Vor dem Duell zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid (Sa., ab 15.30 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) beschleicht beide Lager eine Erkenntnis: Sie sind sich inzwischen sehr ähnlich. Einige Unterschiede gibt es dennoch und gerade diese dürften entscheidend sein.
Ob man es glaubt oder nicht: Der FC Barcelona hat in dieser Saison nochmals seinen Fokus auf die Außenbahnen gelegt und ignoriert im Aufbau geflissentlich die Mitte. Das geht wohl aus den Anpassungen der Gegner hervor, die in den letzten Jahren zahlreiche Varianten ausarbeiteten, die das Zentrum verdichteten und vor allem drauf ausgelegt waren, Sergio Busquets aus dem Spiel zu nehmen.
Diese offensichtliche Achillesferse der Katalanen umschiffte Luis Enrique spätestens in diesem Jahr komplett mit einer neuen Ausrichtung im Spielaufbau. Nun wird der Ball weniger zwischen Innenverteidiger und Sechser zirkuliert, um dann Lücken im Zentrum aufzureißen, sondern vielmehr direkt der Weg nach Außen gesucht. Die Links- und Rechtsverteidiger Barcelonas übernehmen immer öfter den Spielvortrag.
Besonders die linke Kombination über Jordi Alba/Lucas Digne und Neymar profitiert vom aufgewerteten Flügelspiel. Alba stößt gerne etwas vor, setzt dann Neymar ein und verhilft ihm durch Vorderlaufen zu Dribblingmöglichkeiten am Strafraum. Alternativ hinterläuft er, erhält den Ball und gibt diesen durch eine Flanke wieder in den Strafraum.
Dreierrotation auf den Flügeln
Auf der rechten Seite ist das Vorgehen etwas anders, da Messi gerne den Weg in die Mitte sucht. Hier hinterläuft Sergi Roberto des Öfteren nach seinem Zuspiel, woraufhin Messi in klassischer Manier in die Mitte geht, Spieler auf sich zieht und dann die Seite mit einem langen Ball verlagert. Das ist nicht neu, sondern war schon in den letzten Jahren zentraler Bestandteil der Barca-Offensive, wird aber noch mehr fokussiert. spox
Darunter leiden die Ballkontakte des zentralen Stürmers in der 4-3-3-Grundordnung. Dieser zieht in Person von Luis Suarez oder Paco Alcacer gerne nach rechts und stellt somit ein 4-3-1-2 her, in dem Messi seine Freiräume hat. Während Suarez die wenigen Kontakte, die er noch erhält, gut ummünzen kann, hat sich Ersatz Alcacer in dieser Rolle sichtlich noch nicht zurechtgefunden.
El Clasico: Barcelona - Real Madrid: JETZT REGISTRIEREN!
Was in der Offensive geschieht, verändert natürlich in seinen Folgewirkungen auch das Geschehen im Mittelfeld des FC Barcelona. Der bedeutende Abfall von Sergio Busquets ist nicht zu leugnen, die Achter nehmen allerdings interessante Funktionen ein. Nicht nur, dass sie das Spiel über den Flügel durch breite Stellungen begünstigen, sie balancieren auch die Bewegungen des Teams aus.
Achter vor allem Arbeiter
Gerade mit Andre Gomes und Ivan Rakitic sind hier zwei technisch vielleicht eher limitierte, dafür aber arbeitsame Akteure auf der rechten Seite aktiv, um den umtriebigen Messi aufzufangen. Links ist das Zusammenspiel mit Denis Suarez oder Andres Iniesta mit Neymar etwas weniger flexibel. Insgesamt sind die Positionen im Spiel der Katalanen unter Luis Enrique sehr deutlich definiert, die wenigen Positionswechsel sind alle klar vorgegeben.
Der bereits ansgeprochene Busquets hat vorranig defensive Aufgaben erhalten. Nicht nur, dass er im Schnitt pro Liga-Partie nur noch 64 Pässe spielt, das sind rund 30 weniger als zu Hochzeiten unter Pep Guardiola, er wird auch kaum mehr im Aufbau fokussiert. Oft erhält die Nummer fünf ihre Bälle nun von der Seite, um sie auf die Innenverteidiger zurückzuspielen und damit zu sichern oder sieht sich vom fallenden Messi verdrängt.
Das etwas vertikalere Spiel bringt Busquets dazu, sich näher an den Innenverteidigern zu halten, um möglichen Gegenangriffen Einhalt zu gebieten. Hier entsteht bisweilen eine Lücke zwischen dem Mittelfeld und den letzten drei Mann der Katalanen, in der sich nur Messi bewegt.
Absicherung gegen Konter risikoreich
DAZNFür mobile Nutzer: Der FC Barcelona im Angriff gegen den FC Sevilla
Die obige Grafik zeigt einen recht klassischen FC Barcelona dieser Saison. Neymar geht mit Ball in die Mitte, Digne die Linie hinunter. Denis Suarez balanciert die beiden durch eine tiefe Position aus. Messi ist in die Mitte gekommen, Sergi Roberto hält ganz rechts die Breite, während Rakitic wieder durch eine tiefe Position ausbalanciert. Luis Suarez wird gleich diagonal nach rechts oben laufen, um dem Argentinier Plätz zu gewähren.
Zwischen der letzten hier erkennbaren Linie und Sergio Busquets sowie den beiden Innenverteidigern befinden sich drei Stürmer des FC Sevilla. Eine gefährliche, in dieser Phase des Spiels aber erfolgreiche Herangehensweise, die wenig später den Ausgleich zum 1:1 erbrachte. Eingeleitet wurde die Szene übrigens, nachdem Barca eine Pressinglinie Sevillas überspielte, Rakitic aber dennoch den Weg nach Außen wählte und Neymar dort Digne den Ball vom Fuß nahm.
Nun stellt sich die Frage, inwiefern diese Spielweise gegen Real Madrid zum Erfolg oder Misserfolg führen wird. Die Madrilenen verteidigten zuletzt in einem 4-4-2, das sie aus der 4-3-3-Grundordnung durch fallende Flügelspieler und einen vorstoßenden Mittelfeldmann erstellten. Die Dreierrotation Barcelonas könnte hier hohe Ansprüche ans Übergeben und Verschieben stellen, gleichzeitig ist der Flügel aber doppelt gesichert.
Nicht minder interessant dürfte die Absicherung des FC Barcelona gegen Konter sein. Im Spiel gegen Borussia Dortmund bewies das Team von Zinedine Zidane, dass auch ohne Jose Mourinho noch immer einige exzellente Schnellangriffe möglich sind. Gerade dadurch, dass die vordere Reihe breit auffächerte, war es schwer für die BVB-Verteidiger, den Zugriff herzustellen.
Aus dem bereits angesprochenen 4-4-2-Defensivsystem könnten die beiden offensivsten Kräfte nach Balleroberung nach außen ziehen und damit einen ersten Zwischenschritt verbuchen: Das Trennen der gegnerischen Verteidiger. Mit dem unterstützenden Karim Benzema und den schnellen Gareth Bale und Cristiano Ronaldo sind kurze Kombinationen auf einer Seite möglich, um die Abwehrspieler anzulocken und dann schnell einen diagonalen Seitenwechsel zu spielen. Ohne den verletzten Bale könnte Lucas Vazquez diese Aufgabe übernehmen.
Der Rest des Teams rückt entschlossen nach und erläuft in der zweiten Welle Räume und damit Abschlussmöglichkeiten durch schnelles Herstellen einer Überzahl. Während der BVB das lange mit einem herausragenden Gegenpressing unterdrückte, weist der FC Barcelona derartige Qualitäten in dieser Saison nicht auf. Die Intensität stimmt ebenso wenig wie die Positionierung.
Wie defensiv spielt Ronaldo?
Für mobile User: Konter von Real Madrid gegen Borussia Dortmund
Eine beispielhafte Szene aus dem Spiel gegen Borussia Dortmund. Luka Modric erobert am Strafraumrand den Ball und setzt Benzema ein. Dieser hat sich nach Eroberung nach außen abgesetzt und zieht damit Lukasz Piszczek sowie Sokratis auf sich. Die Lücke zwischen Sokratis und Matthias Ginter besetzt die zweite Welle Reals schnell mit Tiefenläufen und öffnet damit die Spielverlagerung zu Bale. Der legt für Ronaldo ab - Tor.
Gerade hier liegen also Möglichkeiten für Real Madrid. Zidane wird sich den Kopf darüber zerbrechen müssen, ob er das variable Flügelspiel Barcelonas mit vielen Spielern hinter dem Ball verteidigen möchte oder doch lieber auf eigene Chancen lauert. Zuletzt überzeugte der Trainer gar Ronaldo, der sonst bei vielen Trainern eine Freikarte hatte, defensiv mitzuhelfen.
Außenverteidiger der Knackpunkt
Die Außenverteidiger müssen im Eins-gegen-Eins gegen Barcelonas nach innen ziehende Stürmer geschützt werden, gleichzeitig muss jemand den aufschiebenden Außenverteidiger im Auge behalten, um nicht von einem plötzlichen Seitenwechsel erwischt zu werden. Ein Dilemma, das die Katalanen natürlich absichtlich erzielen. Gut möglich also, dass Ronaldo und Benzema gegen Barcelona lauern, während Vazquez das Mittelfeld aus Modric, Isco und Casemiro verstärkt.
El Clasico: Barcelona - Real Madrid: JETZT REGISTRIEREN!
Die Marca brachte zuletzt eine interessante Option ins Gespräch. Die Zeitung will erfahren haben, dass Zidane mit einer Manndeckung gegen Messi spielen möchte. Dann würden Vazquez, Modric und Casemiro die Mitte übernehmen, während Kovacic den Argentinier verfolgt.
Im letztjährigen Clasico setzte Enrique seine Außenverteidiger unangepasst offensiv ein und sah sich damit nicht im Recht, Barcelona verlor 1:2. Die Achter, vor allem Rakitic, hatten sich etwas zurückgehalten, Busquets beinahe eine Dreierkette mit beiden Innenverteidiger hergestellt. Durch Messis zentrale und meist sehr tiefe Position blieb Enrique aber auch letztlich nicht viel mehr übrig, als Jordi Alba und Dani Alves die Seiten beackern zu lassen.
Der letztjährige Clasico brachte allerdings noch mehr Erkenntnisse ein. Real Madrid und der FC Barcelona müssen sich nicht zwingend eine Schlacht zwischen Ballbesitzfußball (Barcelona) und Konterfußball (Real) liefern. Schon zu seinem Amtsantritt sprach Zidane seine Idee von einem gepflegten eigenen Positionsspiel und sicherem Spielaufbau an und hat dies bisher auch stets forciert.
Auch am Wochenende wird Real wieder weniger Ballbesitzzeiten haben als der FC Barcelona. Doch die Königlichen sind sicher im Spielaufbau bis hinein ins zweite Drittel und werden somit auch den ein oder anderen Angriff vom eigenen Abstoß aus starten. Hier setzt der französische Trainer am Seitenrand vor allem auf eine zahlreiche Besetzung im Aufbau.
Oft halten sich die Außenverteidiger mit Vorstößen zurück, das 4-3-3 wird etwas anders interpretiert als beim FC Barcelona, es ähnelt mehr einem 4-2-1-3 und hat damit einen Mann mehr im Spielaufbau zur Verfügung. Gegen Atletico Madrid zeigten die Königlichen hier durchaus eine Stärke, wechselten mehrfach die Seiten, spielten die Stürmer der Rojiblancos geschickt aus und brachten die Bälle somit zu ihren Stürmern.
Kombinieren und Isolieren
Das funktioniert ohne den verletzten Toni Kroos nicht ganz reibungslos, war aber zumindest gegen Atletico kein Hindernis. Immer wieder war ein Muster zu erkennen, dass Zidane auch in anderen Partien einbringt. Dadurch, dass seine beiden Starspieler Ronaldo und Bale nicht in engen Räumen sondern in geöffneten Spielsituationen ihre Stärke haben, setzte er oft auf das Prinzip Kombinieren & Isolieren.
Der Zehner im Spiel Reals stellt auf einer Seite Überzahl her, während der Rest des Teams nahe an den Ball heranschiebt. Einzig der ballferne Flügelspieler, meist Bale, bleibt breit und bekommt so Pass für Pass mehr Raum. Ein plötzlicher Seitenwechsel kann den Waliser dann auf die Reise schicken und eventuell in eine gefährliche Eins-gegen-Eins-Situation am gegnerischen Strafraum bringen.
El Clasico: Barcelona - Real Madrid: JETZT REGISTRIEREN!
Mit Karim Benzema könnte das noch verstärkt werden, ist der Franzose doch sehr beweglich und fällt gerne tiefer. Dann schiebt Ronaldo auf und das Team kann leicht Überzahl herstellen. Alles in allem muss jedoch festgehalten werden, dass bei Real Madrid im letzten Drittel kaum Interaktion stattfindet. Während Barcelona über kurze Pässe kommt, spielt sich Madrid auf einer Seite fest und wechselt diese dann, um Richtung Tor zu marschieren.
MSN wie BBC?
Dabei bleibt der Zehnerraum meist unbesetzt, beziehungsweise wird genutzt, um den Weg auf die andere Seite zu öffnen. Schnelle Kombinationen vor dem Tor werden kaum gespielt, es spielt sich mehr alles ohne Ronaldo und Bale auf den Seiten und in den Halbräumen ab, um diese zu isolieren und schließlich gewinnbringend einzusetzen.
Der FC Barcelona wird hier Probleme in seinem hohen Anlaufen gegen die numerische Überzahl in Reals erster Aufbaulinie haben. Auch bei den Katalanen gilt es anschließend, die Außenverteidiger im Eins-gegen-Eins abzusichern und schnell zum Doppeln herauszurücken. Und auch hier wird sich der Trainer fragen müssen, wie viele seiner Offensivspieler er für die Defensive opfert.
Zuletzt fuhr Enrique gut damit, ganz MSN von defensiven Aufgaben zu befreien. Damit rückte der Gegner kaum auf und das Trio konnte seine Konter ausspielen. Ob das auch gegen Madrid zu empfehlen ist, ist zumindest fraglich. Einerseits können die wichtigen Außenverteidiger gebunden werden, andererseits ist das Mittelfeld mit Luka Modric, Mateo Kovacic oder Isco deutlich besser als das der meisten bisherigen Gegner.
Ähnlichkeit nicht zu leugnen
Wer vor einiger Zeit davon gesprochen hätte, dass der FC Barcelona und Real Madrid sich binnen kurzer Zeit in ihrer Spielweise sehr ähneln würden, der wäre wohl für verrückt erklärt worden. Tatsächlich sind die Ähnlichkeiten aber nicht mehr von der Hand zu weisen. Beide Teams verfügen über einen sicheren Spielaufbau und gehen bevorzugt den Weg über die Flügel.
Beide versuchen, ihre Einzelkönner in den bestmöglichen Situationen einzusetzen und draus Gewinn zu ziehen. Sie beide lauern gerne mit zwei oder mehr Spielern auf Konter nach gegnerischem Ballbesitz und stellen ihre Gegner mit individueller Qualität vor weitreichenden Fragen im Defensivkonzept. Doch letztlich werden die wenigen Unterschiede im kommenden Clasico entscheidend sein.
Während Barcelona vor dem Tor enge Kombinationen sucht, setzt Real Madrid diese lieber dezentral ein und verlagert dann schnell die Seite. Während Real über eine starke Besetzung der ersten Reihen ihr Spiel aufzieht, schiebt Barca mehr Spieler in die Höhe und setzt auf seine ballsicheren Innenverteidiger und Marc-Andre ter Stegen. Und dann wären da ja noch die X-Faktoren Lionel Messi und Cristiano Ronaldo.