Königlicher Work In Progress

Ben Barthmann
10. September 201513:17
Rafa Benitez vertraut auf Raphael Varane und Iscogetty
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Rafa Benitez kam mit dem Ruf eines defensiv denkenden Taktikfuchses zu Real Madrid. Der Saisonstart verlief gut, Kritik gibt es dennoch zuhauf. SPOX wirft vor dem Duell mit Espanyol Barcelona (Sa., 16 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE) einen Blick auf die ersten Anpassungen des neuen Trainers.

Es gibt einfachere Jobs als den des Real-Trainers. Wenn es gut läuft, sind es die Stars, die die Mannschaft zum Erfolg treiben. Wenn es schlecht läuft, ist es der Trainer, der die Stars nicht richtig einstellt. Benitez hat diese Herausforderung angenommen, ungeachtet des heißen Stuhls, auf dem er in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren, sitzen wird.

Bevor überhaupt ein einziges Training absolviert war, wurden bereits die ersten Stimmen laut. Gegen den Trainer, seine Figur, seine Unköniglichkeit, wenn man so will. Mancher grub allerdings tiefer. Benitez sei einer für die torlosen Unentschieden, einer für die stabile Defensive, dem das allerwichtigste die Null auf der richtigen Seite der Anzeige ist.

Das ist nicht grundlegend falsch, wird dem Ex-Trainer des SSC Neapel aber in keiner Weise gerecht. "Ich mag keine 0:0s", sah er sich früh gezwungen klarzustellen. "Ich weiß, was die Fans wollen: Guten Fußball und Siege. Zu wissen, dass alle Spieler das Maximum gegeben haben. Wir werden angreifen und gut spielen."

Oberstes Ziel: Ronaldo und Bale

Fünf Tage später stand die Null auf der Anzeigetafel. Auf beiden Seiten. Real Madrid spielte 0:0 bei Aufsteiger Sporting Gijon. Der Fauxpas wurde mit dem 5:0 über Real Betis schnell korrigiert - vor dem Duell mit Europa-Aspirant Espanyol Barcelona richten sich dennoch alle Augen auf die Herangehensweise des als Taktikfuchs in Madrid begrüßten Benitez.

Die Vorbereitungsspiele, sowie die ersten Partien der noch jungen Saison, gaben zumindest einen kleinen Einblick in die ersten Änderungen, Ideen und Experimente des Trainers, die sich doch in vielen Punkten von Vorgänger Carlo Ancelotti unterscheiden, ohne dessen Grundbasis komplett über den Haufen zu werfen.

Welche Frage stellt man sich als Real-Trainer bei seinem Antritt? Es macht nicht viel Sinn, seiner Mannschaft ein Konstrukt aufzwingen zu wollen, dass nicht zumindest auf die Spieler zugeschnitten ist. Somit müsste die wichtigste Frage im System-Benitez sein: Wie bringe ich meine Starspieler Cristiano Ronaldo und Gareth Bale in die für sie geeignetste Position, um den Gegner zu schaden?

"Ein Team des schnellen Umschaltens"

Beide brauchen Platz, um ihre Schnelligkeit auszuspielen und sind keine Spieler, die sich gut in engen Räumen bewegen. "Wir sind ein Team des schnellen Umschaltens", stellte Benitez früh klar. Dann sind die Räume am größten, Bale und Ronaldo können ihr Potenzial entfalten. Größter Stolperstein: Real ist nahezu immer Favorit - wird also meist auch den Ballbesitz übernehmen müssen: "Wir wollen den Ball, aber wir wollen auch wissen wohin damit."

Die Asymmetrie beginnt bei Benitez deutlich früher als unter Ancelotti. Während Sergio Ramos auf der linken Innenverteidigerposition merklich aktiver agiert, den Ball auch nach vorne treibt und hier den Platz nutzt, den der kombinationssichere Marcelo öffnet, spielt auf der rechten Seite bisher Raphael Varane weniger vertikal, sondern sucht schnell das Zuspiel zum Rechtsverteidiger.

Der rechte Halbraum wird von den Madrilenen im Aufbau oft überladen. Hier kommt Neuzugang Danilo ins Spiel, der bereits beim FC Porto seine hervorragenden Fähigkeiten als einrückender Außenverteidiger unter Beweis stellte. Mit ihm, Luka Modric sowie einem zurückfallen Spieler aus der 4-2-3-1-Grundordnung kann Real Überzahl herstellen, den Ball laufen lassen und sich eine Option nach vorne erarbeiten.

Immer rein in den gegnerischen Block

Toni Kroos hält sich wie an einer Schnur gebunden an seinem kroatischen Nebenmann. Er verlängert die Linie Modrics in die Mitte hinein und kann mit seinen hervorragenden Diagonalbällen schließlich den weniger am Spiel teilnehmenden Cristiano Ronaldo in relativ gegnerfreie Räume schicken.

Eine Spielszene gegen Real Betis. Rechtsverteidiger Danilo wurde angespielt, Modric und Isco kommen kurz. Kroos verlängert in einer Linie hinter Modric und hat anschließend viel Zeit, um Ronaldo anzuspielen.SPOX

Auf der linken Seite ist dagegen, wie bereits erwähnt, Ramos etwas passaktiver als Nebenmann Varane. Mit Linksverteidiger Marcelo auf seiner Seite sucht er schnelle und einfache Pässe, um die Linie entlang zu spielen.

Wieder eine ideal angepasste Rolle, ist Marcelo doch besonders in den Situationen nützlich, in denen er die gegnerische Ordnung durch energische, manchmal sehr risikohafte, Vorstöße empfindlich stört. Dann orientiert sich Ronaldo nach innen, während Gareth Bale aus der Mitte herausbricht. Entscheidend ist immer: Real spielt nicht langsam um den gegnerischen Block, sondern immer hinein, heraus und wieder hinein, um durch stetige Bewegung freie Räume zu schaffen.

Seite 1: Asymmetrischer Aufbau und die Rolle von Kroos

Seite 2: Bale im Zentrum und der defensive Umschaltmoment

Bale im Zentrum?

Einer der größten Kritikpunkte an Benitez war bisher die Entscheidung, den Waliser im Zentrum aufzustellen. Abgesehen davon, dass die Offensive sich so oder so sehr frei bewegen kann, bringt Bale doch Anlagen mit, um aus der Zentrale heraus Gefahr zu entwickeln. Entscheidend ist dabei der Begriff "aus der Zentrale heraus", denn die entscheidenden Situationen sammelt er doch auf dem Flügel oder im Halbraum.

Dafür beweist er ein, sicher noch ausbaufähiges, aber sich in den letzten Spielen stetig steigerndes Gefühl, wann der richtige Moment gekommen ist.

Im ICC-Spiel gegen Manchester City ging Dani Carvajal auf der rechten Seite mit Tempo auf die Abwehr zu. Bale löste sich exakt in dem Moment aus der Position zwischen Innenverteidiger und Außenverteidiger, als diese Zugriff auf Carvajal bekommen wollten. Der Spanier spielte rechts heraus, der Waliser flankte, Karim Benzema traf aus kurzer Distanz zur Führung.

Die Pässe (Grün), Torschussvorlagen ( Gelb), Flanken (Rot) sowie Torvorlagen (Blau) von Bale gegen Betis. Im Zentrum ist er nur wenig eingebunden, lässt viel prallen und sucht die einfachen Zuspiele. Gefährlich wird es, wenn er auf den Flügel ausweicht.OPTA

Neue Freiheit, trotzdem Balance

Hier wird die vielleicht größte Änderung von Ancelotti auf Benitez deutlich. Setzte der Vorgänger noch auf ein sehr positionstreues Spiel, ist unter Benitez offensiv kaum etwas in Stein gemeißelt. Die asymmetrische Vorgehensweise mit zwei verschiedenen Wegen über rechts und links kann sich jederzeit ändern, wenn Ronaldo sich zum Seitenwechsel entscheidet.

Die Elemente bleiben gleich, egal auf welcher Seite. Überladen mit Seitenwechsel oder ein relativ simpel ausgestaltetes Spiel den Flügel herunter mit hinterlaufendem Außenverteidiger.

Im Moment ist die Chancenerarbeitung noch aufgebaut auf vielen Hereingaben, teilweise schon aus dem Halbfeld. Der ausweichende Bale aus der Mitte vereinfacht das Spiel an die Grundlinie, indem er im richtigen Moment mit Tempo im Rücken der Verteidiger nach außen zieht - das funktioniert rechts wie links. Denn, so Benitez, ist Real auch unter ihm "eine Mannschaft der Balance."

Höhere Balleroberungen und mehr Risiko

Balance schließt ebenso eine solide Defensive ein. In Benitez' angeblicher Paradedisziplin zeigt sich Real Madrid im Gegensatz zum letzten Jahr bisher aktiver in der hohen Balleroberung. Seien es Vorbereitungsspiele wie gegen ManCity, als die Königlichen in einem 4-2-2-2 in einem hohen Mittelfeldpressing spielten und bei Gelegenheit sogar noch weiter aufrückten oder seien es Spiele wie gegen Gijon, in denen besonders das schnelle Umschalten nach Ballverlust essenziell zum Spiel beitrug.

Real spielt etwas höher, etwas risikoreicher, als unter Ancelotti. Das ist in Anbetracht der spielintelligenten, schnellen Innenverteidiger und der nicht für ihre unglaubliche Zweikampfstärke bekannten Zentrale eine naheliegende Option. Die Balleroberungen sind etwas höher, vor allem weil die Madrilenen nach Ballverlust sehr aggressiv den Raum verengen.

Anders als beispielsweise der BVB werden nicht die nächsten Anspielstationen kurz in Mannorientierung gedeckt, während der Ballgewinner von ein oder zwei Spielern angelaufen wird, sondern nach Ballverlust rutschen die nächsten Spieler alle in Nähe des Balles und isolieren den Führenden damit vom Rest der Mannschaft - in Anbetracht der Überladungen Reals in einem Halbraum aufgrund der Überzahl gut umsetzbar.

Links die abgefangen Bälle (Blau) und angesetzten Tacklings (Grün) Reals gegen Gijon, rechts die gegen Espanyo. Real gewinnt unter Benitez höher Bälle, geht riskanter vor und hat vor allem den rechten Flügel durch vorherige Überzahl im Griff.OPTA

Loch im Zehnerraum

Das Umschaltspiel hat allerdings noch seine Tücken. Zwar werden die Offensivspieler öfter in der eigenen Hälfte gesehen - dennoch hatte Madrid in den letzten Partien noch Probleme, nachdem das Gegenpressing nicht griff. Das ist nicht ungewöhnlich, schließlich ist es eine riskante Art der Verteidigung, dennoch formierte sich Real anschließend nicht immer ideal.

Oft waren 4-3-0-2-1-Positionierungen zu erkennen, in denen der rechte Offensivmann zurückfiel, Ronaldo über links aber nur zögerlich zurückkam. Das durfte er unter Jose Mourinho und Ancelotti allerdings ebenfalls, ist seine Schnelligkeit doch schon in der Vorbereitung eines Konters essenziell wichtig. Andererseits wird es gefährlich, wenn Real das 4-2-0-3-1 unterläuft.

Dann entsteht ein großes Loch vor Kroos und Modric, sie können nicht herausrücken und orientieren sich deshalb flach an der Abwehr. Gegen spielstarke Gegner ein Spiel mit dem Feuer. Hat sich die Defensive jedoch geordnet, überzeugen die Blancos mit einer horizontal sehr guten Kompaktheit, ohne dabei die Möglichkeit eines Konters nach Ballgewinn aus den Augen zu verlieren Verschiedene Spieler dürfen ihre Defensivarbeit kurz ad acta legen, um auf den Umschaltmoment zu spekulieren.

Feintuning steht vor der Tür

Die Zusammenfassung liefert der Trainer selbst. "Unser Stil wird auf Angriffsfußball basiert sein. Immer den Ball haben, wenn wir können, ihn schnell bewegen und dabei nicht die Balance zwischen Offensive und Defensive verlieren. Eine gesunde Portion Aggressivität zeigen und verschiedene Pläne zu haben. Wir müssen im Stande sein, Alternativen zu finden."

Bis jetzt findet sich Real besonders gegen tiefstehende Gegner. Das dürfte auch gegen Espanyol am Samstag nicht anders werden. Die schwierigen Spiele, die Spiele, in denen das Gegenpressing auf höchstem Niveau gefordert sein wird, die Spiele, in denen der Aufbau von hinten heraus unter Druck gesetzt werden wird, die erwarten Benitez erst noch.

Aber es ist schließlich noch früh in der Saison - und die Madrilenen werden einen Großteil ihrer Spiele gegen defensive Gegner bestreiten müssen. Dafür hat Benitez bereits einen Plan geliefert, der dann doch gut zu Real Madrid passt. Er ist ausbalanciert, überlegt und wandelbar. Das Feintuning steht noch vor der Tür, bis dahin hat der Mann aber seinen Stuhl doch auf eine erträgliche Temperatur heruntergekühlt.

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