Im exklusiven Interview mit SPOX und Goal spricht der brasilianische Weltmeister von 2002 über die aktuellen Geschehnisse rund um seinen Ex-Klub und erklärt an den Beispielen Ousmane Dembele und Neymar die Tücken des modernen Fußballs.
SPOX/Goal: Herr Edmilson, Sie trugen vier Jahre lang das Trikot des FC Barcelona. Was macht den Klub so besonders?
Edmilson: Barca stellt sich immer eine Mannschaft zusammen, die zu Großem fähig ist. Diese Mannschaft bietet seit über einem Jahrzehnt wirklich viel Spektakel. Und selbst wenn das große Ziel, der Gewinn der Champions League, nicht immer erreicht wird, begeistert Barca mit seinem Spielstil die Fußballfans. Spieler und Trainer kommen und gehen, aber der Spielstil bleibt gleich. Er ist die Essenz von Barca. Damit hebt sich der Klub von anderen ab.
SPOX/Goal: In der bisherigen Saison läuft es gut, die Mannschaft steht auf Platz eins der Primera Division. Ist Barca auch der große Favorit in der Champions League?
Edmilson: Barca zählt natürlich immer zu den Favoriten in der Champions League, aber dieser Wettbewerb ist sehr ausgeglichen. Ab dem Achtelfinale wird es für jeden Großen schwierig. Es gehört auch ein wenig Glück dazu, um diesen Titel zu holen. In den vergangenen Jahren haben vor allem die spanischen Mannschaften dominiert. Real Madrid, Barca und Atletico sind immer sehr weit gekommen. Ich persönlich habe das Gefühl, dass dieses Mal keine spanische Mannschaft den Titel gewinnt. Ich halte Juventus für sehr stark.
SPOX/Goal: Neben Lionel Messi kristallisiert sich bei Barca vor allem Marc-Andre ter Stegen als Erfolgsgarant heraus. Ist er zurzeit der beste Torhüter der Welt?
Edmilson: Ja, auf jeden Fall. Ter Stegen ist in einer fantastischen Form, vielleicht sogar in der Form seines Lebens. Dadurch, dass ich in Barcelona lebe und in der bisherigen Saison fast jedes Spiel live im Stadion verfolgt habe, ist mir erst klar geworden, wie wichtig er für die Mannschaft ist. Er ist mehr als nur ein großartiger Torhüter, sondern agiert wie ein weiterer Feldspieler. Nur ganz wenige Torhüter haben solch eine Qualität mit dem Ball am Fuß.
Edmilson: Viele wären gerne an Dembeles Stelle
SPOX/Goal: Ousmane Dembele hingegen fällt momentan eher negativ auf. Wie können Sie sich erklären, dass ein Profifußballer ständig zu spät zum Training oder anderen Terminen erscheint
Edmilson: Dembele ist ein junger Spieler, der sich offensichtlich noch schwer tut, sich an das Leben eines echten Fußballprofis zu gewöhnen. Ich hoffe aber für ihn, dass er endlich aufwacht und die Chancen nutzt, die ihm das Leben bietet. Viele wären gerne an seiner Stelle. Aber ich denke, dass auch der Klub gefordert ist, ihm zu helfen. Manchmal haben solche Verhaltensweisen sehr persönliche Gründe. Vielleicht hat der Spieler private Probleme. Diese Probleme können oft nur Menschen lösen, die nahe an ihm dran sind.
SPOX/Goal: Wie schwierig ist es für einen jungen Spieler, mit dem Druck in Barcelona zurechtzukommen?
Edmilson: Es ist für mich mehr eine Frage des Spielstils. Man kann individuell noch so gut sein: Wer bei Barca wirklich erfolgreich sein möchte, muss sich dem Spielstil anpassen. Ich gebe Ihnen ein gutes Beispiel: Arthur, ein junger, in Europa noch unerfahrener Brasilianer, ist erst seit diesem Sommer im Klub, hat sich aber super eingelebt und eingespielt. Warum? Weil er sich dem Spielstil sehr gut angepasst hat. Er erinnert mich ein bisschen an Xavi.
SPOX/Goal: Wenn wir schon von Brasilianern sprechen: Wie sehr hat sich die Selecao seit der 1:7-Klatsche bei der WM 2014 gegen Deutschland verändert?
Edmilson: Extrem. Die Selecao hat sich dank Tite (Nationaltrainer; Anm. d. Red.) brutal verbessert und bei der WM in Russland trotz der Pleite gegen Belgien ihre Anerkennung in Brasilien zurückerlangt. Die Defensive muss in den nächsten Jahren verjüngt werden, aber gerade in der Offensive haben wir endlich wieder viele kreative Unterschiedsspieler wie früher Ronaldinho, Ronaldo oder Rivaldo. Und es kommen vielversprechende Talente nach, die es weit bringen können. Vinicius Junior von Real Madrid und Rodrygo vom FC Santos, der im nächsten Jahr ebenfalls zu Real Madrid wechseln wird, sind sehr gute Spieler, denen ich persönlich viel zutraue.
Edmilson: Wechsel von Neymar zu PSG "ein Fehler"
SPOX/Goal: Und Neymar?
Edmilson: Er ist und bleibt ein wichtiger Spieler für die Gegenwart und die Zukunft. Was er braucht, ist eine herausragende Saison auf Klubebene.
SPOX/Goal: Es gibt immer wieder Gerüchte, Neymar könnte nach Spanien zurückkehren. Real Madrid soll interessiert sein. Was raten Sie ihm?
Edmilson: Das ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Meiner Meinung nach war schon sein Wechsel nach Frankreich ein Fehler. Bei allem Respekt für Paris Saint-Germain: Neymar würde bei Barca viel schneller der Größte werden als dort. Ich habe selbst in Frankreich bei Olympique Lyon gespielt. Die Liga ist gut, aber nicht so gut wie die spanische. Dass Paris zwei oder drei Stufen über den anderen Teams steht, liegt nicht daran, dass die anderen Teams schlecht sind, sondern daran, dass sich Paris ein Ensemble von Stars zusammengestellt hat. Damit kann kein normales Team in Frankreich mithalten. Ich hoffe nur, dass Neymar klar im Kopf bleibt.
SPOX/Goal: Wie meinen Sie das?
Edmilson: Jeder weiß, dass viel Talent in ihm steckt, aber Talent allein reicht im Fußball einfach nicht aus. Er muss motiviert sein. Wenn ich nicht zufrieden bin, nicht glücklich bin, dann finde ich keine Motivation. Dann kann ich der schönste Spieler sein mit der tollsten Frisur, aber Erfolg werde ich dadurch nicht haben. Nehmen wir doch Dembele als Beispiel: Wenn ich den Fußball nicht als Beruf sehe, wenn ich nicht wirklich besessen davon bin, dann komme ich eben zu spät. Cristiano Ronaldo und Messi stehen eben dort, wo sie stehen, weil sich der Fußball für sie an erster Stelle befindet. Deshalb sind sie für mich auch die besten Spieler der Welt.
Edmilson: Bis zu 15 Berater pro Spieler
SPOX/Goal: Wie bewerten Sie den Boom der Sozialen Netzwerke? Manchmal hat es den Anschein, als würden vor allem junge Spieler mehr Wert auf ihr Instagram-Profil legen als auf ihre Leistung auf dem Platz.
Edmilson: Der Fußball hat sich in den letzten zehn Jahren enorm verändert. Als ich vor sieben Jahren aufgehört habe, gab es so etwas noch gar nicht. Aber man muss sich damit anfreunden. Die Sozialen Netzwerke sind Teil unserer Gesellschaft. Die meisten Spieler haben ja auch Leute hinter sich, die sich darum kümmern. Sie haben für alles Berater. Sogar Berater für Partys. (lacht)
SPOX/Goal: Wie viele Berater hatten Sie?
Edmilson: Einen. Das war's. Sie müssen sich vorstellen: Heute umgeben bis zu 15 Leute einen Spieler. Als Spieler bist du ein Produkt. So ist der moderne Fußball. Wichtig ist nur, dass man als Spieler selbst noch den Überblick behält und eine Balance findet.