Iniesta, Neymar, Messi, Iniesta, Messi. Zack, zack, zack, zack, zack. Tor. Herbst 2014, es läuft die zwölfte Minute, die ich Lionel Messi live im Stadion sehe, und er macht sein erstes Tor. Im Prinzenpark von Paris. Messi ist zu diesem Zeitpunkt längst kein Prinz mehr, sondern schon ein König. Am Ende dieser Saison krönt er sich zum vierten Mal zum Champions-League-Sieger und zum fünften Mal zum Weltfußballer des Jahres, aber was viel mehr zählt als diese Titel und Auszeichnungen ist der Fußball, den er spielt.
Dass Messi gut und vielleicht der Beste ist, weiß jeder, der Spiele von ihm im Fernsehen sieht. Wer ihn aber im Stadion beobachtet, der weiß: Messi ist nicht nur das, sondern vor allem auch ein Rätsel. Ist Messi nämlich gerade nicht dort, wo Action ist, wo die Fernsehkamera hinzeigt, dann tut er meistens: nichts. Seine Mitspieler wirken angespannt und verschieben konsequent und hektisch, er wirkt dagegen fast unbeteiligt, etwas desinteressiert oder gar traurig. Messi steht dann da, den Kopf leicht gesenkt und die Arme baumeln einfach an seinem Körper herunter oder sind in die Hüften gestützt.
Und dann kommen so Momente wie in dieser zwölften Spielminute. Das Spiel verlagert sich Richtung Messi, oder Messi zieht das Spiel Richtung Messi. Leise schleicht er sich in den Raum und von einer Sekunde auf die andere ist er da, voll da. Ein paar schnelle Trippelschritte, eine blitzschnelle Körperdrehung oder ein Ausfallschritt und es gibt plötzlich reichlich Platz, wo es normalerweise keinen gibt, im gegnerischen Strafraum zum Beispiel. Und den nutzt er. Ein lockerer, leicht gelangweilter Schuss mit der Innenseite. Tor.
Barcelona verliert dieses Spiel zwar letztlich, aber was mich beeindruckt, ist nicht das siegreiche PSG, sondern Messi. Seine Ballsicherheit, seine Pässe mit perfekter Schärfe und Präzision. Seine kunstvollen Abschluss-Fertigkeiten wie bei einem vergebenen Seitfallzieher in diesem Spiel. Sein Auge für den Mitspieler wie bei einem Lupfer Richtung Neymar. Der Umstand, dass er gefühlt an jedem Angriff seines Teams beteiligt ist.
Zwischen Abwesenheit und Antizipationstalent
Bis ich ihn das nächste Mal im Stadion spielen sehe, vergehen knapp zwei Jahre. Eine weitere Niederlage in einem Finale mit seiner Nationalmannschaft hat er seitdem erleben müssen und auch Ärger mit der Justiz wegen angeblicher Steuerdelikte. Messi ist nun nicht mehr nur der unschuldige Fußballer, sondern irgendwie belastet. Er ist nicht mehr dunkelhaarig und glattrasiert, sondern blond und bärtig, aber mit dem Ball macht er das Gleiche wie damals im Prinzenpark.
Nun empfängt der FC Barcelona jedenfalls Manchester City im Camp Nou und Messi erzielt drei Tore. Das zweite und dritte davon stehen exemplarisch für den Grat, auf dem Messi stets wandelt. Den Grat zwischen Abwesenheit und Antizipationstalent.
Den Toren gehen zwei fast identische Situationen voraus: Da steht Messi beide Male mitten im Nirgendwo der gegnerischen Hälfte, schaut Richtung eigenes Tor und ist mit seinen Gedanken wohl irgendwo. Die Spieler um ihn herum attackieren den City-Aufbau wild und vehement. Als sich ein Ballgewinn andeutet, dreht sich Messi und läuft einfach dorthin, wo er ein paar Sekunden später den Ball bekommt und dann ins Netz schiebt. Es ist dieses Antizipationstalent, das ihn aus der Abwesenheit weckt und so besonders macht.
Die Fans bedenken ihn nach seinen Toren wie so oft im Camp Nou mit langgezogenen Meeeesi-Rufen und es hat was von Götterverehrung.
Eine Aura der allumfassenden Sicherheit am Ball
Was von Götterdämmerung hat es dagegen, als ich Messi das dritte Mal im Stadion spielen sehe. Barcelona ist in diesem Frühling im La Rosaleda von Malaga zu Gast. Bärtig ist Messi immer noch, aber mittlerweile wieder mit natürlicher Haarfarbe, als er und die ganze Mannschaft von Barcelona enttäuschen. Eigentlich. Messi ist zwar nicht oft am Ball, aber wenn, dann ist es wie in Paris und Barcelona. Der Unterschied ist einzig, dass diesmal nichts funktioniert.
Messi hat in diesem Spiel einige Freistoßchancen. Vor jeder einzelnen bin ich mir sicher, dass er treffen wird. Er trifft nie, aber ich wäre bei jedem folgenden Freistoß wieder sicher gewesen. Wenn Messi den Ball verliert, habe ich bei seinem nächsten Ballkontakt nicht das Gefühl, er könnte ihn wieder verlieren. Selbst wenn er ihn ein Dutzend Mal verliert. Messi versprüht trotz des negativen Spielverlaufs stets eine Aura der allumfassenden Sicherheit am Ball. Es wirkt, als wüsste er immer die richtige Entscheidung zu treffen. Auch wenn er sie nicht trifft.
Obwohl Messi oft über weite Strecken eines Spiels unsichtbar ist, wirkt er präsent wie kein Zweiter. Paradox klar, aber auch Tatsache. Selbst wenn der Ball 50 Meter entfernt von ihm ins Aus trudelt und Messi mit gesenktem Kopf und Blick in anderer Richtung durch den Mittelkreis schlendert. Egal ob seine Mannschaft 3:0 führt oder 0:3 zurückliegt. Wenn Messi auf dem Platz steht, steht er gewissermaßen über den Dingen und alleine seine Präsenz versprüht Gefahr.
An diesem April-Abend in Malaga verliert Barcelona - das Spiel und wohl den Titel. Einige Zeit nach dem Abpfiff spaziert der geschlagene Messi mit gesenktem Kopf wie sonst über den Rasen nun durch die Mixed Zone an den Journalisten vorbei und sagt kein Wort. Wahrscheinlich ist das auch besser so, denn die Magie, die er auf dem Platz versprüht, ist nicht in Worte zu fassen. Egal ob Barcelona gewinnt oder verliert. Egal ob Messi trifft oder nicht. Sein Spiel hat das Etwas, das ihn aktuell von jedem anderen Fußballer auf diesem Planeten abhebt.