Taktikfuchs in Madrid begrüßten Benitez.
Die Vorbereitungsspiele, sowie die ersten Partien der noch jungen Saison, gaben zumindest einen kleinen Einblick in die ersten Änderungen, Ideen und Experimente des Trainers, die sich doch in vielen Punkten von Vorgänger Carlo Ancelotti unterscheiden, ohne dessen Grundbasis komplett über den Haufen zu werfen.
Welche Frage stellt man sich als Real-Trainer bei seinem Antritt? Es macht nicht viel Sinn, seiner Mannschaft ein Konstrukt aufzwingen zu wollen, dass nicht zumindest auf die Spieler zugeschnitten ist. Somit müsste die wichtigste Frage im System-Benitez sein: Wie bringe ich meine Starspieler Cristiano Ronaldo und Gareth Bale in die für sie geeignetste Position, um den Gegner zu schaden?
"Ein Team des schnellen Umschaltens"
Beide brauchen Platz, um ihre Schnelligkeit auszuspielen und sind keine Spieler, die sich gut in engen Räumen bewegen. "Wir sind ein Team des schnellen Umschaltens", stellte Benitez früh klar. Dann sind die Räume am größten, Bale und Ronaldo können ihr Potenzial entfalten. Größter Stolperstein: Real ist nahezu immer Favorit - wird also meist auch den Ballbesitz übernehmen müssen: "Wir wollen den Ball, aber wir wollen auch wissen wohin damit."
Die Asymmetrie beginnt bei Benitez deutlich früher als unter Ancelotti. Während Sergio Ramos auf der linken Innenverteidigerposition merklich aktiver agiert, den Ball auch nach vorne treibt und hier den Platz nutzt, den der kombinationssichere Marcelo öffnet, spielt auf der rechten Seite bisher Raphael Varane weniger vertikal, sondern sucht schnell das Zuspiel zum Rechtsverteidiger.
Der rechte Halbraum wird von den Madrilenen im Aufbau oft überladen. Hier kommt Neuzugang Danilo ins Spiel, der bereits beim FC Porto seine hervorragenden Fähigkeiten als einrückender Außenverteidiger unter Beweis stellte. Mit ihm, Luka Modric sowie einem zurückfallen Spieler aus der 4-2-3-1-Grundordnung kann Real Überzahl herstellen, den Ball laufen lassen und sich eine Option nach vorne erarbeiten.
Immer rein in den gegnerischen Block
Toni Kroos hält sich wie an einer Schnur gebunden an seinem kroatischen Nebenmann. Er verlängert die Linie Modrics in die Mitte hinein und kann mit seinen hervorragenden Diagonalbällen schließlich den weniger am Spiel teilnehmenden Cristiano Ronaldo in relativ gegnerfreie Räume schicken.
Auf der linken Seite ist dagegen, wie bereits erwähnt, Ramos etwas passaktiver als Nebenmann Varane. Mit Linksverteidiger Marcelo auf seiner Seite sucht er schnelle und einfache Pässe, um die Linie entlang zu spielen.
Wieder eine ideal angepasste Rolle, ist Marcelo doch besonders in den Situationen nützlich, in denen er die gegnerische Ordnung durch energische, manchmal sehr risikohafte, Vorstöße empfindlich stört. Dann orientiert sich Ronaldo nach innen, während Gareth Bale aus der Mitte herausbricht. Entscheidend ist immer: Real spielt nicht langsam um den gegnerischen Block, sondern immer hinein, heraus und wieder hinein, um durch stetige Bewegung freie Räume zu schaffen.