Die 23.311 Zuschauer im Estadio Balaidos trauten an diesem 23. September ihren Augen nicht. Soeben hatte Vigo die Startruppe des FC Barcelona mit 4:1 auseinandergenommen. Und das nicht etwa durch vier Standardtore, sondern mit enorm flexibler Manndeckung und der sonst der Blaugrana ureigenen Waffe, einem perfekten 4-3-3.
Nach dem Spiel lobte Luis Enrique den Gegner und sagte, wenn er schon verlieren müsse, dann "gerne gegen Mannschaften, die guten Fußball spielen". Auch danach war Vigo konstant und jagt jetzt das Top-Trio in La Liga.
Um diese Leistung einordnen zu können, muss man die Geschichte Vigos der letzten Jahre betrachten. Um die Milleniumswende waren die Celtinas vom äußersten Westzipfel des Landes eine echte Attraktion. Im Uefa-Cup verprügelte man zunächst Benfica Lissabon mit 7:0, nur um danach Juventus Turin mit 4:0 abzuschießen.
In den Jahren danach aber ging es rauf und runter. 2009 drückten den Verein Verbindlichkeiten von 80 Millionen Euro, es drohte gar der Absturz in die Segunda Division B, die dritte Liga. Erst 2011 stieg das Team wieder in die Eliteklasse auf.
Enrique legte den Grundstein
2013 übernahm Luis Enrique die Mannschaft. Obwohl nur eine Saison in Amt und Würden, pflanzte er ihr gewissermaßen das Barca-Gen ein.
Es verwundert wenig, dass das Vigo-Spiel unter ihm primär auf frühes Pressing und Ballbesitz ausgelegt war. Das Team wies den sechsthöchsten Wert in dieser Kategorie auf und konnte immer wieder über die Außen durchbrechen - oft genug über die damalige Barca-Leihgabe Rafinha.
Probleme bekam man jedoch mitunter in der Defensive, da sich dort durch das hohe Spiel oftmals Gelegenheiten für den Gegner boten. Am Ende stand Rang neun, Empfehlung genug für ein Engagement bei "seinem" FC Barcelona.
Dieses System entwickelte Eduardo Berizzo nach Enriques Abschied trotz geringer finanzieller Mittel - der Etat beträgt nur 37 Millionen Euro - kontinuierlich weiter. Der Taktikfuchs war früher der Co-Trainer von Marcelo Bielsa, einem Trainer, von dem auch Pep Guardiola gerne mal schwärmt.
Cleveres Investment für den Erfolg
Nach Platz acht in der vergangenen Saison war Vigo in der aktuellen Spielzeit nie schlechter als auf Rang fünf platziert. Dies liegt auch daran, dass man die zehn Millionen Euro Ablöse, die man vom FC Valencia für das Eigengewächs und Toptalent Santi Mina kassierte, clever reinvestierte.
Daniel Wass vom FC Evian und Iago Aspas vom FC Sevilla schlugen voll ein und sind absolute Leistungsträger an der Ria de Vigo.
Trotzdem sind die Ergebnisse von Vigo höher zu bewerten, als es die Summe ihrer Einzelspieler vermuten ließe. Meist tritt das Team in einem 4-3-3 an, in den letzten Spielen aber immer öfter auch in einem flexiblen 4-2-3-1.
Wie viele spanische Teams verfügt Vigo über eine enorme Ballsicherheit, die sowohl Gefahr nach vorne als auch Sicherheit für das eigene Tor bedeutet. Die Außenverteidiger Mallo und Castro interpretieren ihre Rolle durchaus offensiv.
Beim drittjüngsten Team der Liga sorgt primär das Offensivtrio aus Nolito, dem Mittelstürmer Aspas und Fabian Orellana für Aufsehen. Vigo stellt zwar die drittbeste Offensive der Liga, kassierte aber schon 22 Gegentore - deutlich mehr als das Führungstrio.
Mehr als nur ein "Scheißhaufen"
Wie so oft steht auch bei Vigo die Abteilung Attacke im Fokus. Nolito entgegnete auf den gezogenen Vergleich mit den Sturmreihen BBC und MSN von Real und Barca, die seinigen seien dagegen nur ein "Mojon", also ein "Scheißhaufen". Dabei ist gerade Nolito extrem begehrt.
Der 29-Jährige ist seit dem Engagement von Luis Enrique in Galizien 2013 förmlich explodiert und wird immer wieder mit dem FC Arsenal und gar dem FC Barcelona in Verbindung gebracht. Ausgerechnet dort, wo er früher nur in der zweiten Mannschaft zum Zug kam.
Einen Wechsel dementierte Nolito jedoch jüngst, der Marca sagte er, es seien nur noch Details zu klären, dann werde der Kontrakt noch über 2018 hinaus verlängert. So oder so, ein Wechsel im Winter, zuletzt waren die Gunners besonder heiß auf Nolito, ist wohl ausgeschlossen.
Rückkehr nach Europa?
Bitter ist jedoch der drohende Verlust von Kapitän und Mittelfeldmotor Augusto, der laut der AS noch im Januar für sieben Millionen zu Atletico wechseln wird. Dort soll er den verletzten Routinier Tiago ersetzen.
Die Mannschaft aber wirkt sehr gefestigt, sodass es nicht unrealistisch erscheint, die Leistungen trotzdem bestätigen zu können. Die letzte Niederlage datiert aus dem Derbi de Galicia gegen La Coruna Ende November.
Kantersiege feiern die Hellblau-Weißen zwar selten, aber sollte Vigo endlich auch mehr Punkte im derzeit im Umbau befindlichen, altehrwürdigen Balaidos holen, könnte am Ende tatsächlich die Rückkehr auf die europäische Bühne winken.
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