Ritt in den eigenen Abgrund?

Von Robin Küffner
Martin Ödegaard trainiert bisher nur mit der ersten Mannschaft von Real Madrid
© getty

Martin Ödegaard kam als maßlos gefeiertes Supertalent im Januar zu Real Madrid. Seine Bilanz ist bisher ernüchternd, trotz Training mit den Profis brachte er es nur auf 32 Minuten in ihrem Star-Ensemble. Es stehen seit jeher Leihen im Raum, viele reden schon jetzt vom gescheiterten Talent. Dabei hat er noch alles in der eigenen Hand.

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Erst: Szenen des Jubels, gehobene Daumen, breites Grinsen. Danach: Das erste Spiel bei den Profis, eine vielleicht symbolische Einwechslung für Cristiano Ronaldo - zwei Generationen des Besten der Welt? Es folgt: Ein paar Mal Training, konsternierte Blicke auf dem Rasen und keine Daumen weit und breit. Das Instagram-Profil des Youngsters spricht Bände.

Es ist eine schwierige Zeit für Martin Ödegaard. Eine schwierige Zeit, die er sich größtenteils selbst zuzuschreiben hat. Die extreme Strahlkraft, das große Geld, die Massen an großen Spielern - einer oder mehrere dieser Gründe haben das norwegische Talent im letzten Winter zu Real Madrid getrieben. Eines war es jedenfalls sicherlich nicht: gute Perspektive.

Denn die ist in Spaniens Hauptstadt für einen wie Ödegaard kaum gegeben. Real ist nicht gerade die erste Anlaufstelle für junge, entwicklungsfähige Spieler. Alvaro Morata, Asier Illaramendi, Sergio Canales - die Liste ist lang. Zugegeben: Nicht alle kamen mit den Voraussetzungen von Martin Ödegaard zu den Königlichen, viele waren älter als 16 und hatten nicht die Zeit, um in der zweiten Mannschaft zu reifen. Die hat Ödegaard - er will sie aber nicht nutzen.

Und damit steht ein weiterer Grund für seine schwierige Zeit im Raum: Selbstüberschätzung. Der Hype um den 16-Jährigen war Anfang des Jahres riesengroß, Medien übertrumpften sich immer wieder gegenseitig mit neuen Superlativen. Supertalent, Wunderkind, baldiger Weltfußballer, nächster Ronaldo, nächster Messi. Dass sich sowas im Kopf eines Jugendlichen einnistet, sollte für jeden verständlich sein.

Leihe als Ausweg?

Ödegaard handelte damals dementsprechend und wählte den Superlativ der Fußballvereine. Ob er sich damit einen Gefallen getan hat, wird inzwischen weitläufig mit "nein" beantwortet, doch für ein Fazit ist es nach nicht einmal einem Jahr noch viel zu früh. Klar, die Schlagzeilen würde er lieber im positiven sportlichen Kontext liefern, dazu bietet aber die dritte spanische Liga, in der er momentan bei Real Madrid Castilla spielt, keine Plattform. Dass es trotzdem immer wieder etwas zu berichten gibt, hat er sich größtenteils selbst zuzuschreiben.

Schon im Sommer forcierte der Norweger eine Leihe, nachdem er nur in einem Spiel der ersten Mannschaft den Platz betreten durfte - im (bedeutungslosen) letzten Saisonspiel für einige Minuten. Als sich die Situation zu Beginn der laufenden Spielzeit nicht änderte, wurden wieder Stimmen laut, nach denen Ödegaard eine Leihe fordere und sich einem erstklassigen Team anschließen wollte, um auf dem Level Spielpraxis zu sammeln, das er für sich selbst als angemessen empfindet.

Das hätte er allerdings auch schon im Januar haben können. Sicherlich nicht in Spanien, aber das Niveau in der Primera Division ist auch sicherlich noch nicht das von Martin Ödegaard. Bei Strömsgodset legte er in 25 Spielen sechs Tore auf und erzielte fünf selbst, für einen Mittelfeldspieler seines Alters eine starke Bilanz - in einer schwachen Liga, die aber immer noch über der Segunda Division B anzusiedeln ist. Und dort brachte er es eben erst auf zwei Assists und ein Tor, was er wohl als Unterforderung abstempeln würde.

Massive Kritik nach Nichtaufstieg

Die Motivation des 16-Jährigen wurde in der spanischen Hauptstadt nicht erst einmal kritisiert. Dass er mit der ersten Mannschaft trainieren darf, ließ er sich vor seinem Wechsel vertraglich zusichern und macht von diesem Recht auch Gebrauch. Ein gefundenes Fressen natürlich für Kritiker, die ihm mangelnde Einstellung gegenüber der Castilla vorwerfen - vor allem die launische Medienlandschaft auf der iberischen Halbinsel.

Als RM Castilla den Zweitliga-Aufstieg im vergangenen Jahr verpasste, machte sie das norwegische Talent höchstpersönlich verantwortlich. "Seine Verpflichtung hat Castilla aus dem Gleichgewicht gebracht", schrieb zum Beispiel die Zeitung AS: "Statt dem Team zu helfen, trainiert er lieber mit den Stars der ersten Mannschaft und konzentriert sich auf sein Debüt im A-Team", hieß es weiter. Das Blatt resümierte damals: "Als Ergebnis ist die gesamte Harmonie im Kader zerbrochen."

Die AS sah es sogar als nötig an, ihre Behauptungen mit Statistiken zu belegen: "Als Ödegaard am 21. Spieltag zur Mannschaft kam, war Castilla einer der Tabellenführer, sie hatten 58 Prozent aller möglichen Punkte geholt. 16 Spiele später ist die Mannschaft als Neunter schon aus dem Aufstiegsrennen ausgeschieden und holte nur noch 37 Prozent der Punkte." Auch wenn die spanischen Medien - wie so oft - maßlos übertrieben, wird ihre Kritik von Vereinsseite teilweise unterstützt.

Nummer zehn: (k)eine Verantwortung

Trainer der Castilla ist kein geringerer als Zinedine Zidane, ein Idol von Ödegaard. Auch Zizou beklagte allerdings öffentlich, dass der Norweger sich lieber mit den Stars beschäftigt, als mit seinen eigenen Mannschaftskollegen zu trainieren und sich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten so gut wie möglich in seinem Spielverständnis auf den spanischen Fußball einzustellen.

Der Blondschopf selbst sieht das natürlich anders: "Madrid ist sehr gut. Es ist der beste Ort, wenn man als Fußballer besser werden will", sagte er Ende des Sommers der Daily Mail und fügte an: "Mein Fokus liegt darauf, mich jeden Tag weiterzuentwickeln". Ob er das bei seiner Castilla-Truppe tut oder unter der Woche mit der ersten Mannschaft, scheint ihm dabei allerdings egal zu sein.

Keine mannschaftsdienliche Einstellung des 16-Jährigen, der in der Zweiten die Nummer zehn trägt. "Es ist eine Nummer, die ich mag und ich werde es einfach genießen", erzählte er. Dass die Zehn "eine große Verantwortung mit sich bringt", weiß er auch. Dass große Verantwortung aber vollen Einsatz für das Team nach sich ziehen muss, ist ihm aber offenbar nicht bekannt.

Alles in eigenen Händen

Denn anders sind die Forderungen nach Spielzeit in höheren Ligen und das ständige Training mit den Profis nicht zu erklären. Zur Entwicklung eines jungen Spielers gehört das Verständnis von Mannschaftsgefüge und Zusammenhalt, nicht nur das Weiterentwickeln von fußballerischen Fähigkeiten und Spielverständnis. Das scheint er, bei allem Streben nach Höherem, bisher zu vergessen. Trotzdem hat er es selbst in der Hand, diese Eindrücke umzukehren.

Will er beweisen, dass er ein teamfähiger Spieler ist, ist eine Leihe in der aktuellen Situation eine durchaus akzeptable Lösung. Bei Vereinen wie Ajax Amsterdam oder Celtic Glasgow, die an einem Geschäft interessiert sein sollen, könnte der 16 Jahre alte Junge Spielpraxis in Europas ersten Ligen und eventuell der Europa League holen, bevor es im nächsten Jahr bei Real Madrid von vorne anfängt. Auch dann wäre er mit 17 sicher noch kein Stammspieler, brächte aber die Erfahrung für sporadische Startelfeinsätze mit.

Es liegt an ihm

An der derzeitig schwierigen Situation ist Martin Ödegaard selbst Schuld. Der Schritt zu Real Madrid kam zu früh für ihn, der Spielzeit bei den Profis als selbstverständlich ansieht. Schwächere erste Ligen in Europa wären für ihn ein weitaus risikoärmerer Weg gewesen, um auf hohem Level Entwicklung zu betreiben - und ein besserer, als die dritte Liga in Spanien. Denn diese ist sicherlich nicht das, was er mittelfristig erreichen kann und will.

Klar ist aber auch: Das frühe Anheuern bei Real zeugt von hohen Ambitionen und Selbstbewusstsein. Cristiano Ronaldo bezeichnete den Norweger schon als seinen "Nachfolger" und gibt ihm regelmäßig Tipps, generell ist die Meinung der Stars von ihm hoch. Ob er den Hype um seine Person, die Vorschusslorbeeren aus den Medien, die Prophezeiungen der Besten erfüllen oder seinen Schritt zu den Königlichen rechtfertigen kann, bleibt abzuwarten. Es liegt an ihm.

Martin Ödegaard im Steckbrief