Schweinekopf, Spalier und Standing Ovations

Jochen Rabe
18. April 201711:11
Figos Rückkehr nach Barcelona, Ronaldinhos Show im Bernabeu und Barcas Spalier für den Campeongetty
Werbung

Der Clasico zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid ist mehr als nur das Aufeinandertreffen zweier rivalisierender Klubs. Beim Duell der katalanischen gegen die spanische Hauptstadt geht es um viel mehr. SPOX erinnert vor dem Duell am Sonntag (ab 20.45 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) an fünf der emotionalsten Momente in der jüngeren Clasico-Geschichte.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien bereits am 28.11.2016. Anlässlich des bevorstehenden Clasicos wurde dieser Artikel angepasst und neu veröffentlicht.

23. November 2002: FC Barcelona - Real Madrid 0:0

Das lauteste Pfeifkonzert und Schweinekopf-Gate

Der "verbotene Wechsel" von einem Rivalen zum anderen wird häufig beschworen, selten fallen die Konsequenzen jedoch so krass wie einst bei Luis Figo aus. Der Portugiese war seit 1995 Leistungsträger, Kapitän und Publikumslieblings beim FC Barcelona. Doch nach der EM 2000, bei der Figo zum Spieler des Turnier gewählt wurde, folgte der Wendepunkt: Er wechselte für 60 Millionen Euro ausgerechnet zum verhassten Real Madrid.

Was danach geschah, war mehr als nur ein Shitstorm: Die katalanischen Fans beschimpften den Abgänger als "Judas", auf der Website antifigo.com konnten Anhänger ihre Beschimpfungen für "Barcelonas meistverhassten Spieler aller Zeiten" abladen. Der Klub bot sogar an, dass sich Fans den Aufdruck mit der Nummer 7 kostenfrei von ihren Trikots entfernen lassen konnten.

Ihren Höhepunkt erreichen die Hasstiraden gegen den "Verräter" nicht bei seiner ersten Rückkehr ins Camp Nou (2:0 für Barca), in die Geschichte ging das Duell im November 2002 ein.

El Clasico: Barcelona - Real Madrid: JETZT REGISTRIEREN!

Bereits beim Einlauf musste sich Reals Nummer 10 die Ohren zuhalten, bis heute gilt es als "das lauteste Pfeifkonzert der Geschichte". Aggressive Beschimpfungen, Spruchbänder, Gummipuppen mit Figos Namen, etliche Plakate mit Anti-Figo-Parolen und brennende Trikots waren lange nicht die Spitze.

SPOXDer Portugiese trat nämlich wie angekündigt auch die Ecken der Madrilenen. In der 72. Minute eskalierte es: Figo ging zur Eckfahne und wurde von unzähligen Gegenständen beworfen. Eine Whisky-Flasche, faules Obst, Münzen, Messer, Sandwiches - die Katalanen warfen alles auf das Feld, was sie in die Finger bekamen. Besonders ekelhaft: Auch ein Schweinekopf flog auf den Rasen. Später sagte Figo: "Ich hatte große Sorgen, dass ein Verrückter sich nicht mehr beherrschen kann."

Die Partie musste für eine Viertelstunde unterbrochen werden. Später wurde sie fortgesetzt und endete mit dem unspektakulärsten aller Ergebnisse: 0:0. Im Nachgang bekam Barca zunächst eine Strafe über zwei Spiele Platzsperre. Nach dem Einspruch wurde das Urteil auf 4000 Euro Strafe reduziert. Ohne Worte.

19. November 2005: Real Madrid - FC Barcelona 0:3

Standing Ovations für Barca-Zauberer im Bernabeu

Nicht immer muss es beim Clash der Giganten so feindselig und hasserfüllt zugehen. Manchmal steht am Ende einer überragenden Leistung auch einfach nur pure Anerkennung.

In Zeiten, in denen Cristiano Ronaldo und Lionel Messi den Weltfußball dermaßen dominieren wie dieser Tage, gerät so manch spektakulärer Spieler schnell in Vergessenheit. Der Clasico am 12. Spieltag der Saison 2005/2006 trug einen Namen: Ronaldinho. Der Brasilianer lieferte im Santiago Bernabeu eine Galavorstellung ab. Ein ums andere Mal ließ er seine Gegenspieler wie Schulkinder aussehen, spielte Zuckerpässe, zauberte, trickste, flankte und schloss selbst ab. Eine Augenweide.

Nach einer knappen Stunde setzte er ein erstes dickes Ausrufezeichen hinter seine bärenstarke Leistung. Links an der Mittellinie bekam Ronaldinho den Ball von Deco - und dann ging die Post ab. Er zog den Sprint an, ließ Sergio Ramos mit einer einfachen Körpertäuschung ins Leere laufen, ging in vollem Tempo in den Sechzehner und verwandelte zum vorentscheidenden 2:0.

Knapp 20 Minuten später eine Situation wie ein Spiegelbild. Wieder Deco auf Ronaldinho, wieder ein blitzschnelles Dribbling, wieder die Finte gegen Ramos, vom linken Fünfereck setzte er das Ding ins lange Eck. 3:0, ein Haken hinter den Auswärtssieg.

El Clasico: Barcelona - Real Madrid: JETZT REGISTRIEREN!

Hängen bleibt nicht nur das Bild von Iker Casillas, der nur den Kopf schüttelte, in die Leere blickte und vor sich hin murmelte: "Yo flipo (Ich halluziniere)".

Viel spektakulärer war, was sich auf den Tribünen abspielte. Ein Mann mit einem Schnurrbart im Real-Schal stand auf und applaudierte anerkennend. Die restlichen Zuschauer taten es ihm gleich, Standing Ovations für die überragende Leistung des Matchwinners.

Ronaldinho selbst bekam das im Jubelrausch gar nicht mit: "Ich habe das in diesem Moment gar nicht gemerkt. Als ich in die Umkleidekabine gekommen bin, hat jeder darüber geredet. Also habe ich mir einen Fernseher gesucht und es mir angeschaut. Das ist etwas Besonderes. Nur wenige Spieler hatten die Ehre, im Clasico von den gegnerischen Fans beklatscht zu werden."

Wer diese Leistung gesehen hat, wundert sich auch nicht mehr, dass Ronaldinho wenige Monate später zum Weltfußballer gekürt wurde.

7. Mai 2008: Real Madrid - FC Barcelona 4:1

90 Minuten Spalierstehen für die Königlichen

Ach, was sind sie nicht schön, die alten Bräuche. In der spanischen Primera Division ist es Brauch, dass der Gegner einem frischgebackenen Meister beim Einlauf Spalier steht. Auf dem Papier richtig nett, oder? So nett fanden das die Spieler und Fans des FC Barcelona im Mai 2008 allerdings ganz und gar nicht.

El Clasico: Barcelona - Real Madrid: JETZT REGISTRIEREN!

Einen Spieltag zuvor hatten sich Bernd Schusters Königliche zum spanischen Meister gekürt. Zehn Punkte Vorsprung auf Verfolger Villarreal und sogar 14 Zähler auf Frank Rijkaards Barca. Die ohnehin bereits enttäuschende Saison der Katalanen kulminierte in dieser Demütigung im Santiago Bernabeu, als Puyol, Messi, Xavi, Henry und Co. eine Gasse bildeten und den Madrilenen zum Titelgewinn applaudierten. Den Gesichtern der Protagonisten war anzusehen, dass ihnen das gelinde gesagt nicht gerade Freude bereitete.

Viele Fans dürften diese Schmach gar nicht gesehen haben. Die Fachzeitung Sport hatte zuvor nämlich dazu aufgefordert, erst kurz nach Spielbeginn ihre Fernseher einzuschalten.

Die folgende Partie setzte noch einen obendrauf. Real demontierte den Erzrivalen durch Treffer von Raul, Robben, Higuain und van Nistelrooy mit 4:1 - und das obwohl die Stars nicht einmal 72 Stunden zuvor die Nacht zum Tage gemacht hatten, als sie ihren 31. Meistertitel feierten. "Barca stand 90 Minuten lang Spalier", titelte La Vanguardia am Donnerstag danach. Das Sportblatt AS sah einen "Rummelplatz im Bernabeu".

Frank Rijkaard war nach der Partie konsterniert, schloss einen Rücktritt jedoch aus. Wenige Wochen später wurde er durch Pep Guardiola ersetzt.

2. Mai 2009: Real Madrid - FC Barcelona 2:6

Fußball wie im Paradies

Demütigung? Im Clasico? Was Real kann, kann Barca schon lange. Das Aufeinandertreffen am 34. Spieltag der Saison 2008/2009 fiel in die Kategorie "besonders bitter". Vor heimischem Publikum wollten die Königlichen die Meisterschaft noch einmal spannend machen und bis auf ein Pünktchen an Pep Guardiolas Barca heranrücken.

SPOXspoxAber Pustekuchen! Nach einer knappen Viertelstunde sah alles noch gut aus, als Higuain Real in Führung brachte. Dann begann eine historische Demontage. Henry (2), Messi (2), Puyol und Pique walzten die Hausherren, bei denen Christoph Metzelder 90 Minuten durchspielte, mit 6:2 nieder - nie zuvor hatte eine Auswärtsmannschaft im Clasico sechs Treffer erzielt.

El Mundo Deportivo titelte: "Da fehlen einem die Worte. Barca hat die Meisterschaft in einer historischen Partie beendet." Die AS setzte noch einen drauf: "Selbst im Paradies gibt es keinen schöneren Fußball!" Für Iker Casillas war es einmal mehr ein prägendes Clasico-Erlebnis: "Das hat sich angefühlt wie ein Treffen mit einer Dampfwalze."

Wie nahe Wohl und Wehe zusammenliegen kann, zeigte dieser Abend. Hätte Real gewonnen, wäre der Titelkampf noch einmal offen gewesen. So standen die Königlichen am Saisonende mit leeren Händen und Trainer Juande Ramos ohne Job da. Pep Guardiola feierte dagegen mit dem Erzrivalen das Triple aus Meisterschaft, Copa del Rey und Champions League.

29. November 2010: FC Barcelona - Real Madrid 5:0

Die Demütigung für The Special One

Es sollte die nächste Machtdemonstration von Jose Mourinho gegen Pep Guardiola werden. Wenige Monate zuvor hatte der Portugiese, damals noch mit Inter, Barca aus dem Champions-League-Halbfinale geworfen. Besonders seine extrovertierte, aus Sicht vieler übertriebene Art, den Sieg zu feiern, stieß den Katalanen übel auf. Abgesehen davon, dass er einst als Chelsea-Coach sagte, ins ach-so-leise Camp Nou zu fahren, sei wie ins Theater zu gehen. Der beliebteste Gast war The Special One also ohnehin nicht.

Nun kam er als Trainer der Königlichen ins Camp Nou und wollte der Blaugrana in seinem ersten Clasico mal wieder ein Bein stellen.

El Clasico: Barcelona - Real Madrid: JETZT REGISTRIEREN!

"Das 5:0 war das beste Spiel, in dem ich jemals gespielt habe", sagte Xavi nach der Partie. "Es gibt wichtigere Spiele wie das WM-Finale, aber das Gefühl der Überlegenheit war einfach unfassbar. Es ist das eine, das gegen irgendein Team zu schaffen, aber gegen Real Madrid? Sie haben den Ball kaum berührt. Wir haben uns nach dem Spiel in der Umkleidekabine minutenlang gegenseitig applaudiert."

Die Ansetzung am Montagabend hatte die Partie noch mehr als ohnehin schon in den internationalen Fokus gerückt. Vor den Augen von etwa 400 Millionen Zuschauern weltweit demontierte Guardiola seinen ewigen Rivalen Mourinho und führte ihm die nach dessen Aussage "bitterste Niederlage" seiner Karriere zu.

Andres Iniesta spottete in seiner Biografie: "Es stimmt, dass das Camp Nou ein sehr ruhiges Stadion sein kann. Aber Mourinho hat etwas geschafft, was nur wenige erreicht haben: Er hat die Barca-Fans dazu gebracht, ein Lied zu singen."

Es war ein Schmählied auf den Portugiesen, das an diesem Abend durchs weite Rund hallte...

FC Barcelona - Real Madrid: Die Daten zum Spiel